Was wir bis jetzt über die neue Virus-Mutation wissen

Was wir bis jetzt über die neue Virus-Mutation wissen
Der deutsche Virologe Christian Drosten und der österreichische Virologe Andreas Bergthaler über die neue Virus-Mutation.

Der britische Premierminister Boris Johnson gab am Samstag bekannt, dass die kürzlich entdeckte Coronavirus-Variante um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form ist. "Es gibt immer noch viel, das wir nicht wissen. Aber es gibt keine Beweise, dass die neue Variante mehr oder schwerere Krankheitsverläufe auslöst", sagte Johnson.

Auch eine höhere Sterblichkeit sei durch die Virus-Variante VUI2020/12/01 bisher nicht festgestellt worden. Der oberste wissenschaftliche Regierungsberater Patrick Vallance betonte, dass im Dezember 60 Prozent der Neuinfektionen in London die neue Variante betroffen hätten. "Sie breitet sich rasch aus und ist dabei, die dominierende Variante zu werden", sagte er.

Am Sonntag sagte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock in der BBC: "Sie (Anm: die neue Variante) ist außer Kontrolle, und wir müssen sie wieder unter Kontrolle bekommen." Nach ersten Erkenntnissen der Behörden ist die Mutation deutlich ansteckender als die bisher bekannte Form.

Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass die Variante schwerere Krankheitsverläufe auslöse oder eine höhere Sterblichkeitsrate. Zudem gehen die Behörden bisher davon aus, dass Impfstoffe auch gegen die Mutation wirksam sind.

Hancock mache sich große Sorgen um das Gesundheitssystem: Derzeit seien mehr als 18.000 Infizierte in den Krankenhäusern, das seien fast so viele wie zum Höhepunkt der ersten Infektionswelle im Frühjahr. "Das ist ein weiterer Grund dafür, dass alle sich an die neuen Regeln halten und persönlich Verantwortung übernehmen müssen", sagte er. Dem Sender Sky News sagte Hancock, jeder müsse sich so verhalten, als sei er mit Corona infiziert. "Das ist der einzige Weg, wie wir das Virus unter Kontrolle bekommen können."

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht mit Großbritannien wegen der Ausbreitung der neuen Variante des Coronavirus in engem Kontakt. Das twitterte die WHO in der Nacht auf Sonntag. Die britischen Behörden würden weiter Informationen und Ergebnisse ihrer Analysen und Studien teilen

"Wir werden die Mitgliedstaaten und die Öffentlichkeit auf dem Laufenden halten, sobald wir mehr über die Merkmale dieser Virus-Variante und deren Auswirkungen erfahren."

In der Zwischenzeit werde geraten, weiter alle Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern, so die WHO. Wegen der raschen Ausbreitung einer neuen Variante des Coronavirus in Großbritannien hatte die britische Regierung einen neuen Shutdown u.a. für die Hauptstadt London verhängt.

Österreich plant Landeverbot für Flüge aus Großbritannien

Holland sprach wegen der Virus-Mutation als erstes Land ein Flug-Verbot aus: Das Verbot des Flugverkehrs mit Passagieren aus dem Vereinigten Königreich werde ab diesem Sonntag zunächst bis zum 1. Jänner gelten, teilte die niederländische Regierung am frühen Sonntagmorgen mit.

Was wir bis jetzt über die neue Virus-Mutation wissen

Das Institut für Umwelt und Gesundheit RIVM habe empfohlen, die Einschleppung dieses Virusstammes aus dem Vereinigten Königreich so weit wie möglich zu begrenzen, indem die Reisebewegungen aus dem Vereinigten Königreich so weit wie möglich eingeschränkt oder kontrolliert würden.

Bereits Anfang Dezember sei bei einer Stichprobe in den Niederlanden ein Virus mit der im Vereinigten Königreich beschriebenen Variante identifiziert worden.

