Covid-Welle in China: Ist der Höhepunkt wirklich erreicht?
Drei Jahr nach dem ersten Lockdown in Wuhan, der am 23. Jänner sein trauriges Jubiläum feiert, drängen sich Menschen in ganz China derzeit dicht an dicht auf Bahnhöfen, in Bussen und auf Flughäfen: Es ist Hauptreisezeit für das chinesische Neujahrsfest, zu dem viele Städter traditionell in ihre ursprünglichen Heimatprovinzen zu ihren Familien reisen. Das Fest wird am 22. Jänner gefeiert und ist in China das wichtigste Familienfest. Die Reisezeit zum Mondneujahr begann am 7. Jänner und hält 40 Tage an. Schätzungen zufolge werden die rund 1,4 Millionen Einwohner Chinas rund um die Feierlichkeiten bis zum 15. Februar zwei Milliarden Reisen absolvieren, also auch mehrfach unterwegs sein.
Und das mitten in der stärksten Covid-Welle, die das Land seit Beginn der Pandemie erlebt. Durch eine fast drei Jahre andauernde strenge Zero-Covid-Politik war China bisher vor großen Infektionswellen verschont geblieben. Doch mit Aufheben der Regelungen und mit dem Ende der Reiseeinschränkungen nahm die Verbreitung des Virus Fahrt auf.
Weniger schwer Kranke
Glaubt man chinesischen Behörden, ist der Höhepunkt der Infektionswelle allerdings bereits erreicht. Vizeministerpräsidentin Sun Chunlan sagte laut staatlichen Medien, die Erkrankungen seien auf einem "relativ niedrigen" Niveau. Gesundheitsbeamte bestätigten, die Zahl der Covid-Patienten in den Krankenhäusern und vor allem jener mit kritischem Gesundheitszustand sei rückläufig. "Die Zahl kritischer Patienten in Krankenhäusern nimmt stetig ab, obwohl die Rettungsmission immer noch schwer ist", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua die Politikerin.
Ist der Höhepunkt der Welle, die aus Angst vor neuen Varianten international mit Sorge beobachtet wird, tatsächlich bereits überschritten? Offizielle Daten, die das belegen, gibt es nicht. Mit der abrupten Änderung des politischen Kurses im Dezember hat die chinesische Regierung nicht nur das Massentesten und die Bewegungseinschränkungen aufgegeben. Auch epidemiologische Daten werden nicht mehr veröffentlicht. Chinas Internetregulierungsbehörde sagte laut Nachrichtenagentur Reuters diese Woche, sie würde alle "gefälschten Informationen" über die Ausbreitung des Virus zensieren, die während der Feierlichkeiten zum Mondneujahr "düstere Stimmung" hervorrufen könnten.
Gesundheitsbehörden frustriert
Experten des öffentlichen Gesundheitswesens sind laut einem Bericht des wissenschaftlichen Fachjournals Nature frustriert über das Fehlen offizieller Daten zum Ausmaß und zur Schwere des Ausbruchs. Bereits zu Beginn des Anstiegs drangen nur wenig Zahlen zum Infektionsgeschehen an die Öffentlichkeit. Zwar meldete das Land einen starken Anstieg bei Krankenhauseinweisungen aufgrund von Covid. Wie sehr Chinas Bevölkerung belastet ist, zeigten aber erst Berichte von Bestattungsunternehmen mit sich stapelnden Särgen.
Hunderte Millionen Chinesen sollen sich bisher bereits infiziert haben. Laut WHO stiegen die Zahlen von Covid-Patienten in Krankenhäusern aktuell auf 63.307. Das sind 70 Prozent mehr gegenüber der Vorwoche – laut der von Peking vorgelegten Daten, bei 1,4 Milliarden Einwohnern. Zwischen 8. Dezember und 12. Jänner sind nach offiziellen Angaben knapp 60.000 Menschen mit Covid im Krankenhaus gestorben. Nicht enthalten sind jene, die zuhause verstarben. Zudem gaben einige Ärzte an, dass ihnen abgeraten wurde, Covid auf Sterbeurkunden zu setzen.
Mathematisches Modell
Laut Shengjie Lai, er erstellt mathematische Modelle für Infektionskrankheiten an der University of Southampton in Großbritannien, gibt es jedoch Anzeichen dafür, dass die aktuelle Infektionswelle in einigen Teilen des Landes tatsächlich ihren Höhepunkt erreicht hat.
Ende Dezember simulierte Lai die Anzahl der Infektionen in verschiedenen Regionen Chinas, indem er Informationen über die Ausbreitung des Virus im Oktober und November 2022 mit Daten zu Reisen zwischen Städten im ganzen Land kombinierte. Laut Lai erlebte fast die Hälfte der chinesischen Städte zwischen dem 10. Dezember und dem 31. Dezember einen Höhepunkt bei den Infektionen. Für weitere 45 Prozent der Städte erwartete der Wissenschaftler den Höhepunkt in der ersten Januarhälfte.
Laut Nature entsprach Lais Modell den Suchanfragen in der chinesischen Internetsuchmaschine Baidu nach Begriffen wie "Fieber" und "Covid". Die Höhepunkte der Anfragen passten zu den von Lai berechneten Höhepunkten der Infektionswelle in den Städten. Auch die Berichte über das Ausmaß der Infektionen in bestimmten Städten und Provinzen verglich Lai mit seinem Modell. So sagte etwa der stellvertretende Direktor des chinesischen Zentrums für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten in Peking am 21. Dezember, dass bereits mehr als 250 Millionen der Bevölkerung infiziert seien. Das sind etwa 18 Prozent aller Menschen in China. Und in Großstädten wie Peking und Sichuan seien mehr als 50 Prozent der Einwohner infiziert.
Was dafür spricht, dass der Höhepunkt der Infektionswelle bereits erreicht sein könnte, ist, dass die vorherrschende Variante Omikron ist. Das heißt, eine sich schnell verbreitende Variante, die zwar zu schweren Fällen führen kann, allerdings weniger als ihre Vorgängervarianten wie Delta.
Kritische Stimmen
Es gibt jedoch auch kritische Stimmen, die die Schätzungen anzweifeln. Dazu zählt etwa Christopher Murray, Leiter des Institute for Health Metrics an Evaluation in Seattle, USA. Laut Murray gebe es keine Transparenz, wie die Schätzungen vonseiten Chinas entstanden. Unabhängig von Covid sei das System des Landes zur Aufzeichnung von Geburten und Todesfällen unvollständig. Eine von Murrays Institut veröffentlichte Modellierung deutet darauf hin, dass der Ausbruch erst im April seinen Höhepunkt erreicht haben könnte.
Experten gehen davon aus, dass auch ein Ende der Reisetätigkeiten das Virus jetzt nicht mehr eindämmen würde, da ein Großteil der Menschen längst unterwegs ist. Auch wenn der Höhepunkt erreicht sein sollte, trifft das Virus gerade in den Provinzen meist auf ältere Menschen – 40 Prozent der älteren Bevölkerung Chinas leben in ländlichen Regionen, die keinen Zugang zu größeren Krankenhäusern haben. Zudem ist etwa ein Drittel der über 80-Jährigen in China nicht geimpft. Selbst Präsident Xi Jinping sagte, er sei besorgt über einen Zustrom von Reisenden in ländliche Gebiete mit schwachen medizinischen Systemen und dass der Schutz älterer Menschen oberste Priorität habe.
Wie gut das gelingt, wird sich zeigen.
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