Schweineherz bis Supercooling: Was die Transplantationsmedizin revolutioniert

Die Zahl der Organspenderaten und -transplantationen geht in Österreich zurück.
Zeit ist bei Organspenden ein kostbares Gut. In zweierlei Hinsicht: Zum einen sollten Menschen, die ein lebenswichtiges Organ – eine Leber, ein Herz oder eine Niere beispielsweise – benötigen, rasch damit versorgt werden. Spenderorgane sind weltweit knapp, hierzulande ist die Liste jener Personen, die auf ein Organ warten, noch immer länger als die jener, die rechtzeitig eines erhalten.
Wettlauf gegen die Zeit
Zum anderen haben Ärztinnen und Ärzte nach der Entnahme eines Spenderorgans nicht unendlich viel Zeit zur Verfügung, um zu beurteilen, in welchem Zustand und für wen es am besten geeignet ist. "Wobei sich hier jüngst viel getan hat", weiß Stefan Schneeberger, Leiter der Transplantationschirurgie an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Die größte transplantationsmedizinische Errungenschaft liege in der Organkonservierung: "Inzwischen kann man Organe unter körperähnlichen Bedingungen länger außerhalb des Körpers konservieren", sagt Schneeberger, der auch an der renommierten Johns Hopkins Medical University in Baltimore lehrt.
Das Zeitfenster, in dem ein entnommenes Organ beurteilt werden kann, hat sich also vergrößert. Unter anderem deswegen drängen immer mehr Anbieter innovativer Prüfverfahren auf den Markt. Einer davon ist VivaScope, ein in München ansässiges Medizintechnikunternehmen. Der Konzern hat eine Technologie entwickelt, die "den Transplantationsprozess beschleunigen und gleichzeitig die Qualitätssicherung deutlich verbessern kann", heißt es. VivaScope 2500, so der Name des Verfahrens zur Beurteilung der Organqualität, basiert auf der sogenannten Konfokalmikroskopie. Ein Bildgebungsverfahren zur hochauflösenden, dreidimensionalen Untersuchung von Gewebe. VivaScope 2500 ermögliche "eine schnelle und präzise Beurteilung von Spenderorganen direkt nach der Entnahme", bei minimalem Gewebeverlust.
Neue Technologien auf dem Prüfstand
Derzeit werden Spenderorgane meist per Gefrierschnitt getestet. Gewebe wird kurz nach der Entnahme schnell eingefroren und unter einem Mikroskop untersucht. VivaScope 2500 erfasst laut Hersteller Bilder von frischem Gewebe. So sollen typische Artefakte, die bei gefrorenem Gewebe auftreten können, vermieden werden. Was zu einer noch rascheren, zuverlässigeren Bewertung führen soll.
Experte Schneeberger sieht die Technologie zwiegespalten: "Sie ist nicht uninteressant, aber im Moment noch nicht ausreichend in großen Studien geprüft, um sie in der klinischen Routine anwenden zu können." Dass weitere Studien vonnöten sind, bestätigt man auf KURIER-Anfrage auch vonseiten VivaScope. Dass VivaScope 2500, wie es in einer aktuellen Presseaussendung heißt, "Leben retten" könne, sei jedenfalls "in der Form derzeit nicht zutreffend", sagt Schneeberger. Welche Aussagekraft derartige Zelldarstellungen auf den gesamten Transplantationsprozess gesehen haben, sei ungeklärt. Die wachsende Zahl an Untersuchungstechnologien berge grundsätzlich Tücken: "Wir können Tausend Datenpunkte sammeln für ein Organ, aber momentan wissen wir nur bedingt, was das alles genau bedeutet."
Routinemäßig werde aktuell eine biochemische Analyse der Flüssigkeit, mit der das Organ perfundiert, also gespült wird, durchgeführt. "Weiters können wiederholt Gewebeproben entnommen werden, um z. B. bioenergetische Untersuchungen durchzuführen. Diese geben Auskunft über den Organzustand und haben gute Vorhersagekraft in Bezug auf das Transplantationsergebnis." Der nächste logische Schritt sei, Organe zu modifizieren, reparieren und genetisch zu adaptieren: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das möglich wird", ist Schneeberger überzeugt.
Vonseiten VivaScope wird argumentiert, die Zahl an Transplantationen habe in Österreich in den vergangenen Jahren alarmierend abgenommen. "Es gibt einen beunruhigenden Rückgang an Organspendezahlen", bestätigt Schneeberger. "Die Zahlen für heuer bleiben abzuwarten, aber in einigen Regionen ist die Rate sehr gering. Jeder Rückgang ist besorgniserregend, weil die Organe ohnehin nicht reichen."
