Paris Hilton und ADHS: "Es gibt keine ADHS, die erst im Erwachsenenalter beginnt"
Paris Hilton steht zu ihrer Diagnose ADHS.
"Einige der kreativsten und ikonischsten Menschen der Welt haben ADHS und haben es genutzt, um richtig durchzustarten!" Wenn US-Realitystar Paris Hilton über ADHS spricht, ist sie um Superlative nicht verlegen. Schon seit vergangenem Jahr äußert sich die Hotelerbin immer wieder über ihre Diagnose.
"Mein ADHS macht mich zu der, die ich bin, also habe ich gelernt, sie wie eine Superkraft zu behandeln", sagte die 44-Jährige etwa der italienischen Zeitung Corriere della Sera.
Immer mehr Prominente stehen zur Diagnose ADHS
Mit einer neuen YouTube-Onlineserie will die US-Amerikanerin anderen Betroffenen Mut machen. In der dreiteiligen Serie "Inclusive By Design" gibt Hilton Einblicke in ihren Umgang mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, etwa, wie sie ihr neues Zuhause ADHS-gerecht eingerichtet hat.
Damit reiht sich Hilton in eine Riege von Prominenten ein, die ihre Diagnose öffentlich gemacht haben, etwa der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen, Sänger Adam Levine oder Hip-Hop-Produzent Will.I.Am.
ADHS galt lange als Diagnose des Kindes- und Jugendalters. Seit einigen Jahren wird viel über ADHS im Erwachsenenalter gesprochen. Eine gute Entwicklung – oder sind damit auch Nachteile verbunden?
Antworten zu den wichtigsten Fragen zum Thema ADHS im Erwachsenenalter
Der KURIER gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Der Diskurs rund um ADHS im Erwachsenenalter hat sich bedeutend intensiviert. Wie ist die Entwicklung einzuordnen?
Unterschiedlichen Schätzungen zufolge sind weltweit rund fünf bis zehn Prozent der Menschen von ADHS betroffen. Besonders bei Erwachsenen wird die Diagnose immer häufiger gestellt, wie Zahlen aus Deutschland und Großbritannien zeigen. Mehr Diagnosen heißen nicht automatisch, dass mehr Menschen betroffen sind – vielmehr nähern sich die Zahlen der tatsächlichen Verbreitung an.
Erst seit den 1990er-Jahren wird ADHS auch bei Erwachsenen erforscht und erhält besonders in jüngerer Zeit wachsende Aufmerksamkeit in der Wissenschaft, weiß Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie AKH Wien und ADHS-Experte.
"Unser Blick in der Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Früher hat man ADHS als eine Störung betrachtet, die sich in den meisten Fällen so verändert, dass dadurch im Erwachsenenalter keine Belastung mehr entsteht. Heute wissen wir, dass das nicht zutrifft."
Große Langzeitstudien haben inzwischen belegt, dass ein beträchtlicher Anteil von ADHS-Betroffenen auch im Erwachsenenalter Symptome zeigt. "Wenngleich diese Symptome nicht mit jenen im Kindesalter vergleichbar sind", sagt Plener.
Wie macht sich ADHS im Erwachsenenalter bemerkbar?
Im Kindesalter kann ADHS mit körperlicher Unruhe, mangelnder Konzentrationsfähigkeit, Zerstreutheit und Impulsivität einhergehen. Auch Probleme bei der Emotionsregulation können vorliegen. "Die motorische Hyperaktivität ist meist schon in der Jugend rückläufig", betont Plener. "Was bei vielen bleibt, sind Schwierigkeiten in der Organisation von Arbeitsabläufen und Konzentrationsprobleme. Auch eine erhöhte Impulsivität ist oft noch im Erwachsenenalter spürbar."
Interessant sei, dass Stimmungsschwankungen mit steigendem Alter verstärkt auftreten können. "Häufig berichten schon Jugendliche über ausgeprägte emotionale Labilität, die natürlich in diesem Alter gewissermaßen dazugehört, bei Patientinnen und Patienten mit ADHS aber viel ausgeprägter ist", sagt Plener.
Im Erwachsenenalter entwickeln Betroffene nicht selten depressive Symptome. "Viele haben durch ihre ADHS Einschränkungen in sozialen Beziehungen und erleben auch, dass sie sich mit vielen Prozessen in der Arbeit deutlich schwerer tun als Personen ohne ADHS. Das kann psychisch belastend sein."
Im Erwachsenenalter neigen Betroffene zu risikoreicherem Verhalten – und sind beispielsweise öfter in Verkehrsunfälle verwickelt. Studien belegen auch, dass Menschen mit einer unbehandelten ADHS früher versterben, "weil sie durch ihr impulsives Verhalten weniger sich und ihre Gesundheit achten", erklärt Plener.
- Schwierigkeit in der Organisation von Arbeitsabläufen
- Konzentrationsprobleme
- Erhöhte Impulsivität
- Stimmungsschwankungen
- Depressive Symptome
- Einschränkung in sozialen Beziehungen
- Risikoreicheres Verhalten
Wie wird die ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter gestellt?
