Muskelkrämpfe beim Sport: Was hilft tatsächlich dagegen?

Krämpfe sind immer ein Alarmzeichen, dass Muskeln übermäßig belastet wurden.
Die Tennisprofis Carlos Alcaraz und Jannik Sinner haben es getrunken, auch viele Hobbysportler schwören darauf: Gurkenwasser – die essighaltige Flüssigkeit, in die Gurken eingelegt werden – soll die Intensität und Dauer von Muskelkrämpfen beim Sport reduzieren. Stimmt das?
Der Kardiologe, Sport- und Ernährungsmediziner Daniel König, Leiter der Abteilung Ernährung, Bewegung und Gesundheit am Institut für Sportwissenschaften der Uni Wien, klärt über das Thema Muskelkrämpfe auf.
KURIER: Wie kommt es zu Muskelkrämpfen beim Sport?
Daniel König: Trotz intensiver Forschung in den vergangenen 100 Jahren gibt es auf diese Frage keine einfache Antwort. Man geht heute davon aus, dass es nicht die eine Ursache gibt, sondern es sich um ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren handelt. Ausgangspunkt ist eine Überlastung und Ermüdung der Muskulatur durch zu intensive Beanspruchung.

Ernährungsmediziner Daniel König: "Vieles greift bei Muskelkrämpfen ineinander."
Und dann gibt es zusätzliche Risikofaktoren, besonders ein Flüssigkeits-, ein Elektrolyt- und ein Energiemangel, hier vor allem zu wenig Kohlenhydrate. Auch Schlafmangel, Stress, hohe Temperaturen oder kleinere, unbemerkte Muskelverletzungen können eine Rolle spielen.
Aber warum ist man dann nicht nur erschöpft, sondern krampfen auch die Muskeln?
Nervenzellen im Rückenmark, sogenannte Alpha-Motoneuronen, steuern anhand von Signalen aus dem Gehirn die Anspannung und passiv auch die Entspannung der Muskulatur. Ein elektrischer Reiz löst die Anspannung der Muskeln aus, anschließend ist ausreichend Zeit zur Entspannung. Danach kommt der nächste Reiz.
Zu intensive Belastung führt zu einer Übererregung dieser Nervenzellen, sie senden zu viele Signale an die Muskeln, Anspannung und Entspannung laufen nicht mehr koordiniert ab, die Entspannungsphasen sind zu kurz. Die Reize zur Anspannung kommen zu früh und treffen auf noch erregte Muskeln, das schaukelt sich dann bis zum Krampf auf.
Was kann da Gurken-Essigwasser bewirken?
Es gibt im Wesentlichen nur Beobachtungsstudien. Wobei es nicht darum geht, diese Flüssigkeit zu trinken, sondern lediglich darum, den Mund- und Rachenraum auszuspülen. Dadurch lassen sich die Dauer und Schwere eines bereits aufgetretenen Krampfes laut Studien im Ausmaß von rund 40 Prozent reduzieren. Vorbeugend wirkt das aber nicht.
Der genaue Mechanismus ist nicht bekannt, es gibt nur Hypothesen. Die Säure oder andere Komponenten in der Flüssigkeit scheinen Sensoren im Mundraum zu stimulieren. Die Intensität der Reize der Nervenzellen an die Muskeln wird dadurch reduziert, die Schmerzen gelindert.
Könnte es am Essig liegen?
Verschiedene Essigverbindungen scheinen die Krampfintensität zu reduzieren, belegt ist das aber nicht. Mineralstoffe, Elektrolyte, können es nicht sein, weil man das Gurkenwasser ja nicht trinkt.
Welche Rolle spielt ein Magnesiummangel?
Mineralstoffmangel generell ist ein Risiko für Krämpfe. Aber man geht heute davon aus, dass die ausreichende Versorgung mit allen Elektrolyten wichtig ist, neben Magnesium etwa auch mit Kalium und besonders mit Natrium. Gleichzeitig sollten die Zellen möglichst prall mit Wasser gefüllt sein. Es sind viele Rädchen, die ineinandergreifen, keine einzelne Ursache.
Belegt ist, dass Magnesium bei nächtlichen Wadenkrämpfen oder auch in der Schwangerschaft hilfreich sein kann. Aber ich kenne keine Studie mit dem Ergebnis, dass Magnesiumgaben beim Sport Krämpfe tatsächlich verhindern können. Dafür gibt es schlicht keine wissenschaftliche Evidenz.
Allerdings gibt es durchaus Menschen, die sagen, dass ihnen Nahrungsergänzungsmittel mit Magnesium helfen. Bei wem das so ist, der soll sie weiterhin nehmen. Das ist kein Widerspruch zu den Studienergebnissen: Bei der Entstehung von Krämpfen spielt eben eine Vielzahl von Ursachen eine Rolle. Und letztlich gilt: Wer hilft, hat recht.
Bringt Dehnen Erleichterung?
Ja, nicht vor dem Sport, aber dann, wenn ein Krampf bereits aufgetreten ist. Über den Dehnungsreflex wird die Erholungszeit für die Muskulatur länger, sie entspannt sich und der Krampf reduziert sich. Danach sollte eine Ruhephase kommen und man sollte nicht gleich wieder Vollgas geben.
Der Krampf ist ja ein Alarmsignal, dass die Belastung zu lange und zu hart war, und möglicherweise auch einige Speicher – Flüssigkeit, Elektrolyte, Kohlenhydrate – geleert sind.
Auch Rote-Rüben-Saft und Bananen sollen helfen.
Nitrat aus den Roten Rüben wird im Körper in Stickstoffmonoxid umgewandelt, das ist ein Weichmacher für die Gefäße; es erweitert sie und verbessert damit auch die Sauerstoffversorgung der Muskulatur. Theoretisch ist vorstellbar, dass man bei gleicher Trainingsintensität beim Konsum von Rote-Rüben-Saft vor dem Training erst später einen Krampf bekommt, oder auch gar keinen, aber das ist spekulativ.
Bei der Banane sind es vor allem die Kohlenhydrate, die neben einem hohen Kaliumgehalt wahrscheinlich das Risiko für Krämpfe senken.
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