Psychologin Wimmer-Puchinger über Corona: "Der Albtraum liegt hinter uns"
Die Krisenjahre haben Spuren hinterlassen, weiß Beate Wimmer-Puchinger. Die Präsidentin des PsychologInnenverbandes erklärt, wie wir gut durch schwere Zeiten kommen.
Mehr als 1.200 Tage ist es her: Am 13. März 2020 ließ Sebastian Kurz, damals Bundeskanzler der Republik, die Bevölkerung wissen, dass das Coronavirus auch hierzulande grassiert. Noch im selben Atemzug verkündete er drastische Maßnahmen, die das Virus in Schach halten und die Menschen vor gröberen gesundheitlichen Folgen bewahren sollten. Was in den Tagen, Wochen, Monaten und letztlich Jahren folgte, "war nicht nix", erinnert sich Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen. "Alles andere als normal."
Dennoch: Die Erinnerung an die Pandemie ist inzwischen seltsam blass geworden. Warum? "Die markanten Ereignisse als zeitliche Ankerpunkte fehlen. Über lange Strecken war man glücklich, wenn man raus zum Spazieren durfte", sagt die Psychologin. Was bleibe, sei die Pandemie als eine einzige Markierung auf unserer Zeitachse: "Es gibt ein großes Davor und ein Danach."
Über das Währenddessen und seine Folgen hat Beate Wimmer-Puchinger mit dem KURIER gesprochen.
KURIER: Frau Dr. Wimmer-Puchinger, wie erleben Sie diesen ersten Sommer ohne pandemische Drohkulisse?
Wimmer-Puchinger: Für mich ist es ein Sommer wie damals. Der Albtraum liegt hinter uns – es ist befreiend. Was als Ritual in meinem persönlichen Verhalten geblieben ist: Händewaschen nach dem Nachhausekommen. Das freut jeden Hygieniker (lacht).
Man schüttelt ja auch wieder vermehrt Hände.
Im sozialen Kontakt ist man manchmal unsicher, ob man die Hand reichen soll. Da ist heute ein leichtes Zögern, wo man früher automatisch die Hand ausgestreckt hat. Die Pandemie hat uns Respekt vor sozialer Distanz gelehrt. Eigentlich nichts Schlechtes. Manchmal findet man noch eine verwaiste Maske in einer Jackentasche.
Masken sind tatsächlich nicht mehr Normalität. Inzwischen fällt es wieder aus der Norm, Maske zu tragen. Menschliches Verhalten richtet sich eben zu einem beträchtlichen Teil nach Bequemlichkeit. Wir machen das Einfache, das Unkomplizierte einfach lieber. Da gab es verhaltenstechnisch während der Pandemie einige Hürden zu überwinden. Rückblickend ist es eigentlich ein Wunder, dass wir da alle mitgemacht haben.
Inwiefern?
Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie mühsam es in den vergangenen Jahrzehnten war, uns peu à peu gesündere Verhaltensweisen, etwa den Rauchstopp, näher zu bringen, ist es schon beachtlich, wie gesundheitsbewusst sich die Menschen von heute auf morgen angestellt haben. Es gab wenig Murren. Der Mensch braucht ein Damoklesschwert, damit er sich gesundheitskonform verhält.
"Für mich ist es ein Sommer wie damals – es ist befreiend. Was als Ritual geblieben ist: Händewaschen."
von Beate Wimmer-Puchinger
über die Zeit nach Corona
Ältere und vorerkrankte Menschen haben enorme Einschränkungen hinnehmen müssen. Wie haben sich diese Strapazen bemerkbar gemacht?
Bei den älteren Menschen haben Einsamkeit und Traurigkeit dominiert. Da gab es auch dramatische Situationen, wo Menschen verstorben sind, ohne sich von ihren Liebsten verabschieden zu können. Das sind einschneidende Erfahrungen. Aber auch Junge waren betroffen. Wir alle sind als soziale Wesen gebaut. Wir brauchen andere um uns, wir brauchen Nähe und Zärtlichkeit. Gerade wenn in der Phase der Kindheit oder Jugend solche Bedürfnisse verunmöglicht werden, bleibt das hängen.
War die Pandemie eine traumatische Erfahrung?
Es gab das omnipräsente Virus, es gab Verbote, Jobverlust, Einkommenswegfall und Existenzängste, Erschöpfung – Corona hat uns als Gesellschaft permanent beschäftigt. Es war eine dramatische Erfahrung, ohne Frage. Für manche wohl auch traumatisierend. Wir sollten uns aber hüten, das Wort "Trauma" inflationär zu verwenden. Die Erschöpfung hat insbesondere mehrfach belastete Frauen und Mütter getroffen. Frauen mussten oft die Rolle der Kindergärtnerin, Lehrerin, Köchin und Erwerbstätigen in einer Person vereinen. Das soll uns einmal jemand nachmachen.
