Gelenkrheuma: Erstmals Daten zu Neuerkrankungen in Österreich
Rheumatoider Arthritis: Frauen sind gegenüber Männern viel häufiger betroffen.
Man geht für Österreich von 80.000 bis 100.000 Menschen aus, die an chronischer Polyarthritis (rheumatoider Arthritis) leiden. Jetzt liegen erstmals Zahlen zur Neuerkrankungsrate aus einer wissenschaftlichen Studie vor: Bei knapp 15 von 100.000 Menschen wird pro Jahr Gelenkrheuma diagnostiziert. Frauen sind gegenüber Männern viel häufiger betroffen, hieß es am Dienstag bei der Landsteiner Tagung in Wien.
Die Landsteiner Tagung 2025 im Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien stand im Zeichen der Klinischen Immunologie, zu der Allergien, Autoimmunerkrankungen sowie jetzt auch die verschiedenen modernen Immuntherapien quasi "ressortieren". Die mittlerweile 67 Institute der Karl Landsteiner Gesellschaft sind stark in der klinischen Forschung vertreten. Landsteiner-Vorstandsmitglied Ernst Agneter, auch Präsident der Gesellschaft der Ärzte: "Der Zulauf zur klinischen Forschung ist ungebrochen."
Gelenkrheuma: Erstmals Daten zu Neuerkrankungen in Österreich
Bei häufigen Erkrankungen mit ihrer zusätzlichen großen Bedeutung für Gesundheitswesen und Gesundheitspolitik geht es aber auch um fundierte Daten und Fakten. Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Instituts für klinische Rheumatologie der Landsteiner Gesellschaft haben erstmals fundierte Fakten über die Häufigkeit von Neuerkrankungen an rheumatoider Arthritis (RA) in Österreich publiziert.
Co-Autorin Judith Sautner: "Für Österreich gab es dazu keine flächendeckenden Registerdaten." Was bisher aufschien, waren vor allem Abschätzungen auf der Basis von Studien aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Großbritannien und Deutschland.
Jahrelange Erhebung in ganz Oberösterreich
Die an dem Projekt beteiligten Fachleute gingen einen neuen Weg. Alle 23 Rheumatologen in Oberösterreich aus Krankenhäusern und in der niedergelassenen Praxis sowie vier Rheumatologen aus dem geografischen Umfeld des Bundeslandes meldeten alle Erstdiagnosen in Sachen Gelenkrheuma. Das betraf Patientinnen und Patienten, bei denen die Symptome, vor allem Gelenkschmerzen und Schwellungen zwischen 1. Jänner 2016 und 31. Dezember 2018 aufgetreten waren.
In Oberösterreich wurden von dem Projekt mit der Bitte um schnelle Zuweisung von Patientinnen und Patienten mit Polyarthritis-Verdacht auch alle Allgemeinmediziner informiert. Zur Kontrolle erfolgte bei jeder Diagnose auch ein Gegencheck über die verordneten Arzneimittel, die bei rheumatoider Arthritis als Erstverschreibung angebracht sind. Bei 77 Prozent der Betroffenen lagen auch Röntgenbefunde vor.
Für das gesamte Bundesland wurde eine Neuerkrankungsrate pro Jahr von 14,9 Fällen pro 100.000 Menschen erhoben. Bei den Frauen waren es 18,1 Neuerkrankungen pro 100.000 und Jahr, bei den Männern "nur" 10,4 Neuerkrankungen je 100.000 und Jahr. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass Gelenkrheuma bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger als bei Männern auftritt. Die Breite der Untersuchung spricht dafür, dass die Zahlen auch für Österreich gelten dürften. Sie "passen" zur weltweiten "Global Burden of Disease"-Studie (2019/The Lancet), die unter Berücksichtigung der Daten von 204 Staaten der Erde von 13 Polyarthritis-Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Menschen ausging.
Antikörper gegen Immunbotenstoff Interleukin-2 als "neuer" Marker?
Es gibt aber deutliche geografische Unterschiede. Judith Sautner: "Die rheumatoide Arthritis ist häufiger in Ländern des Nordens als im Süden." In Europa wurden beispielsweise in Finnland 22,3 Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Einwohner erhoben, in Schweden waren es gar 41 Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Menschen. Spanien rangierte dagegen mit 8,3 neuen RA-Diagnosen pro Jahr und 100.000 Personen weit unten.
Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Instituts für Autoimmunerkrankungen und Rheumatologie der Karl Landsteiner Gesellschaft könnten in Sachen Autoimmunerkrankungen, zu ihnen gehören die rheumatoide Arthritis genauso wie zum Beispiel Typ-1-Diabetes oder die Multiple Sklerose, einen neuen Labormarker entdeckt haben, der sich auch als möglicher Ansatzpunkt für neue Therapien eignen könnte: Autoantikörper gegen den Immunbotenstoff Interleukin-2 (IL-2).
Immunbotenstoff von entscheidender Bedeutung
IL-2 wird sowohl von aktivierten CD4-positiven T-Zellen, CD8-positiven T-Zellen und von sogenannten Natural Killer Cells (NK-Zellen) gebildet. Der Immunbotenstoff ist dabei von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und das Wachstum von Zellen des Immunsystems, welche Abwehrreaktionen bremsen bzw. unter Kontrolle halten. Bei Autoimmunerkrankungen aber reagiert das Immunsystem eben überschießend und rabiat gegen eigenes Gewebe. Fallen die dagegen agierenden regulierenden Immunzellen (Tregs) aus, entsteht ein Ungleichgewicht in Richtung chronischer Entzündungen und daraus folgenden Schäden.
Sophie Erlacher und Co-Autoren von dem Forschungsinstitut haben mit einem neu entwickelten Testverfahren in einer ersten Studie nachgewiesen, dass alle Patienten mit chronischer Polyarthritis gegen das eigene Interleukin-2 gerichtete Antikörper im Blut aufweisen. Verglichen wurden dabei die Labortests von Gelenksrheuma-Betroffenen, von Osteoporosepatienten und von Angehörigen einer Kontrollgruppe (insgesamt 78 Probanden).
Damit könnten Bluttests auf Interleukin-2-Autoantikörper einen zusätzlichen Marker für Autoimmunerkrankungen darstellen. Umgekehrt könnte das aber auch ein Ziel für künftige Therapien darstellen: Für niedrig dosiertes Interleukin-2 gibt es erste Hinweise auf eine potenziell positive Wirkung bei Autoimmunerkrankungen, um das Gleichgewicht zwischen proentzündlichen und antiinflammatorischen Signalen im Körper wieder herzustellen. Zumindest könnte das prinzipiell auf Strategien hindeuten, welche IL-2 oder seine Effekte als Ansatzpunkt gegen Autoimmunprozesse haben.
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