KURIER Gesundheitstalk: Multiple Sklerose heißt nicht Stillstand

Barbara Kornek, Christian Strasser, Moderatorin Gabriele Kuhn und Gabriel Bsteh beim KURIER Gesundheitstalk im Wiener Van-Swieten-Saal.
Rund 13.500 Menschen in Österreich leben mit der Diagnose Multiple Sklerose (MS), einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems. Beim KURIER-Gesundheitstalk, der in Kooperation mit Novartis und der MedUni Wien veranstaltet wurde, drehte sich alles um neue Therapiechancen, eine verbesserte Prognose für Betroffene – und um das Leben mit einer chronischen Erkrankung, die so individuell ist wie die Menschen, die mit ihr leben – nicht umsonst nennt man sie auch die „Krankheit der 1000 Gesichter“. Zu Gast waren die Neurologin Barbara Kornek und der Neurologe Gabriel Bsteh, beide von der MedUni Wien, sowie Christian Strasser von der MS Gesellschaft Wien.
Zwischen Schub und Progression
„Wenn man sich den Nerv wie ein biologisches Kabel vorstellt“, erklärte Gabriel Bsteh, „dann ist die Myelinschicht die schützende Ummantelung. Genau diese wird bei MS beschädigt – und das führt zu Leitungsstörungen.“ Dabei unterscheidet man zwei Prozesse: Einerseits akute Entzündungen, die plötzlich neue Symptome auslösen – andererseits eine schleichende, kaum bemerkbare Progression, bei der sich der Zustand langsam verschlechtert.
Barbara Kornek betonte, dass genetische Veranlagung und Umweltfaktoren zusammenspielen. „Man kann nichts falsch machen – aber man kann auch nicht verhindern, an MS zu erkranken“, so die Expertin.
Eines wird anhand der Zahlen jedoch deutlich: Es erkranken mehr Frauen an Multipler Sklerose. Warum? Das ist nicht abschließend geklärt, so Bsteh: „Wie immer bei geschlechtsspezifischen Unterschieden liegt der Verdacht auf hormonellen Ursachen nahe – aber wir wissen es nicht genau.“ In seltenen Fällen kann MS auch im Kindesalter oder bei Menschen über 60 ausbrechen.
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Keine Heilung, aber Verbesserung
Doch auch wenn Multiple Sklerose als unheilbar gilt, haben sich die Aussichten für Menschen mit MS doppelt verbessert. „Früher war die Krankheit mit der Vorstellung vom Rollstuhl verbunden“, erinnerte Strasser. „Das war vielleicht damals noch zutreffend – aber heute sind wir davon weit entfernt.“ Auch Kornek machte Mut: „Heute weiß man bei einer Diagnose, dass man in 20 Jahren wahrscheinlich noch gut gehen kann. Das war früher nicht der Fall.“ Grund dafür ist der große medizinische Fortschritt hinsichtlich Diagnose und Therapie. Die Zeit von den ersten Symptomen bis zur Diagnose hat sich laut Bsteh „sehr, sehr verkürzt“.
Es braucht eine gute Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patienten um offen Dinge und Bedenken zu besprechen.“
Hocheffektive Therapien
Christian Strasser bestätigte: Lange diagnostische Irrwege seien heute die Ausnahme. Auch das Angebot der Therapien hat sich um einiges vervielfacht, wie Kornek betont: „Es gibt Therapien in Form von Spritzen, Infusionen oder Tabletten - in einer Zeitspanne von einmal alle sechs Monate bis zweimal täglich. Es kann also an viele Lebensumstände angepasst werden.“ Darunter sind auch sogenannte „hocheffektive Therapien“, die Entzündungen und Progression gezielt verhindern –mit dem Ziel, eine bleibende Behinderung zu vermeiden oder zumindest hinauszuzögern. „Aufgrund ihrer Wirkung hat sich der Trend sehr stark dahingehend entwickelt, dass man diese ’hocheffektiven Therapien’ häufiger, früher und stärker einsetzt als noch vor einigen Jahren“, so Bsteh. Sie alle greifen in das Immunsystem ein, was eine erhöhte Infektanfälligkeit mit sich bringen kann. Dennoch: „In den allermeisten Fällen werden die Medikamente sehr gut vertragen“, beruhigt Kornek.
Angst ist nicht immer nur schlecht – sie kann auch helfen, den richtigen Weg zu finden.“
Vertrauensbasis
Wichtig sei zudem die regelmäßige Evaluierung. „Die Entscheidung für eine Therapie ist immer eine Momentaufnahme“, so Bsteh. Das breite Spektrum an Wirkstoffen erlaube es, individuelle Lebensumstände – etwa eine Schwangerschaft – zu berücksichtigen. „Das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Mittlerweile ist es kein Problem mehr“, so der Neurologe, der auch auf die Bedeutung eines guten Verhältnisses zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient hinweist: „Es braucht eine Vertrauensbasis, damit man offen Dinge und Bedenken ansprechen kann. Außerdem ist es wichtig, dass sich Patientinnen und Patienten auch an die Therapieempfehlungen und -absprachen halten.“
Früher war die Krankheit mit der Vorstellung vom Rollstuhl verbunden – heute sind wir davon weit entfernt.“
Hürden bleiben bestehen
Doch auch wenn der medizinische Fortschritt klar erkennbar ist, gibt es gesellschaftlich noch deutliche Hürden für Betroffene. Angefangen bei einer niedrigeren Einkommensquote aufgrund von Teilzeitbeschäftigungen und Frühpensionierungen bis hin zu Hürden im System, wie Strasser erklärt: „Wenn man über Lebensqualität spricht, geht es nicht um Wellness, sondern um das Beseitigen von Barrieren – seien sie architektonisch oder bürokratisch.“ In diesen Fällen bietet die MS Gesellschaft Wien Beratung und unterstützt bei Behördenwegen. Auch Selbsthilfegruppen spielen eine wichtige Rolle: „Gerade am Anfang ist es oft hilfreich, mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten“, so Strasser. Auch psychologische Hilfe ist für Betroffene und deren Angehörige oft hilfreich – manchmal reicht schon ein Beratungsgespräch. Bedenken jeglicher Art seien nach einer solchen Diagnose verständlich, wie Kornek ergänzt: „Angst ist nicht immer nur schlecht – sie kann auch helfen, den richtigen Weg zu finden.“ In der medizinischen Forschung wird intensiv an Möglichkeiten zur Heilung und Vorbeugung der Multiplen Sklerose gearbeitet.
Bis es jedoch so weit ist, geht es darum, Menschen mit MS, Mut zu machen und aufzuzeigen, dass ein gutes Leben mit Multipler Sklerose möglich ist. „Es ist wichtig, dass nicht die Krankheit das Leben bestimmt, sondern dass das Leben trotz der Krankheit stattfindet“, so Bsteh.
Mehr Infos zur MS Gesellschaft Wien finden Sie auch online unter www.msges.at
Der KURIER Gesundheitstalk
Der KURIER Gesundheitstalk in Zusammenarbeit mit der MedUni Wien und Novartis, greift aktuelle Gesundheitsthemen auf und informiert über jüngste Forschungsergebnisse. Bei den Diskussionsveranstaltungen besprechen Expert*innen und Betroffene ein Thema und stehen für die Fragen zur Verfügung. Mehr dazu finden Sie hier.