Influenza: Ein neues Medikament wird demnächst in der EU zugelassen

Eine kranke Frau liegt im Bett und schläft.
Nach den Neuraminidasehemmern - Stichwort "Tamiflu" - gibt es jetzt erstmals seit 20 Jahren wieder einen neuen Wirkstoff.

Erstmals nach vielen Jahren mit "Tamiflu" (Oseltamivir) - rechtzeitig zur saisonalen Influenzasaison 2020/2021 - dürfte die EU ein neues ursächlich wirksames Influenza-Medikament freigeben: Baloxavir mit einem neuen Wirkprinzip. Das zuständige Fachgremium der Europäischen Arzneimittelagentur EMA hat es der EU-Kommission zur Zulassung für Patienten über zwölf Jahre empfohlen, teilte der Schweizer Pharmakonzern Roche am Freitag mit.

Vor rund 20 Jahren wurden mit den sogenannten Neuraminidasehemmern Zanamivir (als Pulverinhalation) und Oseltamivir (orale Einnahme) die ersten wirksamen Influenza-Virusstatika weltweit zugelassen. Längstens binnen 48 Stunden nach Symptombeginn eingenommen, verringern sie Schwere und Dauer der Erkrankung. Auch eine medikamentöse Prophylaxe kann damit erfolgen. Österreich lagerte in den Jahren vor der A(H1N1)-Schweinegrippe-Pandemie (2009/2010) Tamiflu für die Behandlung von vier Millionen Personen ein. Die Neuraminidasehemmer entfalten ihren Effekt über die Blockierung des Influenzavirus-Enzyms Neuraminidase, welches nach dem Entstehen der Proteinketten für neue Viren in infizierten Zellen deren Zurechtschneiden passenden Teile für neue Erreger besorgt.

Nun soll mit Baloxavir ein anderes Wirkprinzip auf den Markt kommen. In den USA ist das Medikament bereits seit vergangenem Jahr zugelassen. Es handelt sich dabei um einen Substanz, welche eine Endonuclease-Enzym-Funktion der Viren am Beginn ihre Replikation in infizierten Zellen hemmt. Ein Polymeraseenzym sorgt dabei dafür, dass die RNA-Erbsubstanz der Erreger in eine mRNA (Boten-RNA) umgeschrieben wird. Diese ist die Bauanleitung für die Synthese neuer Virusbestandteile. Damit soll die Virusvermehrung am Beginn ihres Zyklus unterbunden werden.

Baloxavir wird oral eingenommen. Wiederum sollte das spätestens innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn erfolgen. Es genügt aber - im Gegensatz zur tagelangen Einnahme von Oseltamivir - eine Dosis. Die Halbwertszeit der Substanz im Körper beträgt etwa 80 Stunden.

Für die Wirksamkeit liegen drei große Studien der Phase III vor. In der sogenannten Capstone-1-Untersuchung in den USA und Japan erhielten 1.436 Influenzapatienten im Alter über zwölf Jahren entweder das echte Medikament, ein Placebo oder Oseltamivir. Die durchschnittliche Dauer der Symptome sank von 80,2 auf 53,7 Stunden. Dieser Unterschied war statistisch hoch signifikant. Die Krankheitsdauer zwischen den mit Baloxavir bzw. Oseltamivir Behandelten unterschied sich nicht von einander. Beide Arzneimittelklassen wirken sowohl gegen Influenza A- als auch gegen Influenza B. Baloxavir soll auch einen Effekt gegen Oseltamivir-resistente Influenza A-Viren haben.

In der sogenannten Capstone-1-Untersuchung wurden Hochrisikopatienten (chronische Lungenerkrankung, extreme Adipositas, Diabetes, Herzkrankheiten, Asthma etc.) mit Baloxavir behandelt oder erhielten ein Placebo. In dieser Untersuchung sank die mittlere Zeit bis zum Abklingen der Symptome vom 102,3 auf 73,3 Stunden. Auch das war statistisch hoch signifikant.

Weniger Nebenwirkungen als bei Placebos

In einer dritten klinischen Untersuchung (Blackstone) wurde Baloxavir in Japan in der Influenza-Saison 2018/2019 als medikamentöse Influenza-Prävention bei Haushaltsangehörigen von Erkrankten (labormäßig bestätigte Influenza bei Index-Patienten) verwendet. Hier wurde ein Unterschied bei den Infektionsraten von 13,2 Prozent (Placebo) und 1,3 Prozent (prophylaktische Einnahme von Baloxavir) registriert.

Die Nebenwirkungsraten mit dem neuen Medikament waren laut Roche in den klinischen Studien zum Teil geringer als in den Placebo-Gruppen (z.B. Fälle von Diarrhoe, Übelkeit). Die Substanz wurde ursprünglich vom japanischen Unternehmen Shionogi entdeckt. Weltweit werden pro Jahr rund 650.000 Todesfälle infolge der saisonalen Influenza-Wellen registriert.

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