Ungleichheit im Gesundheitswesen: Frauen fühlen sich oft nicht ernst genommen

Nicht ernst genommen werden, unsensibles Verhalten durch Ärzte und Ärztinnen oder Verharmlosung von Beschwerden: Wesentlich mehr Frauen als Männer berichten von nicht zufriedenstellenden Erfahrungen im Gesundheitssystem. Diese trotz zahlreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse noch immer vorhandene ungleiche Behandlung der Geschlechter – im Fachbegriff Gender Health Gap genannt – zeigt einmal mehr eine aktuelle Untersuchung.
Risiken werden übersehen
„Frauen bekommen eine Psychotherapie, Männer ein MRT“, fasst Alexandra Kautzky-Willer, Gendermedizinerin an der Medizinischen Uni Wien, das „Gesundheitsbarometer 2025“ pointiert zusammen. Es wurde im Auftrag der Allianz-Versicherung durchgeführt und soll Bewusstsein und Akzeptanz für die der Geschlechter erhöhen. Denn wenn die unterschiedlichen biologischen und sozialen Bedürfnisse von Frauen nicht besser berücksichtigt werden, hat das Folgen. „Wenn Frauen nicht ernst genommen und dadurch Risiken übersehen werden, ist das nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein gesellschaftliches Problem“, sagt Allianz-Geschäftsführerin Jovana Nović.

Studien nur mit Männern
Die Kluft sei historisch gewachsen, erläutert Kautzky-Willer. Lange Zeit wurden wissenschaftliche Studien nur mit männlichen Probanden durchgeführt. Bestes Beispiel: Aspirin, seit mehr als 100 Jahren eines der beliebtesten Medikamente. „Das Wissen um die Wirkung und Dosierung beruht nur auf Männern“, sagt die Expertin. Sogar in Laborstudien zur Libido wurden einst nur männliche Mäuse verwendet.
Heute weiß man, dass die biologischen Unterschiede bis in die Gene und Chromosomen reichen und für gesundheitliche Faktoren relevant sind. Bestimmte Krankheiten werden bei Frauen seltener diagnostiziert oder werden aufgrund anderer Symptome erst später erkannt. Ein Beispiel dafür sind Herzinfarkte, die sich bei Frauen häufig durch Rückenschmerzen, Atemnot und kalten Schweiß äußern.
Bei Männern können wiederum bei Depressionen andere Symptome auftreten, was die Behandlung verzögern kann.
Interessanterweise erhalten Frauen sogar generell später oder sogar seltener Schmerzmittel als Männer, da ihre Schmerzen tendenziell weniger ernst genommen werden. Das ist eigentlich paradox. Aus vielen internationalen Studien ist mittlerweile bekannt, dass Frauen im Lauf ihres Lebens mehr Schmerzen haben und empfindlicher reagieren. „Daten zeigen, dass Schmerzen bei Frauen weniger abgeklärt werden, als bei Männern. Dass sie also nicht so Ernst genommen werden.“ Für Kautzky-Willer decken sich die aktuellen Umfrageergebnisse auch mit den ihren Erfahrungen als Internistin und Diabetes-Expertin im Wiener AKH.
Jüngere Generationen sind bewusster
Das Gesundheitsbarometer zeigte, dass gerade bei den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Medizin noch Nachholbedarf besteht. Mehr als die Hälfte der Befragten der repräsentativen Studie (1.000 Befragte zwischen 14 und 75 Jahren) zeigten sich überrascht. Das sorgt aber auch für Verunsicherung – und wieder sind es Frauen und Jüngere, die diese Kluft am stärksten beunruhigt.
Doch gerade bei den jüngeren Generationen wächst das Bewusstsein für die Ungleichbehandlung. Sie sind auch, wie die Allianz-Studie zeigt, sensibler. 27 Prozent der 14- bis 19-Jährigen und 24 Prozent der 20- bis 29-Jährigen berichten vom Eindruck, dass ihr Geschlecht schon einmal einen negativen Einfluss auf die Behandlung hatte. Bei den 60- bis 69-Jährigen sind es nur 5 Prozent. Für Kautzky-Willer erklärt sich dieser Punkt nicht allein durch die Unterschiede zwischen den Generationen und deren Sozialisierung sondern zeige auch den Wandel in der Medizin.
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