Besser schlafen: Was bringen App, Podcast und Sleep Streaming?

"Ich weiß, wie schwer es sein kann, einzuschlafen", haucht die Stimme mitfühlend ins Mikrofon. Dazu Meditations- und Pianoklänge - und dann: "Hallo, ich bin Harry Styles!"
Im Juli 2020 gab es etwas Neues von dem britischen Sänger (29). Aber es war kein Album und keine Tour-Ankündigung. Es war eine Gutenachtgeschichte. Styles' "Dream With Me" ist seitdem auf der Schlaf- und Meditations-App Calm zu hören. Auch Schauspieler Cillian Murphy, Daniel Brühl oder Model Stefanie Giesinger stehen dort als Einschlaf-Redner zur Auswahl. Sänger John Legend hat seinen eigenen "Sleepcast", "Fifty Shades of Grey"-Star Jamie Dornan ebenso. Schläft man besser ein, wenn man den Lieblingspromi hört?
Eine, die es wissen muss, ist die Schlaf- und Traumforscherin Brigitte Holzinger.
Mehr Menschen haben Schlafprobleme
Die Idee, einzuschlafen, während einem jemand eine Geschichte vorliest, ist nicht neu. Tatsächlich scheinen aber immer mehr Erwachsene das Bedürfnis zu haben, in den Schlaf gewiegt zu werden, sagt Holzinger im Gespräch mit dem KURIER. „Es ist, wie wenn die Mama einem die Gutenachtgeschichte erzählt." Eine tiefe Erinnerung an Wohlbefinden und Geborgenheit werde geweckt. Eine bekannte Stimme, zum Beispiel die des Lieblingssängers, könne dieses Gefühl nochmal verstärken.
Immer mehr Menschen fällt es schwer, nachts zur Ruhe zu kommen. Die einen haben Probleme, einzuschlafen, die anderen schlafen zu wenig. In Österreich leiden quer durch alle Altersgruppen 25 bis 30 Prozent unter Schlafstörungen. 2007 waren es nur sechs Prozent. Schlafhilfen wie Apps sind daher längst zu einer eigenen Industrie geworden ("Sleeponomics"). Der Unternehmensberatung McKinsey zufolge werden damit jährlich mehrere Milliarden Dollar umgesetzt.
Welche Klänge am besten zum Einschlafen geeignet sind, lasse sich jedoch nicht pauschal beantworten. Für viele ihrer Patientinnen und Patienten könne es auch der übliche Nachrichtenpodcast sein, sagt die Schlafforscherin. "Die einen sagen, die Informationen dürfen nicht zu wichtig sein, sonst schlafe ich nicht ein. Die anderen sagen, es muss spannend sein." Entscheidend sei der Stresspegel: Wer angespannter ist, schläft tendenziell besser ein, wenn er abgelenkt wird, wenn also Geräusche dominieren. Wer weniger angespannt ist, bevorzugt eher Ruhe.
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Timer einschalten!
Sind die Augen einmal zugefallen, sollte es jedenfalls ruhig werden. Denn mit Hintergrundgeräuschen schläft man nicht so tief wie ohne. „Im Gegenteil: Aus der Forschung wissen wir, dass wir mit einem Schlafenden kommunizieren können. Er hört uns und antwortet, obwohl er im Tiefschlaf ist. Wir sind also auch im Schlaf beeinflussbar." Wer mit einem Podcast oder vor dem Fernseher einschläft, sollte daher unbedingt einen Timer verwenden, rät die Expertin. Gerade beim Fernsehen besteht die Gefahr, dass man durch das Flimmern des Bildschirms sonst nicht in den tiefen REM-Schlaf kommt.
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Vom Einschlafen mit einer Serie auf dem Laptop oder Tablet im Bett rät Holzinger klar ab. Das blaue Licht eines elektronischen Geräts so nah am Kopf und an den Augen könne das Einschlafen eher behindern.

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"Sleep Streaming" boomt
Ein Problem, das Holzinger auch beim "Sleep Streaming" sieht. Auf Videoplattformen wie Youtube, TikTok oder Twitch hat sich das Genre, bei dem sich Menschen beim Schlafen filmen und andere dabei zuschauen lassen, zu einem lukrativen Genre entwickelt. Eine amerikanische Streamerin verdient nach eigenen Angaben damit bis zu 15.000 Dollar pro Nacht.
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Die Idee dahinter sei ungewöhnlich, aber nicht ganz unverständlich, sagt Holzinger. „Wenn Menschen sehr einsam sind, kann das Gefühl, dass jemand da ist, sie ein Stück weit beruhigen". Ein Beispiel aus ihrer Praxis: „Wenn ich mittags in einem Schlafseminar autogenes Training mache und ein Teilnehmer schläft ein, schläft auch der nächste ein und so weiter. Ich glaube, dass wir in dieser Hinsicht mehr und anders kommunizieren, als uns bewusst ist."
Webinare und Seminare zum Thema Schlaf und Traum am Institut für Bewusstseins- und Traumforschung: traum.ac.at
Lehrgang Schlafcoaching an der Medizinischen Universität Wien: meduniwien.ac.at/postgraduate/schlafcoaching
Einsamkeit beeinflusst den Schlaf
Generell sei der Faktor Einsamkeit bei Einschlafproblemen nicht zu unterschätzen, sagt die Expertin. Als Schlafstörungen während der Pandemie zunahmen, suchte Holzingers Team in einer Studie nach den Gründen. Neben vermehrten finanziellen Sorgen war weltweit die Isolation ein zentraler Faktor. „Also auf sich allein gestellt zu sein und niemanden zu treffen, kombiniert mit dem Verlust der Tages- und Schlafstruktur. Das macht furchtbar depressiv und führt zu schlechtem Schlaf."
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Auch die Träume blieben vom Pandemie-Stress nicht verschont. Die Alpträume hätten sich während der Pandemie fast verdoppelt, sagt Holzinger. "Und jetzt haben wir auch noch den Krieg in der Ukraine und in Israel. Kein Wunder, dass die Menschen nervös werden."
Aus ihrer Forschung weiß die Schlafcoachin, dass man oft von dem träumt, womit man sich zuletzt beschäftigt hat. Ob das die Gutenachtgeschichte von Harry Styles oder das Weltgeschehen aus dem Nachrichtenpodcast ist, muss dann wohl jeder für sich selbst entscheiden.
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