Auf den BA.5-Impfstoff warten? Das rät Biontech-Chef Ugur Sahin

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat bekanntlich für den 1. September ein außerordentliches Treffen zur Entscheidung über Anträge von Biontech und des US-Unternehmens Moderna auf Zulassung eines auf die Omikron-Variante BA.1 angepassten Impfstoffe angesetzt.
In Österreich spielt diese Variante mittlerweile keine Rolle mehr: Hier ist derzeit BA.5 dominant. Für die Europäische Union prüft die EMA derzeit den BA.5 angepassten Corona-Impfstoff von Biontech im Rahmen eines sogenannten Rolling-Review-Verfahrens, bis alle Studiendaten vorliegen und die Zulassung offiziell beantragt wird.
In den USA hat Biontech/Pfizer bereits eine Notfallzulassung für den an BA.4 und BA.5 angepassten Corona-Impfstoff beantragt.
In einem aktuellen Spiegel-Interview rechnet Biontech-Chef Ugur Sahin mit der Zulassung des ersten Corona-Varianten-Impfstoffes in der kommenden Woche und mit einer anschließend raschen Auslieferung. "Wir können sehr zeitnah ausliefern, hoffentlich ab Anfang September."
Zunächst erwarte er die Zulassung des auf dem ursprünglichen Omikron-Subtyps BA.1 basierten Vakzins. Der Booster für den nun dominanten Subtyp BA.5 dürfte nur wenige Wochen später zugelassen werden, so Sahin im Spiegel. Biontech reiche gerade bei der EMA die letzten Dokumente ein.
Warum hat alles so lange gedauert? "Es ist das erste Mal, dass ein adaptierter Impfstoff zugelassen wird. Die Zulassungsbehörden wollten eine ganze Reihe zusätzlicher klinischer Daten sehen. Etwa, ob ein angepasster Impfstoff nur auf Omikron basieren sollte oder auf Omikron und dem Wildtyp. So eine klinische Prüfung dauert vier bis fünf Monate."
Welchen Impfstoff würde er wählen?
Auf die Frage, für welchen Impfstoff sich Interessierte entscheiden sollen, reagierte der Deutsche zuerst diplomatisch: "Grundsätzlich ist zwischen den beiden Impfstoffen kein gewaltiger Unterschied. Beide haben in Untersuchungen gezeigt, dass sie im Vergleich zum ursprünglichen Impfstoff eine klar überlegene Antikörperantwort auf Omikron produzieren. Gleichzeitig haben wir deutliche Hinweise, dass ein BA.5-Impfstoff eben noch besser gegen BA.5 wirkt. Es gibt aber auch Meinungen, dass in einigen Monaten eine Variante auftauchen könnte, die wieder näher an BA.1 liegt."
Ob er eine persönliche Präferenz hat? "Ja, ich bin dafür, immer so nah wie möglich am dominierenden Stamm zu bleiben. So wird es auch bei der Grippe gemacht. Und wir sind mit der mRNA-Technologie in der Lage, die Produktionszeiten auf unter drei Monate zu reduzieren."
Warum ein zweites Mal boostern lassen?
Nicht nur wegen der bessern Antikörper-Antwort braucht es laut dem Biontech-Chef den vierten Stich: "Zum anderen dürfen wir nicht vergessen, dass Omikron bereits eine partielle Escape-Variante ist. Irgendwann könnten wir eine Variante haben, die überhaupt nicht mehr auf die Antikörper des ursprünglichen Impfstoffs reagiert."
Ein zweiter Booster würde unser Immunsystem trainieren: "Omikron hat bereits sehr viele Mutationen im Spike-Protein, sodass nur einige Bereiche von den Antikörpern eines mit dem Wildtyp-Impfstoff Geimpften noch erkannt werden. Das Virus mutiert in hoher Geschwindigkeit weiter. Wann es so weit sein wird, dass alle relevanten Positionen mutiert sind und damit vom Wildtyp-Impfstoff nicht mehr erkannt werden, ist schwer vorherzusagen. Aber eher früher als später. Es ist deswegen wichtig, dem Immunsystem bereits jetzt möglichst viele dieser mutierten Positionen zu zeigen, damit es dazulernt und auch nachkommende Varianten erkennt."
Wie wird es mit den Omikron-Varianten weitergehen?
Eine Evolution über neue Sublinien hätte es zwar bei Delta auch gegeben, sie sie aber bei Omikron viel stärker ausgeprägt. Deswegen sei die Variante nicht leicht zu verdrängen. "Ein ungelöstes Problem ist der zweite Evolutionsmechanismus: scheinbar aus dem Nichts auftauchende stark mutierte Varianten. Die können wir nicht vorhersehen, weil sich das Virus praktisch neu erfindet."
Hier spricht Sahin die Hypothese, dass sich solche plötzlich auftretenden, stark mutierten Varianten in Menschen mit beeinträchtigtem Immunsystem entwickeln könnten.
Er wäre überrascht, wenn es nicht spätestens nächstes Jahr eine international abgestimmte Lösung ähnlich wie beim Grippe-Impfstoff gibt. "Wir brauchen nicht nur weiter verbesserte Impfstoffe, sondern auch die Prozesse, um schneller reagieren zu können. Etwa wenn gefährliche Varianten außerhalb der Saison auftreten. In den Gesprächen mit den Behörden sehen wir, dass es da vorangeht."
Mit Omikron "hatten wir doppelt Glück, weil es keine volle Escape-Variante ist und der vorhandene Impfstoff einen Auffrischungsimpfschutz bieten konnte": "Außerdem führt Omikron zu milderen Verläufen als Delta. Darauf sollten wir nicht noch mal setzen", so Sahin im Interview mit dem Spiegel.

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