Neues Antibiotikum soll gegen resistente Krankenhauskeime wirken
“Wir brauchen dringend neue Antibiotika, um im Wettlauf gegen resistent gewordene Bakterien zu bestehen”, sagt Prof. Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn. In den vergangenen Jahrzehnten seien nicht mehr viele neue Substanzen zur Bekämpfung bakterieller Erreger auf den Markt gekommen. Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekt dürfte es nun gelungen sein, ein neues Antibiotikum zu entdecken und seine Wirkweise aufzuklären.
Clovibactin soll wirksam die Zellwand von Bakterien angreifen und damit auch zahlreiche multiresistente Krankenhauskeime bekämpfen können. Die Forscher veröffentlichten ihre Erkenntnisse nun im Fachjournal Cell.
Wirkstoff wird von einem Bodenbakterium produziert
Das Bodenbakterium Eleftheria terrae subspezies carolina trägt seinen Herkunftsort im Namen: Es wurde aus einer Bodenprobe im US-Bundesstaat North Carolina isoliert und produziert den neuen Wirkstoff Clovibactin, um sich vor konkurrierenden Bakterien zu schützen. “Das neue Antibiotikum attackiert gleichzeitig an mehreren Stellen den Aufbau der bakteriellen Zellwand in dem es essenzielle Bausteine blockiert”, sagt Schneider. Mit ungewöhnlicher Intensität heftet es sich gezielt an diese Bausteine und tötet die Bakterien, indem es ihre Zellhülle zerstört.
Wie das genau funktioniert, haben die Forschungsgruppen aus unterschiedlichen Disziplinen und Ländern gemeinsam entschlüsselt. Das Team um Prof. Kim Lewis vom Antimicrobial Discovery Center der Northeastern University in Boston (USA) und die Firma NovoBiotic Pharmaceuticals in Cambridge (USA) haben Clovibactin mit der iCHip-Apparatur entdeckt. Damit lassen sich Bakterien im Labor züchten, die bislang als unkultivierbar galten und für die Entwicklung neuer Antibiotika nicht zur Verfügung standen.
“Unsere Entdeckung dieses aufregenden neuen Antibiotikums bestätigt die iCHip-Kultivierungstechnologie bei der Suche nach neuen therapeutischen Wirkstoffen aus bisher nicht kultivierten Mikroorganismen“, sagt Dr. Dallas Hughes, Präsident von NovoBiotic Pharmaceuticals, LLC. Das Unternehmen hat gezeigt, dass Clovibactin eine sehr gute Aktivität gegen ein breites Spektrum von bakteriellen Krankheitserregern aufweist und in Modellstudien erfolgreich Mäuse behandelt hat.
Clovibactin umschließt die Zielstruktur wie ein Käfig
Den Wirkungsmechanismus des neuen Antibiotikums haben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter um Tanja Schneider nun aufgeklärt. Die Bonner Forschenden konnten zeigen, dass Clovibactin ganz gezielt und mit hoher Spezifität an Pyrophosphatgruppen bakterieller Zellwandbausteine bindet. Wie genau diese Bindung aussieht, hat die Gruppe um Prof. Markus Weingarth aus dem Fachbereich Chemie der Universität Utrecht in den Niederlanden aufgedeckt.
Mit Festkörper-NMR-Spektroskopie haben die Forschenden die Struktur des Komplexes aus Clovibactin und der bakteriellen Zielstruktur Lipid II entschlüsselt – und das unter ähnlichen Bedingungen, wie sie in der Bakterienzelle vorkommen. Diese Untersuchungen zeigten, dass Clovibactin um die Pyrophosphatgruppe greift. Daher rührt auch der Name “Clovibactin”, abgeleitet vom griechischen “Klouvi” (Käfig), weil es die Zielstruktur wie ein Käfig umschließt.
Kombinierte Attacke minimiert Resistenzentwicklung
Clovibactin wirkt vor allem auf grampositive Bakterien. Hierzu zählen die als “Krankenhauskeime” bekannten MRSA, aber auch die Erreger der weit verbreiteten Tuberkulose, an der weltweit viele Millionen Menschen erkranken. “Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bakterien nicht so schnell Resistenzen gegen Clovibactin entwickeln,” sagt Schneider. Denn die Erreger können die Zellwandbausteine nicht so leicht verändern, um das Antibiotikum zu unterlaufen – ihre Achillesferse bleibt damit bestehen.
Doch Clovibactin soll noch mehr können: Nach dem Andocken an die Zielstrukturen bildet Clovibactin faserartige Strukturen aus, die die Zielstrukturen fest umschließen und die Bakterienzellen weiter schädigen. Bakterien, die auf Clovibactin treffen, werden außerdem dazu angeregt, bestimmte Enzyme - sogenannte Autolysine - freizusetzen, die nun unkontrolliert die eigene Zellhülle auflösen. “Die Kombination dieser verschiedenen Mechanismen ist der Grund für die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit gegenüber Resistenzen”, sagt Tanja Schneider. Dies zeigt, welches Potenzial noch in der natürlichen Vielfalt der Bakterien steckt, die für neue Antibiotika in Frage kommen.
“Ohne die interdisziplinäre Kooperation zwischen den Partnern wäre dieser wichtige Schritt im Kampf gegen Resistenzen nicht gelungen”, sagt Prof. Markus Weingarth. Das Forschungsteam will nun seine Erkenntnisse nutzen, um die Wirksamkeit des Clovibactin weiter zu steigern. “Doch bis das neue Antibiotikum auf dem Markt kommt, ist es noch ein weiter Weg”, sagt Schneider.
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