Dopamin: Fluch oder Segen? Und was Detox wirklich bringt

Mehr Klarheit, mehr Fokus, mehr Motivation und innere Ruhe in einer Welt voller Reize und ständiger Ablenkungen: Das versprechen so genannte „Dopamin-Reset“- und „-Detox“-Programme.
Dahinter steckt die Idee, man könne sein Gehirn „entgiften“ oder gar umprogrammieren, indem man etwa aufhört, ständig in seinem Handy neue Nachrichten oder Posts zu checken und stattdessen wieder lernt, sich ein bisserl zu langweilen. Ziel wäre es, für einen bestimmten Zeitraum alles zu vermeiden, was hochstimulierend wirkt: Social Media, Netflix, Gaming, Serien, exzessiver Nachrichtenkonsum oder impulsives Browsen, um nur einige Beispiele zu nennen. Ein Trend-Thema – ausgerechnet! – auf Social Media wie auch in Podcasts, Blogs und in der Selbsthilfeliteratur. Dabei wird Dopamin als eine Art Antiheld in unseren Köpfen skizziert, der für unkontrolliertes Verlangen, Sucht und Konsumlust steht. Wahr oder falsch?
Weder „nur“ gut, noch „nur“ böse
Grundsätzlich gilt: Dopamin ist weder nur schlecht noch nur gut, seine Bedeutung ist abhängig vom Kontext. Umso wichtiger ist es, zu wissen, was das viel zitierte „Glückshormon“ tatsächlich ist – und kann. „Zunächst handelt es sich dabei gar nicht um ein reines Hormon, sondern um einen Neurotransmitter, also einen Nervenbotenstoff, der im zentralen Nervensystem, aber auch an anderen Stellen im Organismus vorkommt. Vor allem ist Dopamin ein Botenstoff im Gehirn, der dafür zuständig ist, Signale zwischen den Nervenzellen weiterzuleiten“, sagt Univ.-Prof. Dr. Harald Sitte, Leiter des Zentrums für Suchtforschung und Wissenschaft, MedUni Wien.

Univ.-Prof. Harald Sitte, MedUni Wien
Eines seiner wichtigsten Funktionen ist es, Bewegungen im Körper zu regulieren. Dabei hilft der Neurotransmitter nicht nur, Bewegung zu starten oder zu stoppen, sondern regelt etwa auch die Bewegungsgenauigkeit. Wie wichtig Dopamin ist und wie sehr es der Mensch benötigt, zeigt vor allem die Parkinsonkrankheit, bei der Zellen, die den Botenstoff produzieren, absterben. In Folge kommt es zum berühmten „Parkinson-Zittern“, aber auch zu verlangsamten Bewegungen oder Muskelsteifigkeit. Heißt: Der Mensch braucht Dopamin, um gesund und beweglich zu bleiben.
Lernen, was glücklich macht
„Doch da wäre auch noch dessen zweite Bedeutung, im Sinne des Begriffs „Glückshormon“: Dopamin spielt nämlich eine zentrale Rolle im Belohnungssystem des Gehirns“, so Sitte. Dort wirkt es als Signalüberträger für positive Verstärkung, Motivation und Lernprozesse. „Mit Hilfe von Dopamin lernt der Mensch also, dass ein Suchtmittel gut funktioniert und glücklich macht. Das macht es problematisch“, sagt Sitte. Dabei wird es nicht nur bei der tatsächlichen Belohnung freigesetzt, sondern auch, wenn das Gehirn diese „vorhersieht“, also erwartet – was wiederum das Lernen fördert und dazu motiviert, ein bestimmtes Verhalten zu wiederholen.
Sitte beschreibt am Beispiel Nikotin, wie das funktioniert: „Mir kann niemand sagen, dass die erste Zigarette schmeckt. Und dennoch gerät man rasch in eine Art Lernspirale, in der die Dopaminfreisetzung zum Ziel wird, das es durch das Rauchen einer Zigarette zu erreichen gilt. Dazu kommen Verstärkungsmechanismen, wie etwa das Verhalten in einer Peer-Group oder Rituale.“ Sucht sei allerdings nicht einzig mit Dopamin zu erklären, betont Sitte: „Die Mechanismen sind sehr komplex, es spielen noch weitere Stoffe eine Rolle, wie etwa der Neurotransmitter Serotonin. Dennoch nimmt Dopamin eine bedeutende Rolle bei der Suchtentwicklung ein.“
Umgelegt auf den Gebrauch von Smartphones bedeutet das aus seiner Sicht vor allem ein Verlangen nach „Content“. Damit argumentieren auch Verfechter des „Dopamin-Detox“: Jede eingehende Nachricht, jeder Like in den sozialen Medien kann eine Mini-Dopaminausschüttung im Gehirn auslösen – und „Mini-Glücksmomente“. Das wiederum löst das Bedürfnis nach „mehr“ aus. Irgendwann etabliert sich durch die wiederholte Stimulation des Belohnungssystems eine Gewohnheit, die nicht mehr so leicht abzulegen ist.
