Flavonoide in Obst und Gemüse: Wie sie unserer Gesundheit nützen

Colorful vegetables and fruits vegan food in rainbow colors
Diese sekundären Pflanzeninhaltsstoffe haben viele – teils noch kaum erforschte – positive Wirkungen.

Wenn Univ.-Prof. Dr.Tilman Kühn Gusto auf einen Snack zwischendurch bekommt, dann entscheidet er sich heute häufiger als früher für einen Apfel, eine Birne, Beeren oder auch eine Handvoll Nüsse. Der Grund: Der Ernährungswissenschafter – er ist Gastprofessor an der MedUni Wien und an der Uni Wien – zählt zu den Autoren und Autorinnen mehrerer neuer Studien zu den Flavonoiden, einer Gruppe der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe. Und in diesen zeigte sich, umfassender als bisher bekannt, welche positiven Wirkungen diese auf die Gesundheit haben können.

Als primäre Pflanzenstoffe werden die Hauptbestandteile von Pflanzen bezeichnet, die der Körper als Nährstoffe nützt. Dazu gehören Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett. 

Sekundäre Pflanzenstoffe liefern keine Energie, beeinflussen aber viele Stoffwechselprozesse im Menschen. In den Pflanzen erfüllen diese Moleküle unterschiedliche Funktionen: Als Farb- oder Duftstoffe, als Abwehrstoffe gegen Fressfeinde wie Insekten oder Pilzbefall und als UV-Schutz.

Eine sehr große Gruppe sind die Flavonoide, zu denen rund 8.000 Stoffe gehören. Enthalten sind sie etwa in Beeren, Äpfeln, Birnen, Weintrauben , Grün- und Schwarztee, Zitrusfrüchten, Paprika, Knoblauch, Zwiebeln, Kakao und dunkler Schokolade.

Positive Effekte

„Gut belegt ist, dass eine hohe Aufnahme Entzündungsprozesse hemmt und damit sehr positive Auswirkungen auf die Blutgefäße hat.“ Diese bleiben elastischer, die Fließeigenschaften des Blutes verbessern sich. „Das schützt die Gefäße vor der Ablagerung von Plaques an den Innenwänden und dadurch vor der Gefäßverkalkung.“ Hohe Blutdruckwerte können etwas gesenkt werden. „Aber auch auf die geistigen, die kognitiven Fähigkeiten wirkt sich der antientzündliche Effekt positiv aus.“

In einer Studie, die im Journal Nature Food erschienen ist, wertete ein Team um Tilman die Daten von 125.000 Personen aus der UK Biobank aus. Für dieses Register stellen sie regelmäßig persönliche Gesundheitsdaten zur Verfügung. Und daraus ergaben sich zwei wichtige Erkenntnisse:

  • Die Flavonoid-Menge: Einerseits hängen die schützenden Eigenschaften von der Anzahl der täglichen Portionen flavonoidreicher Lebensmittel und Getränke ab: „Bereits bei drei Portionen haben wir messbare Effekte auf Entzündungswerte gesehen. Das sind etwa eine Schale Schwarz- oder Grüntee, ein Apfel und ein bis zwei Stück dunkle Schokolade.“ Bei der höchsten Aufnahme (diese entsprach sechs Portionen) war der Effekt im Vergleich zur Probandengruppe mit der geringsten Aufnahme am stärksten.
  • Die Flavonoid-Vielfalt: „Wir konnten aber auch nachweisen, dass unabhängig von der Menge die Vielfalt an Flavonoiden sich zusätzlich positiv auszuwirken scheint“, betont Kühn. Wer die größte Anzahl unterschiedlicher Flavonoide konsumierte, hatte – bei gleicher Menge – im Vergleich zur Gruppe mit der geringsten Vielfalt ein um 6 bis 20 Prozent niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs, Lungenerkrankungen sowie neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. „Auch das Risiko, in einem definierten Zeitraum krankheitsbedingt zu versterben, war geringer – um immerhin 16 Prozent. Das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Flavonoide verstärkt offenbar die antientzündliche Wirkung.“

In einer weiteren Studie unter der Leitung von Kühn ging es ganz speziell um den Effekt einer flavonoidreichen Ernährung auf das Risiko für Typ-2-Diabetes. Bereits drei Portionen flavonoidhaltiger Lebensmittel senkten das Risiko um 17 Prozent, sechs um 26 Prozent.

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Der Ernährungswissenschafter Tilman Kühn ist Gastprofessor für Public Health Nutrition an der Uni Wien und an der MedUni Wien.Er lehrt ansonsten an der Hochschule Fulda in Deutschland und an der Queen‘s University Belfast in Nordirland.

Dies liegt einerseits daran, dass ein hoher Konsum flavonoidreicher Lebensmittel weniger häufig zu Übergewicht führt, sagt Kühn. Das antientzündliche Potenzial der Flavonoide hatte auch Effekte auf Entzündungs- und Stoffwechselwerte wie Blutfette und Blutzucker, die bei hoher Aufnahme deutlich häufiger im Normalbereich lagen. Und das Forschungsteam konnte erstmals noch einen weiteren Effekt belegen.

"Offenbar als Folge der antientzündlichen Wirkung verbesserte sich auch die Funktion von Leber und Nieren.“ Bei regelmäßigem Konsum von Äpfeln, schwarzem und grünem Tee, Beeren, Orangen, dunkler Schokolade sowie roten Paprikas kam es zu deutlich weniger krankhaften Leberveränderungen. Und wer sechs Mal am Tag flavonoidreiche Lebensmittel zu sich nahm, hatte ein um 16 Prozent niedrigeres Risiko für eine chronische Nierenerkrankung.

Flavonoide: Einfluss auch auf den Darm

Die Flavonoide sind aber nur eine Gruppe sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe. Groß ist auch das Potenzial anderer Gruppen. Ein Beispiel, so Kühn, sind die Lignane, die in Hülsenfrüchten und Vollkorngetreide vorkommen. Darmbakterien verstoffwechseln sie, wandeln sie um. „Dabei bilden sich kleine Moleküle, Botenstoffe, die bis ins Gehirn wandern können: „Dadurch scheint es positive Effekte auf die kognitive Gesundheit und die Psyche zu geben.“

Generell ist die Wirkung sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe auf das Mikrobiom im Darm noch wenig erforscht. „Aber es mehren sich die Hinweise, dass sie – unabhängig von den Ballaststoffen – eigenständige positive Wirkungen haben.“ Davon könnten übrigens auch Abnehmwillige profitieren: „Sie dürften ein rascheres Sättigungsgefühl auslösen. Jedenfalls scheinen die positiven Effekte all dieser Pflanzenstoffe noch viel größer zu sein, als wir derzeit wissen.“

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