Auch Österreich gab am Sonntag bekannt, ein Landeverbot für Flüge aus Großbritannien zu verhängen. Das kündigte das Gesundheitsministerium gegenüber der APA an. Die Details dazu werden aktuell erarbeitet, hieß es.

Derzeit gebe es bereits strenge Auflagen, betonte das Gesundheitsministerium: Großbritannien wird als Staat mit erhöhtem Infektionsrisiko angesehen, weshalb für Einreisende eine Quarantänepflicht gilt. Ein Freitesten aus der zehntägigen Quarantäne ist frühestens nach dem fünften Tag möglich.

Neue Virus-Variante muss nicht zwingend Selektionsvorteil haben

Mittlerweile wurde ein erster Steckbrief über die relevanten Mutationen N501Y, P681H, 69-70del veröffentlicht.

Auf Twitter meldete sich am Sonntag der deutsche Charité-Wissenschafter Christian Drosten zu Wort: Die Verbreitung der neuen Virus-Mutation könne Zufall sein und müsse nicht zwingend einen Selektionsvorteil mit sich bringen, dies könne aber möglich sein. In Deutschland sei diese Variante noch nicht nachgewiesen worden.

Der deutsche Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach warnte vor Mutationen des Coronavirus. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass Mutationen die Ansteckungsgefahr erhöhen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Sonntag.

"Das ist ein weiterer Grund dafür, dass die zweite Welle nicht so stark werden darf. Je mehr Ansteckungen man zulässt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch gefährlichere Mutationen folgen. Das ist quasi ein Teufelskreis: Mehr Ansteckungen führen zu mehr Mutationsgelegenheiten und damit zu mehr Mutationen. Diese wiederum führen zu mehr Ansteckungen. So geht es dann immer weiter."

Ist neue Variante in Österreich nachgewiesen worden?

Virologe Andreas Bergthaler vom Zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien im Interview mit dem KURIER: "Nein, auch wir haben diese neue Virus-Mutation in Österreich noch nicht nachgewiesen. Diese Variante aus Südengland ist durch 17 Mutationen charakterisiert. Wir kennen keine Virus-Probe aus Österreich, die diese 17 aufweist."

Vereinzelt gebe es freilich Proben in Österreich, die die eine Mutation aufweisen, so der Wissenschafter. Generell schätzt Bergthaler die Lage ähnlich wie der deutsche Virologe Christian Drosten ein: "Einerseits gibt es ständig Virus-Mutationen - das ist nichts Neues. Es sind Tausende Mutationen im Spike-Protein beschrieben. Die zwei Aspekte, die bei den südenglischen Virus-Varianten von besonderem Interesse sind, ist, dass das Virus dort viele Mutationen angesammelt hat und sich diese Variante in England sehr ausgebreitet hat. Das kann aber auch mit Zufällen wie Superspreading-Events zusammenhängen, wo Superspreader diese Virus-Varianten weiterverbreitet haben. Man muss mit der Deutung vorsichtig sein."

Der österreichische Virologe habe den Eindruck, "dass die britischen Politiker diese Virus-Variante als Argument für ihren Strategiewechsel zu Weihnachten benützen": "Denn im Vergleich dazu sind die Reaktionen der Wissenschafter – auch der britischen - sehr vorsichtig. Man kann nicht ausschließen, dass diese Mutationen ansteckender sind, man hat aber keinen Beweis dafür."

"Vor allem könne man keine Rückschlüsse daraus ziehen, ob das Virus sich tatsächlich ansteckender verhält oder schwerere Krankheitsverläufe auslöse. Mutationen sieht man ständig."

Was sagt das über die Wirksamkeit der Impfstoffe aus?

Mit Blick auf die Wirksamkeit der Impfstoffe betont Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel, dass das Vakzin eine Immunreaktion gegen mehrere Virusmerkmale erzeugt. Veränderungen einzelner Merkmale würden deshalb nicht dazu führen, dass das Immunsystem den Erreger nicht mehr erkenne, sagte Neher. Man müsse die weitere Dynamik genau beobachten.

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