Faszinierende Erkenntnisse über das Immunsystem: Wie es arbeitet
Der nächste Winter kommt bestimmt – und mit ihm diverse Grippe- und Erkältungsviren. Eine Herausforderung für das menschliche Immunsystem, das nun nonstop beschäftigt ist und auf Hochtouren arbeiten muss. Es gilt als eines der komplexesten Systeme im menschlichen Organismus, das auf faszinierende Weise arbeitet – und zwar so effizient und dezent, dass der Mensch dessen Tun oft nicht einmal bemerkt. Immunologe Univ.-Prof. Winfried Pickl von der MedUni Wien erklärt anschaulich, wie das „Wunder Immunsystem“ funktioniert – und was jeder wissen sollte, um seine Abwehrkräfte zu stärken.
Multitasking im Körper
Das, was das menschliche Abwehrsystem täglich schafft, ist ein Multitasking auf Rekordniveau. Es schützt den Organismus vor Viren, Bakterien, Pilzen, Fremdstoffen. Gleichzeitig überwacht es aber auch körpereigene Vorgänge, indem es unbrauchbare oder entartete Zellen killt, um die Entstehung von Autoimmunität und Krebs zu verhindern.
Starkes Netzwerk
„Man kann sich das Immunsystem als großen Verbund von Zellen, Organen und Botenstoffen vorstellen. Schätzungen zufolge wiegt das Immunsystem eines erwachsenen Menschen etwas mehr als ein Kilogramm mit 10 hoch 12 Zellen. Das wären umgerechnet eine Billion Zellen“, so Pickl. Ein komplexes Netzwerk an Immunzellen, die in verschiedenen Organen und Geweben gebildet werden, beziehungsweise reifen: Thymus, Milz, Lymphknoten – vor allem aber im Knochenmark.
Angeboren, erworben
Das menschliche Abwehrsystem besteht aus zwei Komponenten: das angeborene und das erworbene Immunsystem. Beide Systeme arbeiten eng zusammen. Ersteres reagiert als akute Verteidigungslinie sofort nach einer Infektion, hat aber keine klassische Erinnerungsfähigkeit. Das erworbene Immunsystem hingegen bildet sich erst im Laufe des Lebens, reagiert langsamer und erst dann, wenn das angeborene Immunsystem an seine Grenzen stößt. Und: Es kann lernen. Mit seiner Hilfe entwickelt der Mensch das immunologische Gedächtnis, – das bedeutet: Die Immunabwehr merkt sich mit Hilfe von Gedächtniszellen die Krankheitserreger, mit denen sie bereits Kontakt hatte.
Die Immunzentrale
„Das Knochenmark, als schwammartiges Gewebe der Knochen, ist der Hauptort für die Bildung von Immunzellen. Dabei spielen vor allem die großen Knochen des Körpers eine Rolle, weil sie besonders viel Mark enthalten. Die Wirbelkörper der Wirbelsäule zum Beispiel, aber auch das Becken, die großen Röhrenknochen, die Rippen und das Brustbein“, so Pickl.
Reifeprüfung
„Immunzellen, konkret die T-Lymphozyten, werden als Vorstufen im Knochenmark erzeugt und in der Thymusdrüse in die Volksschule geschickt um zu lernen. Diese liegt oberhalb der Herzkrone im oberen Drittel des Brustraumes, gleich hinter dem Brustbein“, erklärt der Immunologe. Das bedeutet konkret: Die Zellen werden in der Thymusdrüse auf ihren künftigen Einsatz gegen Krankheitserreger vorbereitet. Das ist ein Training, das bereits vor der Geburt beginnt und bis weit über die Pubertät hinaus stattfindet. Die Thymusdrüse ist bei Neugeborenen noch groß ausgebildet, schrumpft aber im Laufe des Lebens, was zur Alterung des Immunsystems beiträgt.
Die VIPs der Immunzellen
Als wichtigste Gruppe gelten die Lymphozyten – die Basis für das erworbene Immunsystem und das immunologische Gedächtnis. Sie halten sich oft in den Lymphknoten auf, patrouillieren aber auch im Körper, um Krankheitserreger aufzuspüren. Vor allem zu Beginn einer Immunantwort sind die großen Fresszellen bedeutend – die Makrophagen. Als „Polizei“ fungieren auch die Granulozyten, eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen. „Diese Zellen sind rasch am Wirkungsort, um Krankheitserreger zu fressen und zu zerstören. Ein Vorgang, der Phagozytose heißt.“
Die eigentlichen Wächterzellen des Körpers sind Dendritische Zellen. Sie stellen sicher, dass „Informationen“ aus der Peripherie in die Lymphknoten transportiert werden. B-Zellen sind Zellen, die spezielle Abwehrstoffe abgeben – die Antikörper. Sie binden sich an die Eindringlinge, entschärfen und markieren diese. Bei den T-Zellen gibt es T-Helfer-Zellen, die andere Abwehrzellen unterstützen sowie T-Killer-Zellen, die jene Zellen zerstören, die von einem Krankheitserreger befallen wurden. So wird verhindert, dass sich die Erreger vermehren können.
Die Müllabfuhr
Als „Reinigungsfilter wie im Swimmingpool“ beschreibt Pickl die Aufgabe von sekundären Immunorganen wie der Milz oder den Lymphknoten. Beide sind dafür da, Material (etwa alte Blutzellen, Mikroorganismen, bzw. Bestandteile davon), das im Körper anfällt und im Blut oder in Gewebeflüssigkeiten zirkuliert, zu filtern und zu entsorgen. „Wenn sich darin Dinge befinden, die das Immunsystem als gefährlich einstuft, werden weitere Immunmechanismen und Schritte aktiviert, es kommt dann zur Immunreaktion und Entzündung.“
Alarmstimmung
Wann genau schlägt das Immunsystem Alarm? „Nicht jeder Eindringling oder Fremdstoff ist gefährlich, deshalb entwickelt der Mensch oft gar keine Immunreaktion. Besteht aber ein gewisses Gefahrenpotenzial, dann reagiert der Körper auf diese gefährlichen Muster“, so der Immunologe. Bevor es zu einer Immunreaktion kommt, ist dem Abwehrsystem aber noch eine Art „Firewall“ vorgeschaltet. Das sind Barrieren, die verhindern, dass Krankheitserreger in den Körper eindringen und sich ausbreiten können. Da ist etwa die Haut als mechanische Hürde für Krankheitserreger. Oder die Schleimhäute, die innere Körperoberflächen wie die Atemwege oder den Verdauungstrakt auskleiden. Der Schleim, den sie produzieren und der Enzyme sowie lösliche, natürliche Abwehrstoffe enthält, fängt potenzielle Krankheitserreger ab und hindert diese daran, tiefer einzudringen.
So entsteht Fieber
„Während die Makrophagen die gefährlichen Erreger erkennen und fressen, setzen sie Zytokine frei, etwa Interleukin 1 oder Interleukin 6. Diese lösen in Folge eine Entzündungsreaktion aus und aktivieren das Immunsystem. „Die Körpertemperatur erhöht sich und wichtige, so genannte Akut-Phase-Proteine, werden aus der Leber ausgeschüttet“ so Winfried Pickl weiter. Über den Blutkreislauf erreichen diese Zytokine eine Region im Gehirn (Hypothalamus), die für die Regulierung der Körpertemperatur, des Wachzustandes und des Appetits verantwortlich ist.
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