Fortschritt bei ALS: Gedanken werden zur Stimme

Ein Mann trägt ein schwarzes Neuroimplantat. Das Gerät ist direkt am Kopf befestigt. Im Hintergrund ist unscharf ein weißer Text auf einem Bildschirm zu sehen.
Ein US-Forschungsteam hat einem Mann mit der unheilbaren Muskelerkrankung ALS ermöglicht, in Echtzeit zu sprechen – ein Hoffnungsschimmer für viele, etwa auch den prominenten Schauspieler Eric Dane.

Von Elaine Poet

Eric Dane wurde als plastischer Chirurg Dr. Mark "McSteamy" Sloan in der US-Krankenhausserie "Grey’s Anatomy" bekannt. Im April gab er bekannt, an amyothropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt zu sein – einer Krankheit, für die es bis heute keine Heilung gibt. Sie ist eine fortschreitende Erkrankung des motorischen Nervensystems und führt dazu, dass Betroffene nach und nach die Kontrolle über ihre Muskeln verlieren. 

In einem Fernsehinterview, das kürzlich in der ABC-Sendung Good Morning America ausgestrahlt wurde, berichtete der 52-jährige Schauspieler, wie seine rechte Hand komplett funktionslos wurde. Erst schob er die Schwäche auf zu viel Tippen. Neun Monate später stand die Diagnose ALS fest. 

Seitdem ist nichts mehr wie zuvor. "Ich werde diese drei Buchstaben nie vergessen", sagt Dane. Und obwohl er noch sprechen kann, weiß er: Auch das kann sich ändern. Denn ALS betrifft nicht nur Arme und Beine, sondern oft auch die Muskulatur, die für Sprache und Atmung notwendig ist.

Neue Technologie im Einsatz

Was viele Betroffene in fortgeschrittenen Stadien erleben: Sie sind geistig vollkommen klar, können aber kaum noch sprechen oder sich mitteilen. Genau hier setzt eine neue Technologie an, die kürzlich in einer klinischen Studie der University of California, Davis getestet wurde – mit verblüffendem Erfolg: Ein ALS-Patient konnte mithilfe einer Gehirn-Computer-Schnittstelle (Brain-Computer Interface, BCI) wieder sprechen, nicht über einen Bildschirm, nicht durch Tippen – sondern in Echtzeit, mit Betonung, Melodie und spontanen Einwürfen. Ein Computer übersetzt die Gedanken des Patienten direkt in gesprochene Sprache – nahezu ohne Verzögerung.

Ein digitaler Vokaltrakt

Herzstück der neuen Technologie sind vier Mikroelektroden-Arrays, also Datenstrukturen, die chirurgisch in die für die Sprachproduktion zuständige Hirnregion implantiert wurden. Diese Sensoren zeichnen die Aktivität von Hunderten Neuronen auf, während der Teilnehmer versucht, bestimmte Laute oder Wörter zu erzeugen. Ein künstlicher Vokaltrakt – ein digitaler Nachbau unseres Sprechapparats – wandelt die Signale schließlich in hörbare Sprache um.

„Unsere Stimme ist ein Teil dessen, was uns ausmacht. Der Verlust der Fähigkeit zu sprechen ist für Menschen verheerend“, sagt Neurochirurg David Brandman, Studienleiter der BrainGate2-Studie. „Die Ergebnisse geben Hoffnung.“

Vom Text zur echten Stimme

Frühere Brain-Computer-Systeme konnten neuronale Signale in Text umwandeln, der anschließend vorgelesen wurde. Die Kommunikation war möglich, aber langsam und unnatürlich. Die neue Methode geht einen Schritt weiter: Sie erzeugt flüssige Sprache mit Tonhöhe, Tempo und sogar emotionaler Färbung. Die Umwandlung erfolgt in nur 25 Millisekunden – etwa so schnell, wie wenn man  seine eigene Stimme beim Sprechen hört.

Die zugrundeliegende künstliche Intelligenz wurde auf Basis von Trainingsdaten entwickelt. Der Patient las Sätze von einem Bildschirm ab, während seine neuronale Aktivität aufgezeichnet wurde. Die Algorithmen lernten, bestimmte Muster im Gehirn mit Sprachlauten zu verbinden und daraus eine Stimme zu formen, die der ursprünglichen stark ähnelt.

Der Unterschied zeigt sich im Alltag: Der Patient konnte während eines Gesprächs Fragen stellen, Betonungen setzen, neue Wörter bilden und sogar einfache Melodien singen. Die BCI-Stimme war klar und oft gut verständlich. Rund 60 Prozent der synthetisierten Wörter wurden korrekt erkannt. Ohne die Schnittstelle lag die Verständlichkeit bei gerade einmal vier Prozent.

Zurück ins Gespräch

Ein Meilenstein der Studie: Die Technologie ermöglicht nicht nur das Sprechen, sondern auch die Teilnahme an echten Dialogen. Nutzer können unterbrechen, reagieren, Emotionen ausdrücken, wieder Teil eines Gesprächs sein. Genau darin besteht für viele Menschen mit Sprachverlust das größte Hindernis.

Trotz aller Euphorie betonen die Forschenden, dass die Technologie noch am Anfang steht. Bisher wurde sie nur bei einem einzigen Patienten mit ALS getestet. Um klinisch einsetzbar zu werden, muss sie an weiteren Betroffenen und bei unterschiedlichen Ursachen von Sprachverlust – etwa nach einem Schlaganfall – erprobt werden.

Doch das Ziel ist klar: Neuroprothesen sollen nicht nur Kommunikation ermöglichen, sondern menschliche Verbindung zurückbringen. Für viele, die durch Krankheit verstummt sind, könnte das ein Weg zurück ins Leben sein.

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