Unheilbar krank: Ein Bluttest zur Früherkennung von ALS?
Im fortgeschrittenen Stadium der ALS benötigen Erkrankte einen Rollstuhl um ihre Mobilität zu erhalten.
ALS früh erkennen und behandeln, um die Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten: Diese Hoffnung wecken Forschungen aus den USA und Australien.
Fachleute der University of California und der University of Queensland berichten im Fachblatt Genome Medicine von einem Bluttest, der einer frühen Diagnose der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) Vorschub leisten könnte. Laut den Autorinnen und Autoren handelt es sich um die erste Studie, die zellfreie DNA – DNA-Fragmente, die von absterbenden Zellen ins Blut abgegeben werden – als potenziellen Biomarker bei ALS untersucht.
"Besteht dringender Bedarf an einem Biomarker für ALS"
Für die Wissenschaft ist ALS noch immer weitgehend rätselhaft. Die Erkrankung des Nervensystems führt zum Verlust von Motoneuronen (Nervenzellen, die Signale vom zentralen Nervensystem zu den Muskeln übertragen, um Muskelbewegungen zu steuern, Anm.) im Gehirn und Rückenmark, was zu fortschreitender Muskelschwäche, Muskelschwund und Lähmungserscheinungen führt. Die genauen Ursachen sind nicht vollständig geklärt.
"Es besteht dringender Bedarf an einem Biomarker für ALS, um Patienten schneller diagnostizieren, klinische Studien unterstützen und den Krankheitsverlauf überwachen zu können", erklärt Hauptautorin und Neurologin Christa Caggiano in einer Aussendung die Relevanz der neuen Forschungen. "Unsere Studie präsentiert zellfreie DNA in Kombination mit einem maschinellen Lernmodell als Kandidaten, um diese Lücke zu schließen."
Demnach weist zellfreie DNA aus absterbenden Zellen in den von der Krankheit betroffenen Körpergeweben Veränderungen auf, die mit ALS in Zusammenhang gebracht werden können. In der Studie testete Caggiano mit ihrem Team die Methode an zwei Gruppen von ALS-Betroffenen und gesunden Teilnehmenden. Computermodelle konnten anhand der zellfreien DNA deutlich zwischen ALS-Patienten und gesunden Teilnehmenden unterscheiden und auch Erkenntnisse über den Schweregrad der Erkrankung liefern.
Mit dem Verfahren konnten ALS-Betroffene auch von Patientinnen und Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen unterschieden werden, "was für aktuelle ALS-Biomarker eine Herausforderung darstellt", so Caggiano.
Vielversprechend aber aufwendig
"Das Konzept ist vielversprechend", sagt der Neurologe Hakan Cetin, Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen an der MedUni Wien, gegenüber dem KURIER. "Bei biologisch sehr komplexen Erkrankungen wie der ALS spielen genetische Veränderungen an der DNA eine große Rolle. Und man kann sie auch im Blut nachweisen, weil Zellen sie freisetzen, wenn sie zugrunde gehen", erklärt der Experte, der an der MedUni auch eine Forschungsgruppe für Amyotrophe Lateralsklerose und andere Motoneuronerkrankungen leitet. Wegen technischer Hürden seien derartige Veränderungen lange Zeit nicht nachweisbar gewesen. "In den vergangenen Jahren wurden die Nachweisverfahren aber derart verfeinert, dass solche Tests nun immer mehr Eingang in die Forschung finden."
Vom Einsatz am Patienten sei man noch weit entfernt: "Für Betroffene hat dieses Verfahren, das momentan auch noch extrem aufwendig und teuer ist, aktuell keine Relevanz. Auch wenn sich die Ergebnisse in größeren Studien bestätigen, wird es noch Jahre dauern, bis solche Tests an Kliniken verwendet werden."
Diagnose
Die Diagnose ALS wird anhand einer klinischen Untersuchung durch einen Neurologen oder eine Neurologin gestellt. Zusätzlich werden mittels einer Nadeluntersuchung im Muskel die Muskelströme gemessen (Elektromyographie). "Meist sind diese Schritte ausreichend für die Diagnosestellung", sagt Experte Hakan Cetin.
Vorkommen
Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine zwar weltweit auftretende, jedoch insgesamt seltene Erkrankung. Von 100.000 Menschen erkranken pro Jahr etwa ein bis drei neu an ALS. Für Österreich gehen aktuelle Schätzungen von etwa 1.300 Patientinnen und Patienten aus.
Ausschluss anderer Erkrankungen
Dass in der neuen Studie anhand von Veränderungen an zellfreier DNA auch zwischen verschiedenen neurologischen Erkrankungen unterschieden werden konnte, hält Cetin für deutlich interessanter. "Es geht mehr um den gezielten Ausschluss anderer Erkrankungen, die der ALS ähneln können, wobei die Diagnose der ALS uns meist nicht vor Herausforderungen stellt", betont Cetin und hält die Bedeutung des Ansatzes auch in einem weiteren Punkt für sehr spannend: "Die Hoffnung wäre, mit zellfreier DNA zum Beispiel auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Formen der ALS besser verstehen zu können."
Besteht Unsicherheit, ob tatsächlich eine ALS oder eine andere Erkrankung vorliegt, kann schon jetzt auf einen Biomarker zurückgegriffen werden. "Das Neurofilament (Bestandteil der Nervenzellen) kann hilfreich bei der Differenzierung sein." Auch für das Therapieansprechen ist das Neurofilament ein guter Indikator. "Bei einer genetischen Unterform der ALS gibt es eine neuartige genspezifische Therapie, bei der der Therapieerfolg sehr früh – noch bevor es die Patienten selbst merken – im Blut über das Neurofilament gemessen werden kann. Wenn der Wert sinkt, kann man davon ausgehen, dass der Patient auf die Therapie anspricht", erklärt Cetin.
Auch die zellfreie DNA als Biomarker könnte einen derartigen Nutzen bieten – "oder sogar eine Grundlage für gezieltere Therapien liefern".
Entwicklung von Therapien nach wie vor "extrem schwierig"
Man geht davon aus, dass ALS bei den meisten Betroffenen durch eine Kombination aus genetischer Veranlagung und Umweltfaktoren entsteht. Erste Symptome treten in der Regel zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr auf. Etwa die Hälfte der Patientinnen und Patienten stirbt innerhalb der ersten drei Jahre nach der Diagnose. Nur in Ausnahmefällen leben Betroffene länger als ein Jahrzehnt damit – bei Stephen Hawking, dem prominentesten Betroffenen, war es mehr als ein halbes Jahrhundert. Kürzlich machte Schauspieler Eric Dane seine ALS-Erkrankung öffentlich. Derzeit kann ALS nicht geheilt werden. Mit verfügbaren Therapien können nur die Symptome gelindert werden, um die Lebensqualität betroffener Menschen so lange wie möglich zu erhalten.
Vor allem bei Formen von ALS, bei denen keine angeborene Gen-Mutation als Ursache für die Erkrankung ausgemacht werden kann, sei die Entwicklung von Therapien nach wie vor "extrem schwierig". Bei "jenen 85 Prozent der Betroffenen ohne angeborene Gen-Mutation dürften Umweltfaktoren und epigenetische Veränderungen eine größere Rolle spielen. Bei diesen Formen verstehen wir nach wie vor nicht genau, wieso die Krankheit entsteht".
Kommentare