Wie es um den ehemaligen US-Präsidenten steht und woran man Prostatakrebs erkennt, beantwortet Mehmet Özsoy, Präsident des Berufsverbandes der Österreichischen Urologie.
Joe Biden hat Krebs. Der ehemalige US-Präsident leidet unter einer aggressiven Form von Prostatakrebs, die sich bereits auf seine Knochen ausgebreitet hat – das gab sein Büro am Sonntag bekannt. Der 82-jährige hatte über Harnwegsbeschwerden geklagt, woraufhin Ärzte einen „kleinen Knoten“ in seiner Prostata entdeckten. Der Krebs befindet sich im Stadium IV, dem fortgeschrittensten Stadium, mit einem sogenannten Gleason-Score von 9 und 10 – das sind die aggressivsten Werte. Derzeit prüfe Biden gemeinsam mit seiner Familie und Ärzten die Behandlungsmöglichkeiten.
Die Diagnose ist ernst – doch was heißt sie konkret und wie lässt sich Prostatakrebs rechtzeitig erkennen und behandeln? Mehmet Özsoy, Präsident des Berufsverbandes der Österreichischen Urologie, hat für den KURIER die wichtigsten Fragen beantwortet.
Wie gut ist Prostatakrebs in diesem Stadium behandelbar?
„Ziel einer Therapie in diesem Stadium ist es, das Leben zu verlängern, Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität so hoch wie möglich zu halten – auch im höheren Alter,“ so Özsoy. Grundsätzlich sei das Alter kein Grund, einem Patienten eine bestimmte Behandlung nicht zu geben. Viel wichtiger ist, wie fit jemand noch ist – also, ob er seinen Alltag gut bewältigen kann, ob andere schwere Krankheiten bestehen und wie hoch die Lebenserwartung ungefähr ist.
Wenn ein älterer Mann noch einen guten Allgemeinzustand hat, kann er alle empfohlenen Therapien bekommen – manchmal vielleicht mit angepasster Dosierung, damit der Körper die Behandlung besser verträgt.
Wie gut die Behandlung wirkt und wie die Lebenserwartung aussieht, hängt dennoch von mehreren Faktoren ab:
Wie viele Knochenmetastasen gibt es - nur einzelne oder schon viele?
Wie hoch ist der PSA-Wert im Blut? Das zeigt, wie aktiv der Krebs ist.
Wie fit ist der Patient insgesamt?
Die gute Nachricht: Auch bei dieser fortgeschrittenen Form gibt es viele moderne Behandlungsmöglichkeiten. Dazu gehören
Hormontherapien (Duplet-Therapie), die das Wachstum des Krebses bremsen,
zusätzlich eine Chemotherapie,
in speziellen Fällen sogar neue nuklearmedizinische Behandlungen, bei denen gezielt radioaktive Stoffe gegen die Krebszellen eingesetzt werden,
eine Behandlung mit PARP-Inhibitoren (siehe unten), die bei bestimmten genetischen Mutationen eingesetzt werden können.
PARP-Inhibitoren sind spezielle Medikamente, die in der Krebsbehandlung eingesetzt werden. Sie wirken, indem sie ein bestimmtes Enzym im Körper blockieren, das „PARP“ heißt. Dieses Enzym hilft normalerweise dabei, beschädigte DNA in unseren Zellen zu reparieren.
Wenn jemand Krebs hat und eine Chemotherapie bekommt, dann schädigen diese Medikamente gezielt die DNA der Krebszellen, um sie zu zerstören. Das Problem: Manche Krebszellen sind sehr „clever“ und können diese Schäden wieder reparieren – unter anderem mithilfe von PARP.
Hier kommen die PARP-Inhibitoren ins Spiel: Sie blockieren PARP, sodass die Krebszellen die beschädigte DNA nicht mehr reparieren können. Dadurch sterben die Krebszellen ab – und die Behandlung wird wirksamer.
Spricht jeder Prostatakrebs auf eine Hormontherapie an?
Nein, nicht immer. Im Fall von Joe Biden ist der Krebs jedoch „hormonsensitiv“. Das bedeutet, dass der Prostatakrebs noch auf eine Hormontherapie anspricht – genauer gesagt auf die Senkung des Testosteronspiegels, da dieses Hormon das Wachstum der Krebszellen fördert“, so Özsoy. Die wichtigste Therapie heißt Androgendeprivationstherapie (ADT) – dabei wird dem Körper das Testosteron entzogen oder blockiert.
Moderne Hormontherapie bei Prostatakrebs: Kombination wirkt besser
Früher bestand die Hormontherapie (ADT) meist nur aus sogenannten LHRH-Analoga oder -Antagonisten, die den Testosteronspiegel im Körper senken.
Seit einigen Jahren zeigen jedoch viele Studien, dass eine Kombinationstherapie („Doublet-Therapie“) deutlich wirksamer ist: Dabei wird die klassische ADT gemeinsam mit modernen Medikamenten gegeben, die die Wirkung von Testosteron noch gezielter blockieren – etwa Abirateron, Enzalutamid, Apalutamid oder Darolutamid.
Diese Kombination kann das Überleben verlängern und das Auftreten von Metastasen verzögern.
Bei fortgeschrittenem, metastasiertem Prostatakrebs, wie es etwa im Fall von Joe Biden berichtet wurde, kann zusätzlich auch eine Chemotherapie mit Docetaxel eingesetzt werden
„Diese Kombinationsbehandlungen helfen nachweislich, den Krebs länger unter Kontrolle zu halten und die Lebenserwartung zu verbessern“, so Özsoy.
