Kindergetränke als Zuckerfalle: "Oft müssen alle Milchzähne gezogen werden"

Trinkpackerl und Bubble Teas übersteigen mit bis zu 60 Gramm Zucker pro Packung oft die gesamte empfohlene Tagesdosis für Kinder um mehr als die Dreifache, kritisiert Foodwatch Österreich.
Quietschige Farbe, spielerische Verpackung, handliches Format: Kindergetränke locken kleine Konsumentinnen und Konsumenten auf allen Ebenen. Bei Buben und Mädchen besonders beliebt: der zuckersüße Geschmack.
Verbraucherschützer warnen seit Jahren vor flüssigen Zuckerbomben und ihren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Foodwatch Österreich hat nun erneut 112 Kinderdrinks aus Supermärkten, Drogerien und Diskontern auf ihren Zuckergehalt geprüft. Mit beunruhigendem Ergebnis: Das Gros der Getränke ist völlig überzuckert, kritisieren die Fachleute.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Vier- bis Siebenjährigen nicht mehr als 19 Gramm Zucker pro Tag, das entspricht fünf bis sechs Stück Würfelzucker. Um diese Grenze zu überschreiten, reicht meist ein einziges Kindergetränk: Im Schnitt brachten es die getesteten Produkte auf 24 Gramm Zucker pro Packung, bei manchen waren die Werte um ein Vielfaches höher.
Kann eine Zuckersteuer die Lösung sein? Wie können Eltern reagieren, wenn ihr Kind allgemein zu viel Zucker konsumiert? Und was kann dahinterstecken? Der KURIER hat darüber mit Diätologin Stephanie Büchler gesprochen.
KURIER: Acht von zehn Kinderdrinks enthalten laut neuesten Analysen viel zu viel Zucker. Warum ist das problematisch?
Stephanie Büchler: Ich sehe in der Ernährungsberatung oft Kinder, die einen Großteil ihres Energiebedarfs über solche Getränke decken. Dabei kommen andere Nährstoffe zu kurz und das Kind kann Mangelerscheinungen bekommen. Sehr sportliche, ältere Kinder können von kohlenhydrathaltigen Getränken während des Trainings profitieren, allerdings sehe ich keinen Benefit in der allgemeinen Alltagsernährung. Unabhängig vom Alter sind zuckerhaltige Getränke besonders für die Zahngesundheit der Kinder problematisch.
Sie sprechen das Kariesrisiko an?
Zucker beeinflusst die Zähne und die Zahngesundheit massiv. Eltern sind sich dessen oft nicht bewusst. Sie würden nicht glauben, wie oft es vorkommt, dass alle Milchzähne gezogen werden müssen, weil das Milchgebiss voller Karies ist. Danach kann man nur hoffen, dass die zweiten Zähne nicht auch bereits betroffen sind.
Welche langfristigen Folgen kann der übermäßige Konsum haben?
Durch die stark süße Geschmacksprägung können andere, gesündere Lebensmittel irgendwann "langweilig" schmecken, dann wird meist weniger davon gegessen. Wenn man Kindern, die viel Süßes essen und trinken zum Beispiel eine reife Erdbeere gibt, dann schmeckt sie für sie vor allem sauer. Weil die Geschmackswahrnehmung schon so geprägt wurde, dass nur Süßes richtig süß ist und etwa natürlich-fruchtige Süße gar nicht mehr so wahrgenommen wird. Außerdem kann es schneller zu einem Energieüberschuss kommen, was zu Mehrgewicht führen kann. Ein sehr hoher Zuckerkonsum ohne entsprechende Bewegung kann langfristig Übergewicht und Diabetes Typ 2 begünstigen.
Haben alle Eltern ein Bewusstsein dafür, dass zu viel Zucker zu Gewichtsproblemen führen kann?
