Gendermedizin: Unterschätzte Risikofaktoren

Frauen leben länger als Männer, sind aber auch länger als diese krank: Zum Teil, weil ihre Therapie nicht ausreichend ist.

Frauen fühlen sich von Ärzten in einem deutlich größeren Ausmaß als Männer nicht ernst genommen: Dies geht aus einer Montag präsentierten Umfrage des Marktforschungsinstitutes GfK im Auftrag der Vamed hervor. Und sie sind auch deutlich skeptischer als Männer bei der Frage, ob Ärzte über die unterschiedlichen Wirkungen von Medikamenten bei Männern und Frauen informiert sind.

„Egal, ob Blutdruck, Blutzucker oder LDL-Cholesterin: Bei Frauen sind die Werte oft schlechter eingestellt“, sagt Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin (geschlechtsspezifische Medizin) an der MedUni Wien. Dies habe mehrere Gründe: „Zum einen wird etwa das Risiko für einen Herzinfarkt bei Frauen häufig nicht so ernst genommen – weshalb sie Medikamente oft nicht in der notwendigen Dosis erhalten. „Gleichzeitig sind gewisse Werte – etwas das LDL-Cholesterin – bei Frauen schwerer zu senken als bei Männern, weshalb die Therapie mehr überwacht werden müsste.“

Nachholbedarf

Gendermedizin: Unterschätzte Risikofaktoren

„Frauen fühlen sich nicht nur schlechter versorgt – es gibt auch tatsächlich Nachholbedarf“, sagt Univ.-Prof. Karin Gutiérrez-Lobos, Vizerektorin der MedUni Wien. „Rehabilitations-Leistungen etwa werden immer noch deutlich weniger an Frauen vergeben. Und Einrichtungen zur Therapie der Alkoholabhängigkeit sind mehr auf Männer als auf Frauen zugeschnitten.“

„Körperliche Symptome werden bei Frauen oft nicht ausreichend abgeklärt und gleich auf psychische Ursachen zurückgeführt“, sagt Kautzky-Willer. – „Der 70-prozentige Frauenanteil bei den verschriebenen Psychopharmaka ist wissenschaftlich nicht fundierbar“, sagt auch Gutiérrez-Lobos.

Frauen reagieren zudem stärker auf Stress: Selbst bei beruflich erfolgreichen Frauen ist Stress mit einem höherem Risiko für Herzinfarkte verbunden. Bei Frauen seien weiters häufiger psychische Probleme eine Ursache für den Griff zur Zigarette: „Darauf müssten die Entwöhnungsprogramme Rücksicht nehmen.“

In der Ausbildung der Studenten werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Mann und Frau heute schon in eigenen Lehrveranstaltungen thematisiert: „An der praktischen Umsetzung im Alltag mangelt es aber noch“, so Kautzky-Willer. Sie hoffe, dass Studiendaten (etwa für die Zulassung neuer Medikamente) künftig für Frauen und Männer getrennt ausgewertet – und die Unterschiede im Beipackzettel publiziert werden. Die Vamed betreibt mit dem „la pura women’s health resort kamptal“ das erste und bisher einzige Gesundheitsresort exklusiv für Frauen in Österreich. Das medizinische Konzept wurde in Kooperation mit Experten der MedUni Wien entwickelt.

Beispiel Diabetes: Was anders ist

Diagnose „Die Unterschiede beginnen bei der Diagnose. Die Messung des Nüchternblutzuckers ist bei Frauen weniger aussagekräftig als bei Männern“, sagt die Diabetologin Alexandra Kautzky-Willer. „Deshalb ist oft zusätzlich ein oraler Zuckerbelastungstest notwendig.“

Therapie „Frauen benötigen oft eine intensivere Therapie, um Blutwerte in den Normalbereich zu bekommen“, sagt Kautzky-Willer. Sie hat für die Therapieleitlinien der Diabetes-Gesellschaft über geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnose und Therapie geschrieben.

 

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