Wie stellt sich die Situation für Menschen, die ein Organ benötigen, konkret dar? "In Summe würde ich sagen, dass die Situation im Vergleich zu anderen Ländern gut ist. Gut heißt aber keinesfalls gut genug. Es gibt Patientinnen und Patienten, denen man helfen könnte, wenn genügend Organe zum benötigten Zeitpunkt verfügbar wären."

Stefan Schneeberger, Leiter der Transplantationschirurgie an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Herz und Niere vom Schwein
In den vergangenen Jahren sorgten aufsehenerregende Xenotransplantationen, wie die Übertragung von Tierorganen an Menschen genannt wird, für Schlagzeilen. In den USA wurde einem US-Amerikaner ein Schweineherz eingesetzt, eine US-Amerikanerin erhielt eine Schweineniere. Am Ende starben beide. Ob in der Xenotransplantation, sie umfasst die genetische Anpassung von Tiergewebe, um eine Abstoßung zu verhindern, die Lösung des Organmangels liegt, sei schwierig zu beurteilen, sagt Schneeberger. "Die ersten Erkenntnisse haben einige Fortschritte gebracht, aber auch ein Fragezeichen über das Themengebiet gestellt." Für die ersten Versuche wurden Patienten rekrutiert, die eigentlich zu krank für die Transplantation waren. "Das Problem: Die Ergebnisse waren nicht überzeugend, alle sind verstorben. Es ist schwer, zu unterscheiden, ob das auf den fehlenden Erfolg der Xenotransplantation zurückgeht, oder ob die Personen schon zu krank waren."
Nur weil man Tiergewebe genetisch modifizieren könne, seien noch nicht alle Probleme überwunden. "Das modifizierte Tiergewebe wird nicht mehr hyperakut abgestoßen. Die Patienten überleben jetzt Tage und Wochen. Um endgültig sagen zu können, ob Tierorgane im Menschen auf längere Zeit funktionieren, keine Infektionen auslösen und die Medikamente, die wir zur Verfügung haben, ausreichen, um eine Abstoßung zu verhindern, ist es zu früh." Fraglich sei auch, ob man nun versuchen werde, ein Tierorgan an Patienten zu transplantieren, die in einem besseren Allgemeinzustand sind – "eine schwierige ethische Entscheidung".
Laut Transplant-Jahresbericht 2023 der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) wurden in Österreich vergangenes Jahr 648 Organtransplantationen durchgeführt, der überwiegende Großteil davon mit Organen Verstorbener. Damit ist die Zahl der Organtransplantationen im Vergleich zum Vorjahr (2022: 688) gesunken. Ein Trend, der sich auch mit Blick auf die Jahre davor bestätigt: So fanden etwa 2018 noch fast 800 Organtransplantationen statt.
Im Sinken begriffen sind auch die Organspenderaten. Gab es hierzulande etwa 2018 noch 22,6 Organspenden pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner, waren es im Vorjahr nur noch 17,6.
Jeder in Österreich ist Organspender
In Österreich ist jeder automatisch Organspender, sofern dem nicht zu Lebzeiten widersprochen wird. Warum gibt es überhaupt ein Spenderraten-Problem? Ein Grund sei der Personalmangel, sagt Schneeberger. "Einen Spender zu melden, die Abklärung mit den Angehörigen zu machen und so weiter, ist eine zeitintensive Sache. Da und dort wird aus Zeitnot darauf verzichtet." Zum anderen gebe es wenig Bewusstsein in der Bevölkerung, dass jeder Organspender ist.
Organspende in der Gesundheitskultur verankern
"Wir haben uns in Österreich immer auf diese Gesetzgebung verlassen. So einfach ist es aber nicht, weil man die Angehörigen informieren und abholen muss." Oft sind Verwandte unsicher, ob die Organentnahme wirklich dem Wunsch des Verstorbenen entspricht – "in solchen Fällen sieht man davon ab", weiß Schneeberger, der für eine stärkere Verankerung der Organspende in der heimischen Gesundheitskultur plädiert.
Organbanken dank "Supercooling"
Jüngst gab es bahnbrechende Erfolge, was das "Supercooling" von Organen, sprich das Einfrieren dieser, betrifft. "Die Konservierung unter null Grad könnte in Zukunft zur Eröffnung von Organbanken beitragen", sagt Schneeberger. Fortschritte gebe es auch in der Verbesserung der langfristigen Ergebnisse nach einer Transplantation, indem das Risiko einer Abstoßung dauerhaft erfolgreich reduziert werden kann.
Die größte Herausforderung bleibt der Organmangel. "Vor allem vor dem Hintergrund, dass Studien immer öfter zeigen, dass zum Beispiel Menschen mit Leber-Metastasen wesentlich von einer Leber-Transplantation profitieren könnten." Der Bedarf an Organen könnte damit weiter steigen.
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