
Jürgen Vogel über seine schwierige Kindheit, ADHS und Kampfsport
Der Schauspielstar über seine Regiearbeit für „Jenseits der Spree“ und seine Einstellung: "Niemand muss ein Opfer bleiben".
Jürgen Vogel hat eine ungewöhnliche Karriere gemacht. Auf der Schauspielschule blieb er nur einen Tag. Stattdessen boxte er sich so durch – und lieferte beachtliche Darstellungen in Erfolgsfilmen wie „Der freie Wille“, „Die Welle“ oder „Ein Freund von mir“. Am 24. Oktober geht nun seine Krimireihe „Jenseits der Spree“ (20:15 Uhr, ZDF) in die fünfte Staffel. Im Team mit Aybi Era klärt er Fälle in Berlin und hat private Herausforderungen zu meistern. Ein Novum dabei: Bei zwei Episoden führte Vogel auch Regie.
Sie führen erstmals Regie. Dachten Sie, es ist Zeit für Neues?
Als ich für die Serie zugesagt habe, war von Anfang an klar kommuniziert, dass ich viele Ideen habe und die Entwicklung meiner Figur mitgestalten will. Warum sollte dann jemand anderer dafür die Regie übernehmen? Es war also nur logisch, dass ich das mache.
Hätten Sie schon früher gern einmal im Regie-Sessel Platz genommen?
Eine Regie wie einen Auftrag annehmen, das möchte ich nicht. Wenn, dann will ich meine eigenen Sachen machen. Ich bin eher Filmemacher als Regisseur. Mit einem Partner führe ich auch seit 30 Jahren eine Filmproduktion. Wenn mich ein Stoff interessiert, habe ich den Ehrgeiz, dabei Regie zu führen. Mir macht das Riesenspaß.

Klären Fälle in Berlin: Aybi Era und Jürgen Vogel in "Jenseits der Spree"
©ZDF und Christiane Pausch/ZDF/Oliver FeistRegie führen und gleichzeitig die Hauptrolle zu spielen ist Doppelbelastung und Herausforderung. Wie ist es Ihnen damit ergangen?
Das war alles kein Problem, das ist ein Teil meiner Persönlichkeit. Ich hab mich schon vorher überall eingemischt. Das wissen auch alle, mit denen ich arbeite. Ich mache mir Gedanken über alles, von der Kamera bis zum Licht, stelle manches auch in Frage. Das gehört einfach zu meiner Natur. Ich mache den Job schon zu lange, um „irgendwas“ zu drehen oder Leuten zuzuschauen, wie sie „irgendwas“ machen. Ich stelle Fragen und verlange Auskunft. Leute, die mit mir arbeiten, müssen gut vorbereitet sein. Ich bin das irgendwie auch immer.
Weil Ihr Arbeitsethos nach Perfektionismus verlangt?
Gute Vorbereitung ist wichtig, anders kriegt man den Job gar nicht hin. Ich finde es aber auch nicht schlimm, zu helfen. Etwa wenn jemand Regie-Anfänger ist. Ich selbst lasse mir auch vom Tonmann helfen, wenn der eine geile Idee hat. Da ist es dann auch egal, wie erfahren ein Regisseur ist. Wenn die Idee geil ist, dann wird sie umgesetzt. Ich denke immer als Team: Jeder soll das Gefühl haben, dass er etwas einbringen darf. Ich verlange sogar eigene Ideen. Etwa dass jeder Schauspieler seine Texte sprachtauglich macht, ich will nicht, dass die Leute nur das sagen, was im Drehbuch steht. Ich möchte, dass sie Zeilen streichen und ihre eigenen Worte finden. Zumindest wenn dann einfacher zu verstehen ist, was geschrieben wurde.
Mein Job ist es nicht, das zu tun, was du mir sagst oder dass ich tue, was da steht. Mein Job ist es, dich zu überraschen.
Wie glücklich waren da stets die Autoren und Regisseure damit, dass Sie in Ihrer langen Karriere Texte gestrichen und Regie-Anweisungen gegeben haben?
Unterschiedlich! (lacht) Viele arbeiten gerne mit mir. Für manche aber ist es schwierig. Sagen wir so: Wenn die Eitelkeit größer ist als das Ziel, einen geilen Film zu drehen, wird es mühsam. Ich habe mich einmal mit dem legendären Helmut Dietl (Macher von „Monaco Franze“ oder „Kir Royal“, Anm.) getroffen, um über einen gemeinsamen Film zu sprechen. Er hat mir gesagt, wie wichtig es ihm ist, dass jeder Satz, jeder Punkt, jedes Komma von dem, was er geschrieben hat, genau so gesprochen wird, wie es im Drehbuch steht. Da habe ich zu ihm gesagt, du Helmut, ganz ehrlich, nicht böse sein, aber das interessiert mich gar nicht. Texte sind für mich eine Vorlage. Der Film ist, was beim Drehen passiert, ein kleines Wunder.