Nein. Die, die es haben sollten, haben es oft nicht und die, bei denen es passt, sorgen sich zu viel. Genau hier liegt das Problem. Es wäre also wichtig, auch Eltern dahingehend besser zu schulen.
Leistet häufiger Konsum später dem Trinken von Soft- oder Energydrinks Vorschub?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Im Gegenteil: Es gibt Kinder, die mit striktem Zuckerverbot aufgewachsen sind und in ihrer Jugend alles nachholen.
Davon, Zucker zum Tabu zu machen, raten Sie also ab?
Ja. Verbote sind ungünstig und Zucker sollte im Idealfall als Ergänzung zur Basisernährung im Leben eines Kindes existieren. Süßigkeiten oder der Geburtstagskuchen gehören zur gesunden Ernährung dazu. Das hat ernährungspsychologische Gründe, denn Kinder müssen lernen, damit umzugehen, und ein bewusstes Konsumverhalten entwickeln.
Was halten Sie von einem Zuckerverbot in den ersten Lebensjahren?
Die ersten Jahre sind sehr prägend und die meisten Eltern vermeiden zumindest im ersten Jahr Zucker, im zweiten Lebensjahr wird man schon weniger streng. Ich glaube, dass es in der Theorie gut ist, möglichst spät mit zuckerhaltigen Lebensmitteln anzufangen, aber es muss in den Alltag passen. Ich als Diätologin muss immer die ganze Familie und die Bedürfnisse jedes Familienmitglieds miteinbeziehen. Es ist immer auch eine Frage der Umsetzbarkeit.
Welche Rolle spielt die Vermarktung von Kinderdrinks?
Eine große. Die Verpackungen sind in den Supermärkten in Sichthöhe der Kinder und altersadäquat ansprechend und enthalten also Tiere, Comicfiguren und so weiter. Auch Social Media spielt eine immer größere Rolle, wenn Influencerinnen und Influencer Kooperationen mit Getränkeherstellern haben, beispielsweise, und entsprechende Getränke bewerben.
Da werden oft Erzeugnisse mit "gesunden" Werbeversprechen propagiert …
Das sind oft Zuckerfallen. Glücklicherweise dürfen Hersteller nicht mehr mit allem werben, aber am Ende ist jeder Konsument aufgerufen, Nahrungsmittel selbst zu prüfen.
Wie sieht es mit dem Glas Orangensaft zum Frühstück in puncto Zucker aus?
In Maßen und wenn es der Erfrischung und dem Genuss ist, ist es in Ordnung. Am besten wäre frisch gepresst oder entsaftet und verdünnt.
Studien zufolge ist hierzulande jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen übergewichtig oder adipös, also hochgradig übergewichtig. Prognosen zufolge könnte 2030 schon jedes zweite Kind betroffen sein.
Welche Tipps haben Sie für Eltern, um den Zuckerkonsum ihrer Kinder zu reduzieren?
Ich würde zum Beispiel raten, Softdrinks auszutauschen und mit immer stärker verdünnten Fruchtsäften zu ersetzen. Wenn Kinder Zucker wirklich im Übermaß konsumieren, stellt sich auch die Frage, warum das so ist. Was fehlt in der Basisernährung? Ist es ein Ersatz für Zuwendung oder gibt es ein emotionales Problem? Ab zur Ernährungsberatung!
Was halten Sie von politischen Lenkungsmaßnahmen, z. B. einer Zuckersteuer oder Werbeverboten?
Nicht viel, weil sie nicht wirklich in der Zielgruppe ankommen. Es wäre mit lieber, wenn Kinder möglichst früh in der Schule über Ernährung aufgeklärt würden und dann selbst entscheiden können. Sie sind die zukünftigen Konsumentinnen und Konsumenten. Hier sollte investiert werden.
Was wären weitere effektive Interventionen?
Ich persönlich finde, dass es niedrigere Grenzwerte für Zucker in Kinderprodukten braucht und vor allem Werbebeschränkungen auf Social Media.
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