Eine Mutter erzählt: Unser Weg aus Long Covid

Ein Kind sitzt im Schlafanzug auf einem Bett und hält sich den Kopf vor einem hellen Fenster.
Der elfjährige Andi konnte nur noch liegen. Wie seine Mutter ihm aus dem Erschöpfungssyndrom half und warum sie sich vom Gesundheitssystem im Stich gelassen fühlt.

Als Andi in den Sommerferien hohes Fieber und starken Schwindel bekam, ahnte die Familie nicht, wie sehr sich ihr Leben ändern würde. „Wir dachten, es ist ein Infekt“, erinnert sich seine Mutter Katharina B. Doch das Fieber kam immer wieder, der Schwindel blieb. Hinzu kamen Müdigkeit und Konzentrationsprobleme, die den Elfjährigen stark einschränkten. Der Kinderarzt fand nichts, sein Zustand wurde zunehmend schlechter.

Der vormals sehr gute Schüler konnte ab Mitte September nur mehr tage-, später nur mehr stundenweise in die Schule gehen, musste sehr viel liegen. „Mein Sohn war in einem massiven Erschöpfungszustand“, erzählt B. Arztbesuche brachten keine Lösung. Später bekam Andi zusätzlich Herzrasen, es folgte die Diagnose POTS (Posturales Tachykardiesyndrom), wodurch der Puls selbst bei kleinsten Belastungen nach oben schnellt.

Er konnt nur noch liegen

An Schulbesuch war nicht mehr zu denken, der Bub konnte nur noch liegen. Der Verdacht auf Long Covid kam auf. Die Familie meldete Andi in einer Spezialambulanz an – die damals noch geöffnet war (siehe unten). Wartezeit: drei Monate. „Erst im Dezember durften wir endlich hin“, erzählt B. Die dafür geforderten Untersuchungen in drei Monaten zu bekommen, war extrem schwierig und nur über Wahlärzte möglich. „Für Andi war es ein großer Stress vieles mitzumachen, wo man eigentlich weiß, dass das für Long Covid Patienten kontraproduktiv ist.“

Die Hoffnung auf Hilfe in der Ambulanz erfüllte sich nicht. „Sie haben gesagt, sie finden nichts, was gegen Long Covid spricht – aber auch nichts, was es eindeutig bestätigt.“ Eine weitere Betreuung gab es nicht: keine Therapie, keine Nachsorge. Nur eine Überweisung für eine Reha Monate später. „Das war extrem enttäuschend. Man wird dorthin verwiesen, in der Hoffnung, dass einem geholfen wird – aber es gibt kein Angebot.“

Aufzugeben war für die Eltern keine Option. B. begann sich intensiv zu Long Covid und ME/CFS einzulesen. Aus Büchern, Fachartikeln und Online-Foren versuchte sie, das Passende für ihren Sohn zu finden. „Wenn ich dem Gesundheitssystem vertraut hätte, wäre er heute schwer pflegebedürftig“, ist sie überzeugt. Stattdessen führte sie ihn Schritt für Schritt heraus aus der Erschöpfung.

Ein selbst entwickeltes Programm brachte die Wende

Entscheidend war Pacing, eine Methode, mit der Betroffene ihre begrenzte Energie so einteilen, dass sie Überlastungen vermeiden und langsam wieder Stabilität gewinnen. Mittels Pulsuhr verfolgte B. Andis Überlastung – selbst beim Zähneputzen stieg der Puls stark an. Beim kleinsten Anzeichen von Überforderung machte Andi sofort Pause. Gemeinsam mit einer erfahrenen TCM-Ärztin arbeitete die Familie daran, Andis „Energiehaushalt“ wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Erst nach Monaten, rund um den Jahreswechsel dann die Wende: „Zu Weihnachten haben wir gemerkt, dass es nicht mehr schlechter wird, ab Jänner ging es leicht bergauf.“ B. ist davon überzeugt, dass ihr selbst entwickelter ganzheitlicher Ansatz zum Erfolg geführt hat. Sie entwarf einen Tagesplan, ließ Andi sein tägliches Energielevel einschätzen. Sie kombinierte TCM-Kräuter, neurologische Übungen gegen den Schwindel, Akupressur und Pacing, stellte Andis Ernährung um. Immer im Blick: die Pulsuhr. „Er hat bei allem mitgemacht, aber er war auch an der Kippe zur Depression.“ B. dokumentierte jeden Fort- und jeden Rückschritt, suchte nach Mustern. Die Schule zeigte sich sehr verständnisvoll, eine Schularbeit konnte Andi nahezu liegend schreiben. „Das war nicht selbstverständlich – andere Kinder der später folgenden Reha hatten enormen Druck von der Schule.“

Im Frühjahr erhielt Andi den ersehnten Reha-Platz. Die Erwartungen waren groß, doch vieles war ernüchternd. „Das Programm war viel zu starr“, erzählt die Mutter. Schon nach dem ersten Tag erlebte er einen „Crash“, einen totalen Zusammenbruch – zu viele Termine, zu wenig Pausen. Standardisierte Abläufe statt Eingehen auf individuelle Bedürfnisse sorgten für Überlastung. „Man schaut nicht, was der einzelne Mensch braucht. Das ist das Grundproblem unseres Gesundheitssystems.“ Trotzdem wurde der Zustand während der Reha besser – durch den Tapetenwechsel, meint B. heute. „Wir waren draußen, konnten langsam Spaziergänge machen, haben uns erholt“, meint sie rückblickend.

Fast wie früher

Heute, zwei Jahre später, geht es Andi wieder gut – fast so wie früher. „Ich würde sagen, zu 98 Prozent passt es“, meint seine Mutter. „Er hat etwas weniger Energie als früher, und Lernen fällt ihm manchmal schwerer.“ Andi geht in die Schule, kann wie früher Slacklinen und Tennisspielen.

Aus ihrer Erfahrung heraus hat die Mutter klare Vorstellungen, was Long-Covid-Betroffene wirklich brauchen: „Jeder Betroffene sollte einen Mentor bekommen – jemanden, der das Wissen hat, die richtigen Schritte kennt und unterstützt.“ Menschen mit Fatigue seien nicht in der Lage, sich selbst zu organisieren. Sie bräuchten Angebote für zu Hause. B. wünscht sich „echte Kompetenzzentren“, die auch online arbeiten, etwa mit Videocalls, individuell beraten und verschiedene Therapieformen verbinden – von Medizin über Ernährung bis Bewegung. „Long Covid ist eine systemische Erkrankung, sie betrifft den ganzen Menschen, also muss man auch den ganzen Menschen behandeln.“

Ihr Fazit fällt deutlich aus: Das Gesundheitssystem hätte keine Antworten auf systemische Krankheiten, es sei geradezu hilflos und Long Covid Patienten blieben dabei auf der Strecke. „Als wir nach vielen harten Monaten das Pflegegeld zurücklegten, sagte die Ärztin der Sozialversicherung zu mir, dass sie zum ersten Mal einen Fall sieht, wo bei diesem Schweregrad wieder eine Heilung eingetreten ist. Das werde ich nie vergessen.“

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