Erst vor kurzem ergab eine Studie von Psychologen der Universität Heidelberg, dass eine 72 Stunden dauernde Smartphone-Nutzungspause im Gehirn zu einem Entzug führt, wie es auch Suchtmittel tun. Dafür haben die Forscher 25 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 30 Jahren ausgewählt, die regelmäßig Smartphones nutzten. Während sie drei Tage lang auf das Handy verzichteten, wurden psychologische Tests und Hirn-Scans mit MRT (Magnetresonanztomografie) durchgeführt, um die Auswirkungen der Pause zu untersuchen. Die Scans zeigten signifikante Aktivitätsverschiebungen in den Belohnungs- und Suchtregionen des Gehirns, die den Mustern bei Drogen- oder Alkoholsucht ähneln sowie Veränderungen der Gehirnaktivität in Bereichen, die mit Dopamin und Serotonin in Verbindung stehen.
Wissen, was auf welche Weise wirkt
Ob nun Dopamin-Detox etwas bringt, ist wissenschaftlich nicht belegt, betont Sitte. „Doch aus eigener Erfahrung kann ich mir durchaus vorstellen, dass es etwas bewirkt – und dies mit Sicherheit messbar ist. Aber das müsste auch wissenschaftlich untersucht und belegt werden.“ Außerdem geht es darum, informierte Entscheidungen zu treffen: „Jeder Mensch sollte genau wissen, was die Smartphone-Nutzung oder bestimmte Verhaltensweisen auslösen. Und dann kann jeder für sich entscheiden – ob er es zum Beispiel ab sieben Uhr abends nicht mehr verwendet und es einfach abdreht. Oder nach dem Aufwachen nicht gleich zum Handy greift – sondern erst ab einem bestimmten Zeitpunkt.“
Gesündere Alternativen, seinen Dopaminspiegel zu erhöhen, gibt es zahlreiche, so Sitte: „Alles, was Freude macht – das ist von Mensch zu Mensch verschieden. Laufen, zum Beispiel. Bewegung in der Natur. Oder ich lese endlich das Buch fertig und fange ein Neues an. Weil dieses „Fertigmachen“ von Dingen auch ein ganz großer Befriedigungsfaktor ist und – im Sinne einer gelernten Erfahrung – ebenfalls zu einer Ausschüttung von Dopamin führt.“
Reiz-Reduktion
Sich immer wieder bewusst von kurzfristigen, stark belohnenden Reizen fernhalten, wie etwa Social Media, Süßigkeiten, Junk Food, Netflix, Gaming. Das macht sensibler und offener für weniger starke Reize. Die Idee dahinter: Non-Stop-Überstimulation kann durch schnelle „Dopamin-Kicks“ darin münden, dass die einfachen Dinge des Lebens als langweilig empfunden werden. Wer auf Super-Reize verzichtet, normalisiert seine Wahrnehmung. Dinge, die früher „zu wenig aufregend“ waren, sind wieder befriedigend.
Dopaminfreier Morgen
Statt sich morgens sofort auf das Handy zu stürzen, geht es darum, es etwas langsamer anzugehen, jenseits von Reiz und impulsiver Reaktion. Die fünf wichtigsten Regeln: kein Konsum von sozialen Medien oder Mails gleich nach dem Aufwachen. Stattdessen durchatmen, aufstehen und ein wenig stretchen oder Yoga. Frühstück, aber ohne Kaffee und idealerweise ohne Zucker. Sich hinsetzen, um sich die Tages-To-Dos zu überlegen und niederzuschreiben. Dann, etwa eine halbe Stunde nach dem Aufstehen, darf’s endlich Kaffee sein.
Langsamere & positive Dopamin-Kicks
Es ist allein schon neurobiologisch nicht möglich Dopamin zu eliminieren – vielmehr geht es darum, mit Hilfe einfacherer Tätigkeiten und Verhaltensweisen wieder empfänglicher für schlichte Alltagsfreuden zu werden. Was das unterstützt: Lange Spaziergänge in der Natur, im Wald ohne Smartphone, Meditation oder Atemübungen, Lesen von Büchern (idealerweise in Papierform, keine E-Reader), Stille genießen, Atemübungen. Bei all dem geht es nicht darum, Reize komplett zu verbieten, sondern nur zu reduzieren.
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