Wie nachhaltig drückt die Krise auf unser Wohlgefühl?
Glücklicherweise ist der Mensch dynamisch und anpassungsfähig. Die meisten sind psychisch wieder im Normalzustand angelangt. An dem Ansteigen der psychischen Belastungen gibt es dennoch nichts zu rütteln, das haben wir schwarz auf weiß. In Teilen sind sie leider geblieben. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Manche finden den Anschluss schlicht nicht mehr, leiden nach wie vor an sozialen Phobien oder Depressionen.
Hier gibt es Bemühungen der Politik, Entlastung zu schaffen.
Genau. Zum einen gab es im Rahmen des Projektes „Wir stärken Stärken“ kostenlose psychologische Beratung für armuts- und ausgrenzungsgefährdete Kinder und Jugendliche. Mit guten Erfolgen. Nun dürfen wir zum anderen am Projekt „Gesund aus der Krise“ mitwirken, wo wir fast 20.000 Kindern helfen können. Dass wir hier stabilisieren, ist wichtig und richtig. Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft.
Eine Studie die Uni Stanford zeigt, dass der Pandemiestress die Gehirne von Teenagern physisch altern ließ. Bislang wurde das nur bei chronisch vernachlässigten Kindern beobachtet. Hat sich Corona in unser Denken eingebrannt?
Alles, was wir als Menschen erleben, wird im Körper in Biochemie übersetzt. Wir haben auch wissenschaftliche Evidenz, dass das emotionale Gedächtnis von enormer Bedeutung ist. Von daher ist es nicht verwunderlich – wenngleich auch wahnsinnig spannend –, dass zweieinhalb Jahre Krisenmodus, radikal veränderte Routinen und Verhaltensweisen sich im Organismus widerspiegeln.
"Glücklicherweise ist der Mensch dynamisch und anpassungsfähig. Für die meisten von uns hat sich das Leben normalisiert."
von Beate Wimmer-Puchinger
über die menschliche Psyche
Im Pandemie-Kontext wurde Resilienz oft diskutiert. Vieles, was die psychische Widerstandsfähigkeit betrifft, ist noch unerforscht. Was ist inzwischen gesichertes Wissen?
Resilienz ist eine Kostbarkeit. Sie kommt nicht von allein, sondern muss erworben werden. Dafür bedarf es sozialer Unterstützung, Selbstwertgefühl, Vertrauen und innerem Sicherheitsgefühl.
Es gibt Studien, die nahelegen, dass Resilienz angeboren ist.
Das Wort „angeboren“ simplifiziert eine hochkomplexe Sache. Ja, es gibt günstige Voraussetzungen und weniger günstige. Ja, manche Menschen sind robuster, andere leichter irritierbar. Manche haben strapazierfähigere Schutzfilter, andere weniger. Wie das alles zusammenspielt, ist eine komplexe Sache und es braucht mehr Forschung, um diese Mechanismen zu ergründen.
Was können wir aus der Corona-Zeit lernen?
Wenn wieder eine Pandemie kommt, würde ich mir wünschen, dass wir gesundheitspolitisch stärker nach Zielgruppen und ihren Bedürfnissen differenzieren und von Anfang an überlegen, wer was braucht. Krisen sind nicht für alle Menschen gleich. Bei der Erarbeitung von Konzepten sollten Betroffene mehr eingebunden werden. Sie können meist am besten sagen, was sie benötigen. Individuell ist es wichtig, sich auf Bedürfnisse und Nöte zu besinnen und sich jemandem anzuvertrauen. Oder sich professionelle Hilfe holen. Und im inneren Dialog auszumachen, mit welchen Stärken man gut gegen Widrigkeiten gewappnet ist.
Fokus Frauengesundheit
Beate Wimmer-Puchinger widmete sich früh in ihrer Karriere dem Thema Frauengesundheit. Von 1999 bis 2015 setzte sie als erste Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien das Wiener Frauengesundheitsprogramm um. 1992 gründete sie Österreichs erstes Frauengesundheitszentrum – das F.E.M. – in der damaligen Semmelweis-Frauenklinik.
Stimme der PsychologInnen
Als Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen setzte sie sich für die Anerkennung der Ausbildung der klinischen Psychologen in Österreich ein und war Mitgestalterin des österreichischen Psychologengesetzes, wofür sie 2011 mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik ausgezeichnet wurde.
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