Gesundheitsgefahr: Experten warnen vor Influencer-Ratschlägen
Die Risiken von Gesundheitstipps durch Influencer im Internet sind enorm: Darauf weist jetzt eine Analyse von großteils Tiroler Wissenschaftern hin, die auf große internationale Beachtung stößt.
Die Analyse unter der Leitung der Internationalen Hochschule MCI (Management Center Innsbruck) in Innsbruck ist im anerkannten Fachmagazin British Medical Journal erschienen. "Influencerinnen und Influencer sind für junge Menschen eine der wichtigsten Gesundheitsquellen, aber ihr Rat ist oft verzerrt, interessengeleitet oder schlicht falsch", wird der Hauptautor Raffael Heiss, Forscher am Center for Social & Health Innovation des MCI, in einer Aussendung zitiert.
Der renommierte US-Kardiologe Eric Topol, einer der meistzitierten Wissenschafter weltweit im medizinischen Bereich, hat auf die Analyse in den sozialen Medien aufmerksam gemacht und sie extra hervorgehoben. Sie zeige "die schädlichen und beeinflussenden medizinischen Ratschläge von Social-Media-Influencern, wobei der Mangel an Fachwissen und finanzielle Konflikte hervorgehoben werden."
Die Autorinnen und Autoren haben vier zentrale Ursachen identifiziert, weshalb viele Ratschläge sehr problematisch sind:
- fehlende medizinische Expertise
- Einflüsse der Industrie
- eigene unternehmerische Interessen
- persönliche Überzeugungen
Verstärkt werden die Risiken durch sogenannte "parasoziale Beziehungen" – also einseitige "Beziehungsgefühle" der Nutzer zu den Influencern. Fazit: "Ohne klare Regeln riskieren wir Fehlbehandlungen, unnötige Ausgaben und eine steigende Skepsis gegenüber evidenzbasierter Medizin", betont Heiss.
In der Analyse werden auch Daten aus Österreich angeführt, wonach bereits 83 Prozent der 15- bis 25-Jährigen Gesundheitsinhalte von Influencern konsumieren. 31 Prozent haben aufgrund solcher Inhalte bereits Nahrungsergänzungsmittel, 13 Prozent Medikamente und elf Prozent medizinische Selbsttests gekauft.
Kim Kardashian empfahl MRT-Screening ohne nachgewiesenen Nutzen
In der Studie werden auch ganz konkrete Beispiele genannt: So empfahl die US-Influencerin Kim Kardashian trotz fehlender medizinischer Expertise ihren 360 Millionen Instagram-Followern ein Ganzkörper-MRT-Screening. "Ein Test ohne nachgewiesenen Nutzen, der jedoch zu Überdiagnosen, unnötigen Eingriffen und hohen Kosten führen kann", heißt es in der Analyse.
Ein weiteres Beispiel sei der Account von "Dr. Eric Berg". Der US-amerikanische Chiropraktiker mit 14 Millionen Followern vertreibt über seine Website eigene Nahrungsergänzungsmittel und empfiehlt dabei Dosierungen, die teilweise deutlich über den Empfehlungen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften liegen.
Aufgrund bedenklicher Inhaltsstoffe in einigen seiner Produkte erhielt er bereits eine rechtliche Warnung, heißt es in der Analyse.
Viele Beiträge sind "überwiegend werblich"
Das Autorenteam der Analyse verweist auf mehrere aktuelle Studien, wonach die Zuverlässigkeit von Ratschlägen durch Influencer stark variiert. So ergab eine Studie beispielsweise, dass Beiträge von Influencern und Unternehmen über beliebte medizinische Tests für zu Hause mit unsicherem Wirksamkeitsnachweis und Risiken durch nicht sachgemäße Anwendung überwiegend werblich waren:
- In 87 Prozent der Fälle wurden Vorteile hervorgehoben,
- während nur in 15 Prozent der Fälle auf mögliche schädliche Folgen hingewiesen wurde.
Eine weitere Studie über die Werbung deutscher Influencer für Nahrungsergänzungsmittel zeigte, dass etwa zwei Drittel der empfohlenen Dosierungen die nationalen Sicherheitsrichtlinien überschritten und sieben Prozent die oberen Grenzwerte der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) überstiegen.
Fazit: "Solche Ratschläge können psychologische, physische, finanzielle und systemische Schäden verursachen – von ungenauen Selbstdiagnosen und unangemessenen Behandlungen bis hin zu unnötigen Ausgaben und höheren Gesundheitskosten."
Wobei auch medizinische Qualifikationen nicht vor irreführenden Ratschlägen schützen, wie die Autoren schreiben. "Insbesondere dann, wenn sie außerhalb ihres Fachgebiets sprechen oder generalisierte Empfehlungen ohne Kenntnis der individuellen Krankengeschichte abgeben: "Während der Covid-19-Pandemie beispielsweise förderten medizinisch ausgebildete Influencer mit großen Anhängerschaften unzureichend getestete Behandlungen, darunter hochdosierte Vitamin-D-Präparate und Ivermectin (ein Entwurmungsmittel, Anm.)", so die Autoren.
Grundsätzlich auch positive Effekte möglich
Das Forschungsteam sieht grundsätzlich auch positive Aspekte durch die Arbeit von Influencern. Diese könnten durchaus auch positive Rollen spielen, etwa indem sie medizinische Mythen aufklären oder Unterstützung für Menschen mit ähnlichen Erfahrungen wie sie selbst leisten. "Doch im derzeitigen Umfeld überwiegen die Risiken, da viele Nutzerinnen und Nutzer Werbung nicht erkennen oder falschen Empfehlungen vertrauen."
Um dieser Situation zu begegnen, seien einzelne Maßnahmen nur begrenzt wirksam: Vielmehr benötige es ein "Bündel an Interventionen", ein Paket an Maßnahmen, das sowohl Politik als auch Plattformen und deren Nutzer einbinde. "Auf EU-Ebene geschieht dies bereits durch den Digital Services Act, der große Plattformen stärker in die Pflicht nimmt, systemische Gesundheitsrisiken zu erkennen und zu reduzieren", so die Forschenden.
Doch auch nationale Regierungen können aktiv werden – etwa, indem sie Influencerinnen und Influencer mehr redaktionelle Verantwortung auferlegen oder bestimmte Formen gesundheitsbezogener Werbung einschränken.
Ebenso wichtig sei es, die Gesundheits- und Digitalkompetenz junger Menschen zu stärken, damit sie medizinische Ratschläge im Netz kritischer einordnen können. "Wir brauchen ein Update des Gesundheitsschutzes für das digitale Zeitalter", betont Heiss. "Dafür sind eine bessere Regulierung und die gezielte Unterstützung der Nutzerinnen und Nutzer zentral."
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