Männer ab 45 Jahren sollten laut Özsoy im Rahmen der Prostatakrebs-Früherkennung einen PSA-Test per Blutabnahme durchführen lassen. Das prostataspezifische Antigen (PSA) ist ein Eiweiß, das von allen Zellen der Prostata gebildet wird, wobei Krebszellen deutlich größere Mengen davon ins Blut abgeben. Dennoch weist ein erhöhter PSA-Wert nicht eindeutig auf eine Krebserkrankung hin. Zum einen existiert kein klar definierter Normalwert, der eine Unterscheidung zwischen gut- und bösartig erlaubt, zum anderen können zahlreiche Faktoren, wie etwa körperliche Betätigung oder Geschlechtsverkehr, den PSA-Wert sowohl erhöhen als auch senken.
Bei einem erhöhten PSA-Wert wird aber eine Kontrolluntersuchung veranlasst, bei Bedarf auch ein MRT der Prostata. Ein Screening-Programm gibt es derzeit in Österreich nicht. Männer mit familiärem Risiko, also mit Vater oder Bruder, die an Prostatakrebs erkrankt sind, sollten spätestens ab dem 40. Lebensjahr mit der PSA-Vorsorge beginnen. Bei Männern über 70 Jahren sollte gemeinsam mit dem behandelnden Arzt besprochen werden, ob ein PSA-Test sinnvoll ist und in welchen Abständen er durchgeführt werden sollte.
Der Gleason-Score ist ein Bewertungssystem zur Einschätzung der Aggressivität von Prostatakrebs. Er wird anhand einer mikroskopischen Untersuchung von Gewebeproben aus der Prostata ermittelt, die meist durch eine Biopsie gewonnen werden. Ein Pathologe beurteilt dabei die Struktur der Krebszellen und vergleicht sie mit normalem, gesundem Prostatagewebe. Der Score liegt zwischen 2 und 10 – je höher, desto aggressiver ist der Tumor in der Regel. Werte von 8 bis 10 deuten auf eine hochgradig aggressive Tumorform hin. Bei Biden wurde ein Score von 9 und 10 festgestellt. Der Gleason-Score ist ein entscheidender Faktor für die Wahl der Therapie und die Einschätzung der Prognose bei Prostatakrebs.
Gibt es Warnzeichen für Prostatakrebs?
Bei Joe Biden erfolgte die Diagnose, nachdem er sich aufgrund von Harnwegsbeschwerden untersuchen ließ. „In frühen Stadien verursacht Prostatakrebs meist keine oder nur sehr unspezifische Beschwerden, weshalb er oft erst spät erkannt wird. Dennoch gibt es einige mögliche Warnzeichen, die auf eine Erkrankung der Prostata hinweisen können und ärztlich abgeklärt werden sollten“, so der Experte.
Dazu zählen wie bei Biden Veränderungen beim Wasserlassen, etwa ein abgeschwächter oder unterbrochener Harnstrahl, häufiger Harndrang – insbesondere in der Nacht –, Schwierigkeiten beim Starten oder Beenden des Wasserlassens sowie ein Gefühl der unvollständigen Blasenentleerung. Auch Schmerzen oder Brennen beim Wasserlassen, Blut im Urin oder im Sperma sowie Schmerzen im Bereich des unteren Rückens, der Hüften oder der Oberschenkel können Hinweise sein. In fortgeschrittenen Stadien kann es zudem zu Erektionsstörungen oder ungewolltem Gewichtsverlust kommen. Diese Symptome sind nicht spezifisch für Prostatakrebs und können auch bei gutartigen Erkrankungen der Prostata auftreten, sollten aber in jedem Fall medizinisch abgeklärt werden. „Darum ist die Vorsorgeuntersuchung so wichtig“, betont der Experte.
Wie kann man Männer zur Vorsorgeuntersuchung bringen?
Wenn es um die eigene Gesundheit geht, sind viele Männer zögerlich. Besonders bei der Krebsvorsorge bleiben Arzttermine oft lange aus – manchmal zu lange. Dabei ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Rund 7.000 Männer erhalten jedes Jahr diese Diagnose. „Und doch gibt es bis heute kein flächendeckendes, organisiertes Vorsorgeprogramm, wie es bei Brustkrebs längst Standard ist“, kritisiert Özsoy.
Die Gründe, warum Männer sich vor der Vorsorgeuntersuchung drücken, sind vielfältig:„Ich habe keine Beschwerden“ – ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Dazu kommen Scham oder Angst vor dem Untersuchungsergebnis. Männerthemen gelten oft noch als Tabu, und viele wissen schlicht nicht, wann oder wo sie zur Vorsorge gehen sollen.
Was es jetzt brauche, sei ein Umdenken – und klare Strukturen, so Özsoy. Dazu zählen:
Ein bundesweites, strukturiertes Früherkennungsprogramm, das Männer rechtzeitig erreicht.
Klare Empfehlungen: Etwa ab dem 45. Lebensjahr zur Urologin oder zum Urologen.
Öffentliche Aufklärungskampagnen, die das Schweigen brechen und Mut machen: Denn Vorsorge ist keine Schwäche, sondern Verantwortung – für sich selbst und die Familie.
Die Prostata, auch als Vorsteherdrüse bezeichnet, ist eine etwa vier Zentimeter große, walnussförmige Drüse. Sie liegt direkt unter der Harnblase und umschließt an dieser Stelle ringförmig die Harnröhre. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, einen Teil der Samenflüssigkeit zu produzieren, die für den Transport der Samenzellen (Spermien) notwendig ist.
Prostatakrebs ist mit rund 7.000 neuen Fällen pro Jahr die häufigste Krebserkrankung und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Männern in Österreich. In der Vergangenheit wurde der PSA-Test zur Früherkennung häufig diskutiert – inzwischen hat sich jedoch einiges in der Einschätzung und Anwendung dieses Tests verändert.
Kommentare