"Es gibt validierte Messinstrumente, mit denen Symptome abgefragt werden", sagt Plener. "Im Erwachsenenalter geht es immer auch darum, wie der Entwicklungsverlauf bis dahin war." Neueren Diagnosekriterien zufolge müssen zumindest in der Jugend ADHS-Symptome vorgelegen haben, damit im Erwachsenenalter die Diagnose gestellt werden kann.
Bis vor Kurzem mussten bei Patienten Symptome im Volksschulalter für eine Diagnose erhebbar sein. Hinweise würden sich oftmals in Schulzeugnissen oder Beobachtungen aus dem Umfeld finden. "Es gibt jedenfalls keine ADHS, die erst im Erwachsenenalter beginnt", präzisiert Plener.
Im Netz boomen Selbstdiagnosen. Was ist davon zu halten?
ADHS erfährt durch Videos auf Plattformen wie TikTok und Instagram enorme Sichtbarkeit. Viele Menschen erkennen sich in breitenwirksamen Symptombeschreibungen wieder, was Selbstdiagnosen begünstigt; zugleich fehlt häufig die professionelle Einordnung, wodurch das Risiko von Fehldiagnosen steigt. "Inzwischen beschäftigen wir uns auch in der Wissenschaft damit", sagt Plener.
Im Netz propagierte ADHS-Tests seien oft nicht seriös. "Meist sind sie Kern eines Geschäftsmodells. Es wird einerseits versucht, etwa Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen, wo es keinerlei wissenschaftliche Evidenz dazu gibt. Andererseits werden diese 'Tests' dazu benutzt, Menschen im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie auf den entsprechenden Plattformen zu halten."
Ursachen
Es wird vermutet, dass eine ADHS durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren entsteht. Eine wichtige Rolle spielt dabei die genetische Veranlagung. Auch Umwelteinflüsse und andere biologische Ursachen werden diskutiert. Bekannt ist, dass bei einer ADHS das Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn verändert ist. Insbesondere ein Mangel an Dopamin lässt sich bei einer ADHS nachweisen.
Verbreitung
5 bis 10 Prozent aller Menschen sind Schätzungen zufolge von ADHS betroffen.
Hierfür werden oft ganz breite Beschwerden, die auch mit ADHS zu tun haben können, als klassische Symptome verkauft. "Da werden Fragen wie 'Schlafen Sie schlecht?' oder 'Können Sie sich manchmal schlecht konzentrieren?' in den Raum gestellt. Also für sich genommen unspezifische Dinge, die viele Menschen kennen.“
Dass auch Fachleute vermehrt im Internet über ADHS aufklären, begrüßt Plener: "Es gibt viele Menschen, die unter ihrer ADHS leiden und denen seriöse Quellen Zugang zu Behandlung ermöglichen."
Was hilft, gut mit ADHS leben zu können?
In ihrer neuen Serie will Paris Hilton zeigen, wie sich Menschen mit ADHS wohlfühlen können. So teilt sie etwa Einschlafrituale oder auch bestimmte Einrichtungsstile mit der Zuseherschaft, die ihr geholfen haben, mehr Struktur in ihr Leben zu bringen. Strategien zu erlernen, wie sich der Alltag gut strukturieren lässt, hält auch Plener für wichtig: "Es kann zum Beispiel helfen, Aufgaben, die Konzentration erfordern, in kürzere Abschnitte einzuteilen und bewusst Pausen zu setzen."
Wichtig sei, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass er wenig Potenzial zur Ablenkung bietet.
Helfen ADHS-Medikamente?
"Natürlich helfen auch Medikamente", schildert Plener. Zur Therapie von ADHS werden hauptsächlich Medikamente verwendet, die den Wirkstoff Methylphenidat enthalten. Dieser Wirkstoff erhöht unter anderem die Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im Gehirn. Diese chemischen Botenstoffe sind für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen verantwortlich und wesentlich für Lern- und Gedächtnisprozesse.
Sie tragen dazu bei, dass das Gehirn äußere Reize besser filtern kann, was zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit führt. Alternativ kann auch eine Behandlung mit Lisdexamfetamin erfolgen.
Helfen Entspannungstechniken bei ADHS?
Ergänzend seien Entspannungstechniken sinnvoll, die im Rahmen einer Psychotherapie erlernt werden können. "Das kann die Lebensqualität steigern."
Was bringt Verhaltenstherapie bei ADHS?
Psychotherapie kann grundsätzlich ein wichtiger Bestandteil einer ADHS-Behandlung bei Erwachsenen sein. Als wichtigstes Element gelten momentan verhaltenstherapeutische Ansätze. Eine Kognitive Verhaltenstherapie bei ADHS soll Erwachsenen dabei helfen, eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster zu verändern, um besser mit der ADHS-Symptomatik zurecht zu kommen.
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