Schilddrüsenprobleme werden heute deutlich häufiger diagnostiziert
"Viele haben ein Thema damit", weiß Kurtaran. Schilddrüsenerkrankungen gelten als Volkskrankheit, zu den häufigsten zählen Fehlfunktionen (Unter- oder Überfunktion) sowie Knoten oder Schilddrüsenvergrößerungen. Es kann auch zu einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse kommen, bei der das Immunsystem diese irrtümlicherweise angreift. Die häufigsten Formen sind die Basedowkrankheit und die Hashimoto-Thyreoiditis. Erstere führt zu einer Schilddrüsenüberfunktion, zweitere zu einer Unterfunktion.
Schilddrüsenerkrankungen werden heute deutlich häufiger diagnostiziert als noch vor einigen Jahrzehnten. Hauptgründe sind verbesserte diagnostische Methoden und medizinische Versorgung allgemein. "Es wird angenommen, dass Umweltfaktoren, Stress, veränderte Ernährung und hormonelle Belastungen ebenfalls eine Rolle spielen", sagt der Experte.
Rund jeder Dritte – in höherem Alter sogar jeder Zweite – hat eine Schilddrüsenvergrößerung oder einen Knoten an der Drüse. Letztere sind oft harmlos, nur in maximal ein Prozent der Fälle verbirgt sich dahinter Krebs. Eine unbehandelte, ausgeprägte Schilddrüsenvergrößerung kann das Schlucken oder Atmen erschweren. "Funktionsstörungen, wenn die Schilddrüse zu wenig oder zu viel arbeitet, sind immer ungesund", erklärt Kurtaran. Therapiert werden sie, indem fehlende Schilddrüsenhormone medikamentös ersetzt werden.
KI als Unterstützung in der Diagnostik
Bei Knoten ist die wichtigste Untersuchung die Tastuntersuchung. "Um etwa zu beurteilen, ob er weich, hart oder verschieblich ist. Und ob an den Lymphknoten Veränderungen detektierbar sind." Per Ultraschall können Knoten auf Größe, Kontur, Verkalkungen oder Durchblutung hin untersucht werden. "Je heller, größer und unregelmäßiger er am Ultraschallbild erscheint, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass Krebs vorliegt", sagt Kurtaran. "Unsere Aufgabe ist, zu selektieren, welche Knoten weiter observiert, welche operiert und welche mit einer Biopsie abgeklärt werden."
Bei der Beurteilung des bildgebenden Verfahrens könnte künftig die Künstliche Intelligenz (KI) eine große Rolle spielen: "Die KI könnte anhand bestimmter Kriterien Knoten selektieren und beschreiben und verdächtiges Gewebe anzeigen. Die weltweite Forschung dazu ist vielversprechend, in meinen Augen aber noch nicht reif, um es in die Routine an Kliniken zu überführen. Die ärztliche Kontrolle ist und bleibt ohnehin unverzichtbar."
Kurtaran, der seit 40 Jahren Schilddrüsen-Patienten betreut, sieht ein Einsatzgebiet der KI insbesondere im niedergelassenen Bereich: "Mein Traum wäre, dass die KI im Vorfeld bei niedergelassenen Fachärztinnen und -ärzten, Hausärztinnen und -ärzten, die sich mit der Schilddrüse beschäftigen, im Sinne einer guten Präselektion eingesetzt wird. Das würde Last von überfüllten Ambulanzen nehmen."
Wann eine OP nötig ist
Immer wieder heißt es, dass Knoten oder die gesamte Schilddrüse voreilig entfernt werden. "Wenn ein gutartiger Knoten groß ist und Druckgefühle im Halsbereich oder Schluckbeschwerden erzeugt, gehört er behandelt und kann mit einem kleinen Schnitt herausoperiert werden", sagt Kurtaran. Auch ein modernes minimal-invasives Vorgehen ist denkbar: "Bei der Radiofrequenzablation kann der Knoten durch Hitze zerstört werden. Die Therapie ist erfolgversprechend und ambulant durchführbar, es braucht keine Narkose und es bleibt keine Narbe. Allerdings ist diese Therapie nicht für alle Knoten geeignet."
Auch die Chirurgie selbst hat sich verändert: Früher wurde bei Schilddrüsenkrebs routinemäßig die gesamte Schilddrüse entfernt. Heute wird unter bestimmten Voraussetzungen, z. B bei kleinen Knoten, nur eine Teilentfernung der Schilddrüse anvisiert.
Zu den neueren Entwicklungen der Schilddrüsenchirurgie zählen innovative Zugangswege über die Achselhöhle oder den Mund. "Das sind Neuerungen der letzten Jahre, die langsam in die Praxis übergehen werden."
Nicht auf jodiertes Salz verzichten
Was kann man tun, um die Schilddrüse gesund zu halten? "Wir brauchen eine ausreichende Versorgung mit Jod – von Kindesbeinen an." Österreich sei zwar ein Musterland, weil Speisesalz seit vielen Jahrzehnten Jod zugesetzt werde: "Allerdings macht sich der Jodmangel in der Bevölkerung seit einigen Jahren wieder stärker bemerkbar." Studien führen die Mangelversorgung darauf zurück, dass gesundheitsbewusste Verbraucher ihre Speisen weniger salzen. Auch der Trend zu vegetarischer oder veganer Ernährung, die z. B. ohne jodreichen Fisch auskommt, könnte von Bedeutung sein. "Ich würde jedem Menschen raten, jodiertes Salz zu verwenden", rät der Experte. Schwangeren und stillenden Frauen empfiehlt er, Jod zu supplementieren.
Der Verzicht auf Rauchen fördert die Schilddrüsengesundheit, manche Studien legen einen positiven Effekt einer selenreichen Ernährung nahe. "Patientinnen und Patienten, die im Halsbereich bestrahlt wurden oder bei denen in der Familie Autoimmunerkrankungen vorliegen, sollten wir im Sinne einer Früherkennung besondere Aufmerksamkeit.“ Stichwort Autoimmunerkrankungen: Der womöglich wichtigste vorbeugenden Faktor sei die Stressvermeidung, sagt Kurtaran. "Denn Stress ist ein indirekter Risikofaktor für alle Autoimmunerkrankungen."
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