Christian Drosten: "Man könnte diese Pandemie wegimpfen"

Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin: Er rechnet mit neuerlichen Kontaktbegrenzungen im Herbst.
Charité-Virologe: Impfquote ist viel zu niedrig, um gelassen in den Herbst zu gehen. Teilweise gebe es "Gleichgültigkeit" gegenüber dem Impfthema.

"Enttäuscht" zeigt sich der deutsche Virologe Christian Drosten  von der Berliner Charité über die aus seiner Sicht zu geringe Impfquote in Deutschland. "Ich hatte wirklich gedacht, wir kommen mit einer hohen Impfquote aus der Sommerpause und können dann in ein paar Podcast-Folgen feiern, wie gut wir das alles in Deutschland hingekriegt haben", sagte er in der neuesten, Freitagabend veröffentlichen Folge des NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update".

Drosten bezweifelt, dass Deutschland allein durch Impfangebote eine akzeptable Impfquote in der Corona-Pandemie erreichen kann. Hauptgrund sei eine gewisse Gleichgültigkeit in der Bevölkerung. Deutschland werde deshalb im Herbst "mit Sicherheit" wieder Kontaktbegrenzungen brauchen. "Gelassen in den Herbst zu gehen, ist eine gewagte Vorstellung", sagte der Wissenschaftler in dem am Freitagabend veröffentlichten Podcast.

Auch mit Blick auf die Zahl von Corona-Patienten in Krankenhäusern zeigte sich Drosten wenig optimistisch. Er rechne damit, dass die Entwicklung sowohl Intensivstationen als auch die anderen Stationen und Notaufnahmen belasten werde. Für Ungeimpfte über 60 Jahre sei es ein "riesiges Risiko", ungeimpft in diesen Herbst zu gehen.

Er gehe jedoch nicht davon aus, dass Deutschland über Ansprache der Bevölkerung mit der Impfquote noch viel weiter komme, sagte Drosten dem Sender. "Und darum glaube ich, dass die Politik eine schwere Aufgabe vor sich hat und konsequent auch Entscheidungen treffen muss bald." Gefragt worden war Drosten in diesem Zusammenhang auch nach einer Impfpflicht als Option.

Bislang sind erst 61 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft (Österreich: 58,6 Prozent). Im August nahm die Impfquote nur noch um rund 10 Prozentpunkte zu.

Nach Berechnungen deutschen Robert-Koch-Instituts müssen aber mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Menschen ab 60 Jahren vollständig geimpft sein, damit eine ausgeprägte neue Welle mit vollen Intensivstationen im Herbst und Winter unwahrscheinlich wird.

"Es ist leider nicht gelungen, diese Impfquote zu erzielen", resümierte Drosten. Auch in Österreich werden diese Werte nicht erreicht. Er selbst hatte auf 80 Prozent gehofft. Theoretisch könne man sich aus einer Pandemie quasi herausimpfen, sagte Drosten: "Man könnte diese Pandemie wegimpfen". Dafür hält der Forscher eine gesamtgesellschaftliche Impfquote von über 90 Prozent für nötig - was derzeit utopisch scheint.

Man könne versuchen, die Dringlichkeit von Impfungen in Deutschland zu vermitteln, sagte der Virologe. „Es gibt eine grundsätzliche Offenheit. Ich würde nur ganz wenigen nicht geimpften Personen im Moment unterstellen, dass die jetzt vollkommen verrückte Geschichten glauben.“ Manchmal sei es eher eine gewisse Gleichgültigkeit, die eine Entscheidung für die Impfung verhindere.

Schreckliche Erfahrungen in Portugal, Spanien

Das sei der große Unterschied zu Menschen in Portugal oder Spanien. „Die haben eine schreckliche gesamtgesellschaftliche Erfahrung hinter sich. Viele Tote und einen richtigen Lockdown, wo man nur zum Einkaufen mit Begründung nach draußen darf, und auf der Straße patrouilliert das Militär.“ Das sei ein wirklicher Lockdown. „Das haben wir in Deutschland nicht erlebt. Wir können, glaube ich, diese Erfahrung in Deutschland nicht im Nachhinein noch simulieren.“

Was ihn aber optimistisch stimme, sei die hohe Impfbereitschaft bei den 12- bis 17-Jährigen, sagte Drosten. „Das ist extrem positiv zu sehen. Wir haben hier eine junge, auffassungsfähige Bevölkerungsschicht.“ Auch beim Thema Schule zeigte sich der Virologe optimistisch. Es sei durchaus möglich, den Schulbetrieb in Winterhalbjahr aufrecht zu erhalten.

Auf den Kliniken werde dagegen erheblicher Druck lasten. Auf den Normalstationen würden Covid-19-Patienten dann um Behandlungskapazitäten konkurrieren mit Kranken, die andere Nöte hätten. Für die Intensivstationen sei es wiederum ein Problem, dass die Impfquote bei den Älteren mit oft schweren Verlaufsformen nicht über 90 Prozent gestiegen sei. Bei steigenden Inzidenzen werde es zudem auch unter Jüngeren Intensiv-Fälle geben, ergänzte Drosten. Die Mehrzahl der Covid-Patienten in Krankenhäusern ist nicht geimpft.

Auch Erfahrungen aus England mit hohen Inzidenzen in der Delta-Welle haben Drosten zu denken gegeben. Es habe dort mehr Klinikeinweisungen und auch Todesfälle gegeben als er vermutet hätte, sagte der Virologe. „Da bleibt noch mehr übrig an Gefahr zu sterben.“

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