Wie verlief das Gespräch mit Helmut Dietl daraufhin weiter?
Ich habe zu Dietl gesagt: Mein Job ist es nicht, das zu tun, was du mir sagst oder dass ich tue, was da steht. Mein Job ist es, dich zu überraschen. Dass ich mehr tue, als du dir hättest vorstellen können. Dass ich es schaffe, das wovon du gedacht hast, dass es geil ist, noch zu toppen. Und wenn du mich das nicht machen lässt, sind wir falsch füreinander. Dietl hat großartige Filme gemacht, ein toller Regisseur. Aber seine Methode ist nicht meine. Ich funktioniere anders. Es gibt aber auch Regisseure wie Wolfgang Becker, die das sehr schätzten – selbst wenn es sie genervt hat.
Und Sie schätzen die Konfrontation.
Wenn es streitbar wird, ist das ein geiler Prozess. Wenn die Leute eine Haltung zu ihrem Beruf haben, kann man dort ansetzen. Man muss diese Haltung halt gut argumentieren können. Wer die beste Idee hat, gewinnt.
Sie als Regisseur, der Zeitpläne einhalten muss, haben auch Lust darauf, dass jeder Beteiligte seinen Input einfließen lässt und viel Zeit fürs Diskutieren draufgeht?
Ich diskutiere nicht lange. Ich sage: Komm, lass uns das mal durchspielen. Wenn das Technische perfekt vorbereitet ist, ist dafür Zeit. Ich schaue mir die Vorschläge an, dann besprechen wir die im Team. Jeder soll ein Stück beitragen, ich habe überhaupt keinen Bock darauf, Leute zu verbiegen. Ich habe nichts davon, wenn einer etwas spielt, das er nicht fühlt.

Schauspieler Jürgen Vogel: "Wenn jemand, der reich wird, plötzlich ein Arschloch ist, war er vorher auch schon ein Arschloch"
©Reto Klar/Action Press/picturedesk.com/Reto Klar / Action Press / picturedesk.comIhre Figur Robert steht vor einigen Herausforderungen. Die eine Tochter will zur Polizei. Ein Kind, das denselben Beruf ergreift wie der Vater – Albtraum oder Wunschvorstellung für Sie?
Um Gottes willen, ich persönlich wollte nie, dass meine Kinder Schauspieler werden. Es kann ein sehr undankbarer Job sein. Ich selbst hatte bei meinem Werdegang ja wahnsinnig viel Glück, war Autodidakt und konnte mich reichlich ausprobieren, bevor ich 1992 mit „Kleine Haie“ bekannt geworden bin. Davor habe ich acht Jahre lang 25 Fernsehspiele gedreht und Hauptrollen gespielt, hauptsächlich Asoziale und Kriminelle, extreme Typen.
Wie haben Sie es in Erinnerung, nach dieser langen Anlaufzeit plötzlich in der Öffentlichkeit zu stehen?
Mich konnte zu diesem Zeitpunkt nix mehr umhauen. Ich wusste, „Kleine Haie“ ist ein Teil eines Weges, aber danach muss ich weiterackern. Nicht einmal eine Agentur hatte ich, ich habe mich selbst vertreten, habe meine Verträge alle selbst verhandelt. Es gab zum Glück drei Casting-Leute, die mich mochten und unterstützten. Ohne die wäre ich jetzt nicht hier.
Wäre eine Karriere wie Ihre heute noch möglich?
Nein. Der Konkurrenzdruck ist viel größer. Alle träumen davon, irgendwas Besonderes oder ein Star zu sein. Jedem, der diesen Job ausüben möchte, rate ich, eine Schauspielschule zu besuchen. Denn davor ist man vielleicht ein Talent, aber Talent alleine reicht nicht aus.
Party machen, saufen, Drogen nehmen – das machen ein paar, aber die verbrennen sich alle selbst. Nach fünf, sechs Jahren sind die weg vom Fenster.
Welche Eigenschaften halten Sie noch für notwendig?
Du musst vor allem Disziplin haben, an dir selbst arbeiten, kritikfähig sein, musst dich in ein Team integrieren können, musst dich gut vorbereiten, musst funktionieren, zu jeder Uhrzeit. An so einem Drehtag ist wenig Zeit, wenn du dran bist, muss es knallen. Man muss eine Arbeiterseele sein.
Vielen dürfte eher die glamouröse Seite des Berufes ein Anreiz sein.
Party machen, saufen, Drogen nehmen – das machen ein paar, aber die verbrennen sich alle selbst. Nach fünf, sechs Jahren sind die weg vom Fenster. Schauspieler zu sein ist ein sehr disziplinierter Job, du musst konzentriert und fit sein wie ein Hochleistungssportler. Wenn du das nicht bist, wirst du keine lange Karriere haben. Ich mache das jetzt seit 42 Jahren. Mit 15 Jahren habe ich begonnen.

