Neue Gentherapie: Durchbruch bei "einer der schlimmsten Krankheiten der Welt"

Ein OP-Team in blauer Kleidung arbeitet unter hellem Licht im Operationssaal.
Die Ergebnisse einer Studie machen Betroffenen der Huntington-Krankheit Hoffnung auf Heilung. Ob das komplexe, teure Verfahren Eingang in die klinische Routine findet, ist allerdings offen.

"Wir haben jetzt eine Behandlung für eine der schlimmsten Krankheiten der Welt – das ist absolut großartig." Sarah Tabrizi macht aus ihrer Freude keinen Hehl. Die britische Neurologin ist Spezialistin für die Huntington-Krankheit. Zusammen mit ihrem Team vom University College London ist es ihr erstmals gelungen, die bisher unheilbare Erbkrankheit erfolgreich zu therapieren.

Mit einer neuartigen Gentherapie konnte das Fortschreiten im Schnitt deutlich gebremst werden, wie aus einer Presseaussendung des Herstellers hervorgeht. Drei Jahre nach der Behandlung zeigte sich bei Patientinnen und Patienten, die eine hohe Dosis des Medikaments erhalten hatten, eine durchschnittliche Verlangsamung des Krankheitsverlaufs um 75 Prozent. In Summe wurden 29 Patientinnen und Patienten in der Studie behandelt, 17 erhielten eine hohe Dosierung, 12 eine niedrige. Aktuell liegen für jeweils zwölf Personen aus beiden Gruppen ausgewertete Daten vor. Zur Beurteilung des Symptomverlaufs wurden motorische und kognitive Tests herangezogen, ebenso wie Selbstauskünfte der Studienteilnehmenden.

"Erste Studie, in der tatsächlich eine Verbesserung des Verlaufs erzielt werden konnte" 

Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, depressive Gefühle, allgemeine Wesensveränderungen: Bei rund der Hälfte der Patientinnen und Patienten mit der Huntington-Erkrankung, auch Chorea Huntington genannt, stehen im Anfangsstadium psychische Auffälligkeiten im Vordergrund. Infolge kommen neurologische Symptome hinzu – unwillkürliche Bewegungen, überschießende Muskelbewegungen, leichtes Grimassieren oder Schulterzucken –, die sich im Verlauf der Erkrankung verstärken. Die neurologischen Beschwerden können den psychischen auch vorausgehen. Im Endstadium ist die Erkrankung vom Kontrollverlust über den Körper und dem Versagen geistiger Funktionen gekennzeichnet.

Christof Brücke, Neurologe und Leiter der Ambulanz für Bewegungsstörungen an der MedUni Wien, bewertet die neuen Studienergebnisse positiv: "Das ist die erste Studie, in der tatsächlich eine Verbesserung des Verlaufs erzielt werden konnte." Die beteiligten Expertinnen und Experten seien anerkannte Forschende, "insofern hat die Studie mit Sicherheit Hand und Fuß". Für eine abschließende Beurteilung müsse man allerdings die Veröffentlichung aller Studiendetails abwarten.

Schädliches Protein blockieren

Die Ursache der Huntington-Krankheit ist eine Mutation im HTT-Gen, die zu einer schädlichen Ansammlung des Proteins Huntingtin im Gehirn führt. Das in Großbritannien getestete Präparat schaltet das mutierte Gen aus, was die Produktion des Proteins unterbindet. "Damit stellt dieser Ansatz erstmals eine Therapie dar, welche die Erkrankung an ihrer Ursache bekämpft", erklärt Brücke. Das Medikament wird in einer einzigen Injektion während eines 12- bis 20-stündigen chirurgischen Eingriffs ins Gehirn verabreicht. Als Träger nutzt man ein modifiziertes Virus, das die veränderten DNA-Moleküle in die Nervenzellen einschleust und die Produktion von Huntingtin unterdrückt.

Der offenbar erfolgreiche Abschluss der Studie stelle mit Blick auf bisherige Forschungen bereits einen Erfolg für sich dar, sagt Brücke: "Frühere Studien, bei denen ein ähnlicher Ansatz über die Verabreichung von genetischem Material in die Hirnflüssigkeit verfolgt wurde, mussten abgebrochen werden, weil sich der Zustand der Patientinnen und Patienten durch die Therapie verschlechterte."

Zielgerichtete Verabreichung

Bei der neuen Therapie wird das Medikament über ein kleines Bohrloch und eine Sonde tief ins Gehirn eingeführt und an zwei bestimmten Stellen im Gewebe platziert, wo es seine Wirkung entfalten soll. Brücke: "Womöglich ist dieser spezifische Ansatz erfolgversprechender, es wäre jedenfalls eine tolle Sache, wenn es funktioniert."

Bis das Verfahren betroffenen Patientinnen und Patienten routinemäßig angeboten werden kann, müssen die Ergebnisse in größeren Studien überprüft werden und ein reguläres Zulassungsverfahren durchlaufen. Selbst wenn das gelingt, bleibt die Behandlung komplex: "Es braucht einerseits einen Neurochirurgen, um das Medikament zu verabreichen, und andererseits sind Medikamente für seltene Erkrankungen oft enorm teuer, damit sie sich für Herstellerfirmen rentieren." Derzeit würden auch Studien zu einfacheren Therapien in Tablettenform laufen. "Man wird sehen, was sich letztlich durchsetzt", so Brücke.

Auftreten der Krankheit potenziell gänzlich verhindern

Mit der Behandlung könnte Betroffenen ein deutlich längeres Leben in Selbstständigkeit ermöglicht werden, ist Studienleiterin Tabrizi überzeugt. Eine frühe Gabe des Medikaments könnte das Auftreten der Krankheit potenziell sogar gänzlich verhindern, wie die Wissenschafterin gegenüber dem Guardian schildert.

Momentan können Patientinnen und Patienten nur symptomorientiert behandelt werden. "Man therapiert die Bewegungsstörungen und psychiatrischen Probleme und bietet genetische Beratungen für Angehörige an", umreißt Brücke. "Und man kann eine Teilnahme an klinischen Studien in spezialisierten Zentren anregen, die – wie man im aktuellen Fall sieht – durchaus Erfolge bringen können."

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