Erster Test erkennt frühzeitig erhöhtes Risiko für Multiple Sklerose

Das Bild zeigt ein Geflecht von Nervenzellen: Bei Multiple Sklerose kommt es an den Fortsätzen der Zellen zu entzündlichen Veränderungen.
Forschungsteams der MedUni Wien haben einen Test entwickelt, der Jahre vor den ersten Symptomen einen Risikofaktor im Blut anzeigt.

Könnte es eines Tages möglich sein, den Ausbruch einer Multiplen Sklerose (MS) zu verhindern oder zumindest stark zu verzögern? Forschungsteams vom Zentrum für Virologie und der Uniklinik für Neurologie der MedUni Wien sind diesem Ziel einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Sie haben einen Bluttest entwickelt, der Personen, die ein hohes Risiko für die Entwicklung einer MS haben, mit hoher Wahrscheinlichkeit ausfindig macht – und das lange, bevor erste Symptome der MS auftreten.

Dieser Antikörpertest wurden von Forschungsteams um Elisabeth Puchhammer-Stöckl und Hannes Vietzen (Zentrum für Virologie der MedUni Wien) sowie um Thomas Berger und Paulus Rommer (Uni-Klinik für Neurologie der MedUni Wien) entwickelt.  Ihre Studie dazu haben sie jetzt im renommierten Fachjournal Nature Communications veröffentlicht. Vor einer routinemäßigen Anwendung sind aber weitere Studien notwendig, der Test ist auch noch nicht kommerziell verfügbar.

Multiple Sklerose: Die Rolle des Epstein-Barr-Virus

95 Prozent  der Bevölkerung infizieren sich mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), das zu den Herpesviren zählt. Infektionen in der Kindheit verlaufen meist (aber nicht immer) ohne Symptome, Infektionen bei Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen gehen häufiger mit Symptomen einher, dem „Pfeifferschen Drüsenfieber“. Rund ein Viertel der Bevölkerung ist von dieser Entzündung der Lymphknoten und des Rachenraums betroffen.

Pfeiffersches Drüsenfieber als Risikofaktor für Multiple Sklerose

Durchgemachtes Pfeiffersches Drüsenfieber erhöht das Risiko, später einmal MS zu entwickeln  – tatsächlich ist das aber nur bei einem kleinen Prozentsatz der Fall.  Bei diesen Personen kommt es in der Folge der EBV-Infektion zu einer überschießenden und fehlgeleiteten Reaktion des Immunsystems: Immunzellen, die davor schützen sollten, werden irrtümlicherweise gehemmt. Dadurch bilden sich in den Jahren nach dem Pfeifferschen Drüsenfieber sogenannte Autoantikörper, die sich nicht nur gegen einen ganz bestimmten Abschnitt der Virusoberfläche richten – sondern auch Nervenzellen im Gehirn attackieren. Dies kann letztlich die Entstehung einer MS verursachen.

In einer früheren Arbeit konnten die Forschungsteams der MedUni Wien bereits zeigen, dass bestimmte Eigenschaften des Immunsystems der jeweiligen Person und bestimmte Virusvarianten eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf eine EBV-Infektion begünstigen.

Für die aktuelle Studie wurden in Biobanken gelagerte Blutproben von mehr als 700 MS-Patientinnen und Patienten analysiert und mit jenen von mehr als 5.000 Kontrollpersonen verglichen. Das Besondere: „324 dieser MS-Patientinnen konnten bis zum Pfeifferschen Drüsenfieber, der Erstinfektion mit dem Epstein-Barr-Virus,  zurückverfolgt werden“, sagt Virologin Puchhammer zum KURIER. 

Aus dem Zeitraum zwischen Pfeifferschem Drüsenfieber und der Diagnose von MS konnten mit dem Test jeweils vier Blutproben auf diese Antikörper untersucht werden. „Innerhalb von zwei bis drei Jahren nach der Infektion waren sie mit dem Test bei den allermeisten Patienten im Blut nachweisbar – lange vor den ersten MS-Symptomen“, berichtet Puchhammer.

„Unsere Untersuchungen zeigen, dass Personen, bei denen diese Antikörper an mindestens zwei Messpunkten nachweisbar sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Folgejahren eine MS entwickeln“, so der Studienerstautor und Virologe Hannes Vietzen in einer Aussendung der MedUni Wien. „Bei jenen, bei denen in allen Proben die Konzentration sehr hoch war, trat die MS am frühestens auf – teilweise bereits drei Jahre nach der Infektion mit EBV“, ergänzt Puchhammer. Im Schnitt kam es bei Patienten, die konstant hohe Antikörper hatten, drei bis vier Jahre nach der EBV-Infektion zur MS-Diagnose, so Neurologe Berger zum KURIER. 

Der neue Test: Für welche Personen er gedacht ist

Und wie könnte man den neuen Test künftig anwenden? „Man könnte  bei Personen, die Pfeiffersches Drüsenfieber hatten, in regelmäßigen Abständen Blutproben auf diese Autoantikörper untersuchen. Sind die Werte mehrmals deutlich erhöht, könnte man ein MRT des Gehirns machen, um zu sehen, ob es dort auch bereits Entzündungsherde gibt – ein sogenanntes radiologisch isoliertes Syndrom einer MS, wo man zwar im MRT Entzündungszeichen sieht, es aber noch keine Symptome gibt“, sagt Berger.

„So wäre es möglich, diese Personen  so früh zu untersuchen und zu behandeln, dass der Ausbruch der MS verzögert oder vielleicht sogar verhindert werden kann“, erläutert Co-Studienleiter und Neurologe Paulus Rommer.

Bisher wurden solche frühen Hinweise einer möglichen späteren MS-Erkrankung nur zufällig entdeckt – weil ein MRT des Kopfes aus anderen Gründen gemacht wurde, etwa wegen einer Gehirnerschütterung.

Um ganz sicher zu sein, dass  mehrfach stark erhöhte Antikörperwerte tatsächlich mit frühen, noch symptomlosen Entzündungszeichen in Zusammenhang stehen, plant das Forschungsteam  eine weitere Studie: „Wenn wir jetzt in aufbewahrten Blutproben von Patienten mit  auffälligen Zufalls-MRTs auch stark erhöhte Werte dieser Autoantikörper finden, dann wissen wir, dass wir Patienten, wo beides zusammenfällt, sofort gegen MS therapieren können“, unterstreicht Berger.

Prävention von Multiple Sklerose: Wie der Testablauf in der Praxis aussehen könnte

In der Praxis hieße das: Nach einem Pfeifferschen Drüsenfieber werden nach zirka einem Jahr zwei bis drei Blutabnahmen in zeitlichen Abständen von mehreren Monaten genommen. Treten mehrfach stark erhöhte Werte dieser Autoantikörper auf, wird ein MRT durchgeführt.  Sieht man dann darin bereits entzündliche Herde im Gehirn – kommt also beides zusammen – könnte bereits mit einer Therapie gegen MS begonnen werden, auch wenn der Patient noch gar keine Symptome hat. Berger: „Vielleicht ist es dann schon bald  möglich, eine effiziente Prävention für MS anzubieten.“

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