"Solche Präparate haben auf gesunder Kinderhaut dezidiert keine Daseinsberechtigung", sagt sie. Sie enthalten hochwirksame Inhaltsstoffe, die junge Haut schädigen können. "Produkte mit AHA, einer Fruchtsäure, liegen zum Beispiel hoch im Kurs", sagt Jahn-Bassler. Solche Peelingsäuren können jedoch Allergien oder entzündliche Veränderungen auslösen. "Selbst Erwachsene müssen den Wirkstoff anfangs sehr niedrig dosieren."
Risiko unter Fachleuten umstritten
Retinol wiederum sei "ein super Inhaltsstoff, aber klar auf Anti-Aging ausgelegt. Zehnjährige brauchen ihn noch nicht – und selbst Personen im richtigen Alter müssen bei der Dosis aufpassen". So könne es bei unbedachter Anwendung zu Reizungen kommen. "Retinol macht die Haut stark lichtsensibel, sodass es zu Hautschäden kommt, wenn kein adäquater Sonnenschutz verwendet wird." Das begünstige die Entstehung von Hauttumoren.
Ganz anders sieht das Daisy Kopera von der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie: "Meiner Ansicht nach ist damit nicht wirklich eine Gefahr verbunden, die nachhaltige Schäden verursachen kann. Zumal Inhaltsstoffe wie Retinol auch in der Aknetherapie angewandt werden." Auch Peptide oder Vitamine in Cremes würden Kindern nicht schaden. Wenn in Anti-Aging-Tagespflegeprodukten Lichtschutzfilter eingebaut seien, könne das sogar gut für Kinderhaut sein.
Weitaus problematischer sieht Kopera breitenwirksame Influencer-Werbung für Pflegeprodukte in sozialen Netzwerken: "Schädlich ist das allen voran für die Geldbörsen der Eltern." Dass Influencer Treiber der jüngsten Entwicklungen sind, indem sie derartige Produkte bei ihrem jungen Publikum anpreisen, bestätigt auch Jahn-Bassler. Auch sie nimmt die Hersteller in die Pflicht: "Die Marken selbst sehen keine Mitschuld an dieser unpassenden Dynamik. Aber viele junge Mädchen fühlen sich von den farbenfrohen Verpackungen und kindgerechten Pumpspendern angezogen."
In Österreich beobachte man die von der britischen Fachgesellschaft umrissene Entwicklung laut Kopera zudem nicht. Anders in England: Im Interview mit dem Guardian erinnert sich eine Mutter etwa an die jüngste Weihnachtswunschliste ihrer neunjährigen Tochter. Darauf waren keinerlei Spielsachen, dafür teure Anti-Aging-Seren zu finden. Im Gespräch mit der BBC berichtet eine andere Mutter von den Folgen: Fasziniert von den spielerisch gestalteten Verpackungen, bediente sich ihre achtjährige Tochter an den elterlichen Kosmetika – und klagte wenig später über stark gerötete, juckende Haut.
Überbordende Experimentierfreude hat laut Jahn-Bassler noch einen anderen Preis: "Alle, die häufig ihre Routine ändern, gehen das Risiko ein, eine periorale Dermatitis zu bekommen. Dahinter verbirgt sich ein entzündlicher Hautausschlag im Gesicht – Hautprobleme, ausgelöst durch Hautpflege."
Weniger ist bei junger Haut mehr
Ist die Haut eines Kindes bis zum Teenageralter gesund, "bedarf es keiner Pflege über die tägliche Hygiene hinaus", sagt Jahn-Bassler. Im Winter sei Kälteschutz ein Thema. "Im Sommer braucht es Sonnencreme, das war’s", sagt die Fachärztin. "Kinder mit Hauterkrankungen benötigen andere Produkte. Bei Teenagern mit Akne kommen Retinol und Fruchtsäuren ärztlich angeleitet und gezielt zum Einsatz."
Eltern, die mit ausufernden Beauty-Wünschen ihres Nachwuchses konfrontiert sind, rät Jahn-Bassler, Freude am Selbermachen zu wecken: "Selbst produzierte Tonerde- oder Gurkenmasken klingen vielleicht unspektakulär, das Zubereiten macht aber Spaß. Und die Haut freut sich."
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