Instagram und Tiktok: Wie Influencer umstrittene Medizintests bewerben

Studie zeigt: Influencer propagieren zunehmend vermeintlich lebensrettende medizinischen Tests.
Innovative diagnostische Tests sind ein Segen in der Medizin. Werden Verfahren ohne solide wissenschaftliche Basis breitenwirksam propagiert, können sie zum Fluch werden. So sehen das auch die Autorinnen und Autoren einer neuen Studie, die auf Instagram und Tiktok von Influencern beworbene Medizintests kritisch hinterfragt.
Den Anstoß zu den Forschungen gab ein Instagram-Beitrag von Langzeit-It-Girl Kim Kardashian. Im August 2023 setzte die US-Amerikanerin ein Posting ab, in dem sie von Ganzkörper-MRTs als "lebensrettende" Maßnahmen schwärmte. Bei der Forscherin Brooke Nickel sorgte der Post für Stirnrunzeln.
Medizintests werden auf Instagram und Tiktok wie Sneaker beworben
Nickel forscht an der australischen Universität Sydney zu evidenzbasierter Medizin. Um herauszufinden, ob über soziale Medien wie Tiktok oder Instagram umstrittene medizinische Tests in problematischem Ausmaß beworben werden, analysierte sie zusammen mit ihrem Team knapp 1.000 dort veröffentlichte Postings. Der überwiegende Großteil lieferte irreführende Informationen. Die Tests wurden übermäßig positiv und ohne Bezugnahme auf wissenschaftliche Belege präsentiert. Nur in wenigen Fällen wurden mögliche Nachteile oder Nebenwirkungen angeführt. Bei zwei Drittel der Social-Media-Posts handelte es sich gar um bezahlten Content – es wurden etwa Rabatte angeboten.
Eine problematische Entwicklung findet Jana Meixner vom Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universität Krems.
"Allerdings überrascht sie mich nicht", sagt die Medizinerin. Influencer-Werbung für Medizintests sei "nur ein Puzzlestein in einem Wirtschaftszweig, der in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist". Die Wellness-Industrie nähre sich aus zwei Trends: "Einerseits ist unsere Gesellschaft zunehmend mit sich selbst und dem eigenen Körper beschäftigt. Insbesondere bei Jüngeren scheint diese Art der Nabelschau verbreitet. Andererseits gibt es einen Drang zur Selbstoptimierung."
Forscherin kritisiert Mikrobiom-Test: "mit Teesudlesen gleichzusetzen"
Davon angetrieben werden am Markt immer mehr medizinische Diagnosemethoden feilgeboten, die "als richtige Medizin beworben werden, teilweise aber eher Lifestyle-Produkte sind". Meixner nennt den Mikrobiom-Test als Beispiel, der in der aktuellen Studie aufgegriffen und auch in Österreich in vielen Laboren angeboten wird. "Das Problem ist, dass mit den Ergebnissen derzeit noch niemand so richtig etwas anzufangen weiß", sagt Meixner. "Momentan ist das Interpretieren mit Teesudlesen gleichzusetzen, weil Referenzgrößen für ein optimales Mikrobiom fehlen."
Skeptisch sieht Meixner die Tatsache, dass insbesondere Unternehmen, die solche Tests über das Internet anbieten, "gleich passende Probiotika anbieten und die Diagnostik als Vehikel für den Verkauf einer vermeintlichen Lösung nutzen", beschreibt die Expertin das Geschäftsmodell.
Wenn versprochen wird, dass mit einer Blutabnahme 50 Krebsarten im Frühstadium erkannt werden, klingt das zu gut, um wahr zu sein – das ist es nach derzeitigem Stand wohl auch.
zu Krebs-Bluttests, die auf Tiktok und Instagram beworben werden.
Neben dem Mikrobiom-Test streicht die Gruppe um Nickel noch andere Verfahren hervor, die auf Social Media promotet werden, wissenschaftlich aber zumindest kontrovers diskutiert werden. Etwa das eingangs erwähnte Ganzkörper-MRT, das bis zu 500 Krankheiten frühzeitig sichtbar machen soll. "Ein Ganzkörper-MRT wird garantiert bei jedem Menschen etwas sichtbar machen, was abseits der Norm ist, weil es den vollkommen normalen Menschen nur am Papier, nicht aber in der Realität gibt", erläutert Meixner.