Jürgen Vogel in der Krimi-Serie „Jenseits der Spree“, jetzt auch Regisseur: „Ich habe überhaupt keinen Bock darauf, Leute zu verbiegen“
©ZDF und Oliver Feist/ZDF/Oliver FeistEin Blick zurück auf Ihre Kindheit: Mit 15 Jahren sind Sie von zu Hause ausgezogen, das Verhältnis zum Vater war von Angst und Gewalt belastet. Wie klingt das Gefühl von damals heute noch nach?
Heute weiß ich: Du hast immer die Möglichkeit, dich neu zu erfinden. Niemand muss ein Opfer bleiben, nur weil er eine schwere Kindheit hatte. Viele ergeben sich gerne in der Opferrolle. Meine Philosophie aber ist: Man muss lernen zu wollen, sich aus der Opferrolle zu befreien. Klar, das ist nicht einfach. Aber einfach ist fucking gar nichts. Für niemanden.
Für wirklich gar niemanden?
Ob du arm oder reich bist, das ist egal. Wenn jemand, der reich wird, plötzlich ein Arschloch ist, war er vorher auch schon ein Arschloch. Reichtum alleine macht dich nicht zum Arsch. Arm zu sein heißt nicht, automatisch cool zu sein. Wir sind alle Menschen.
War es schwierig für Sie, Ihr familiäres Muster zu durchbrechen? Oft legt man als Elternteil dasselbe Verhalten an den Tag , unter dem man als Kind gelitten hat.
Man muss an sich arbeiten, alles analysieren, die eigenen Verhaltensmuster klar machen. Dann ist man auch imstande, sie zu durchbrechen. Es gibt nur zwei Optionen: Entweder man verhält sich genauso oder ganz anders. Wir sind alle nicht frei von Dingen, die uns passiert sind. Dennoch finde ich, dass man jede negative Erfahrung in etwas Positives ummünzen kann. Das Scheitern ist ein größerer Lehrer als das Gewinnen. Ich merke das im Kampfsport. Wer nur gewonnen hat, den zerstört die erste Niederlage oft. Wenn man gelernt hat zu verlieren, weil es zum Leben gehört, stärkt einen das.
Manchmal habe ich das Gefühl, meine Energie ist unerschöpflich. Ich gebe nie auf.
Sie betreiben selbst Kampfsport. Wie geht’s der Hüfte?
Gut, ich hab’ ja eine neue. Ich hätte die OP schon viel früher machen sollen, die vier Jahre zuvor hatte ich ständig starke Schmerzen. Jetzt kann ich mich wieder ohne Probleme bewegen.
Was gibt Ihnen der Kampfsport?
Ich hatte immer sehr viel Energie, richtige Schübe. Das lag auch daran, dass ich als Kind ADHS hatte. Ich bin schon in der ersten Klasse der Grundschule sitzen geblieben, hatte das Zappelphilipp-Syndrom. Gleichzeitig bin ich sehr strukturiert, was unüblich für ADHS ist. Der Kampfsport hat mir geholfen, meine Impulskontrollstörungen in den Griff zu kriegen und sie in etwas Positives umzusetzen: in Bewegung. Auch in anderer Hinsicht hat mir der Sport geholfen, bei meinem Problem mit Autoritäten. Wenn ich finde, jemand hat keine Ahnung, dann befolge ich nicht, was er sagt, egal, wer er ist. Das birgt viel Konfliktpotenzial. Durch Kung-Fu und Jiu-Jitsu habe ich gelernt, mich zu disziplinieren, Regeln zu akzeptieren und auch Autoritäten zu akzeptieren.
Hat ADHS Sie in Ihrem Beruf behindert?
Im Gegenteil: Es hat mir geholfen. Ich bin unglaublich zäh und hartnäckig. Sehr ehrgeizig, aber nicht um des Erfolges willen, sondern der Sache wegen. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Energie ist unerschöpflich. Ich gebe nie auf. Wenn ich etwas wirklich gerne mache, kriegst du mich nicht klein.
Und wenn Sie dennoch scheitern?
Wenn ich scheitere, will ich es beim nächsten Mal besser machen. Ich möchte mich immer verbessern. Ich habe nie das Gefühl, ich weiß jetzt alles. Ich glaube, deshalb macht mir das Älterwerden auch Spaß. Ich will, dass mein Blick auf die Welt sich immer mehr öffnet, je älter ich werde, und nicht sich verengt. Also das Gegenteil von dem, wie viele sich entwickeln.
Also keine Angst vor Geburtstagen.
Würde eine gute Fee mir anbieten, nochmal 40 sein zu dürfen, würde ich sagen: nein, danke. Älterwerden ist geil. Ich bin gelassener geworden – das entspannt mich.
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