Ganzkörper-MRTs als "massive Quelle von Überdiagnosen"
"Weil sich Ärzte und Ärztinnen absichern müssen, haben solche Auffälligkeiten immer eine weitere Abklärung zur Folge, Blutuntersuchungen oder gar Biopsien", beschreibt Meixner, die darin eine "massive Quelle von Überdiagnosen und Überbehandlungen" sieht. Anders sei die Lage, "wenn bei einem Patienten eine Erkrankung vermutet wird – dann brauchen wir natürlich die Bildgebung".
Als einzigartige Früherkennungsmethode wird der Galleri-Test beworben. Anhand einer einzigen Blutprobe soll er 50 verschiedene Krebsarten identifizieren können. Dazu sucht der Test nach krebstypischen Veränderungen an DNA-Schnipseln im Blut. "Krebsscreeningprogramme sind wichtig und sollten von der Bevölkerung unbedingt in Anspruch genommen werden", schickt Meixner voraus. "Wenn aber versprochen wird, dass mit einer Blutabnahme 50 Krebsarten im Frühstadium erkannt werden, klingt das zu gut, um wahr zu sein – und das ist es nach derzeitigem Stand auch."
So würde die Treffsicherheit des Tests laut Studien zwar mit fortschreitendem Krebsstadium steigen. "Frühe Stadien scheint der Test aber so gut wie gar nicht zu erkennen."
In Summe leistet die breite Inanspruchnahme derartiger Tests durch gesunde Menschen Überdiagnosen und Überbehandlungen Vorschub, betonen Fachleute. Mit potenziell weitreichenden Folgen für den Einzelnen und das Gesundheitssystem. Meixner geht einen Schritt weiter: "Wir haben schon jetzt ein Problem mit Überdiagnosen, weil in den Köpfen vieler verankert ist, dass mehr in der Medizin auch mehr bringt – das ist falsch." Neben unnötigen Kosten kann eine Diagnostik ins Blaue massive Verunsicherung auslösen: "Gerade für Menschen, die zu Ängsten neigen, kann das belastend sein."
Wie schätzt eine Expertin den Anti-Müller-Hormon-Test für Frauen ein?
Eine spezifische Angst von Frauen bedient der Anti-Müller-Hormon-Test, den die australischen Forschenden ebenfalls kritisch sehen. Das Anti-Müller-Hormon gilt als Marker für die Eizellenreserve. Während derartige Messungen für Frauen mit Fruchtbarkeitsproblemen von Vorteil seien – vorausgesetzt sie werden professionell interpretiert –, könne ihr Einsatz bei gesunden Frauen zu unnötigen, kostspieligen Fruchtbarkeitsbehandlungen führen. Beispielsweise dem vorsorglichen Einfrieren ihrer Eizellen. "Hier wird die Urangst von Frauen vor Unfruchtbarkeit bedient", präzisiert Meixner.
Beworben wird auch das Erheben eines Testosteron-Status bei Männern. Tatsächlich kann es unter anderem in der Andropause – dem männlichen Pendant zur Menopause – zu einem Abfall des Testosteronspiegels und damit zusammenhängenden Beschwerden kommen. Eine Hormonersatztherapie muss laut Fachleuten immer gut abgewogen werden. Sie kann etwa das Risiko für Schlafprobleme oder gutartige Vergrößerungen der Prostata steigern. Debattiert wird zudem, ob eine Testosterontherapie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. "Wenn Beschwerden vorliegen, die darauf hindeuten, dass etwas mit dem Testosteronspiegel nicht stimmt, kann der Urologe mittels Blutabnahme einen Hormonstatus machen", ergänzt Meixner.
Wenn neue Methoden den Goldstandard überholen
Dass laufend an Werkzeugen zur (Früh-)Erkennung von Krankheiten geforscht wird, ist im Sinne einer modernen, präzisen Diagnostik wünschenswert. Damit ein neues Verfahren in die klinische Routine aufgenommen wird, "braucht es genügend Studien, die verlässlich zeigen, dass damit eine Erkrankung genauso verlässlich oder noch verlässlicher erkannt werden kann wie mit dem bisherigen Goldstandard, also etablierten Verfahren", betont Meixner.
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