Testosteron im Sinkflug: Wenn Männer in den Wechsel kommen

Auch Männer kommen in den Wechsel, meist zeigt sich das an Stimmungsschwankungen.
"Männer leiden oft im Stillen", sagt Germar M. Pinggera. Der Androloge von der Innsbrucker Universitätsklinik für Urologie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den hormonellen Veränderungen, die Männer mit zunehmendem Alter durchlaufen.
Von einem Pendant zu den Wechseljahren bei der Frau könne man nicht sprechen: "Bei Frauen kommt es in einem begrenzten Zeitraum zu abrupten hormonellen Veränderungen, bei Männern findet ein schleichender Prozess statt", schildert Pinggera.
Auch der Begriff der Andropause gilt als überholt. Anerkanntere Bezeichnungen sind LOH (Late Onset Hypogonadism) oder ADAM (Androgen Deficiency in the Aging Male, Altershypogonadismus). Beide Begriffe beschreiben einen Mangel an männlichen Sexualhormonen (Androgene) und damit verbundene Beschwerden.
Vielfältige Symptome
Testosteron ist das wichtigste männliche Sexualhormon. Typischerweise steigt der Testosteronspiegel bis etwa zum 30. Lebensjahr kontinuierlich an. Ab dem 40. Lebensjahr nimmt die Produktion allmählich wieder ab. Durchschnittlich sinkt das Gesamttestosteron um 0,4 Prozent pro Jahr, das freie Testosteron, also das biologisch aktivere, sinkt um 1,3 bis 1,7 Prozent. "Männer spüren davon lange nichts", erklärt Pinggera. Bei manchen sind die hormonellen Veränderungen dennoch mit unangenehmen Symptomen verbunden.
Die genaue Zahl der Betroffenen schwankt je nach Studie. Man geht davon aus, dass fünf bis sieben Prozent der unter 50-Jährigen und 30 Prozent der Männer über 50 Jahren betroffen sind. Bei den Symptomen sind "Stimmungsschwankungen, melancholische bis hin zu depressiven Verstimmungen und das Gefühl, den eigenen Höhepunkt überschritten zu haben, vorherrschend", schildert der Experte. Die körperliche und kognitive Belastbarkeit nimmt ab. "Nach sportlichen Tätigkeiten brauchen Männer länger, um sich zu erholen." Typisch ist ausgeprägte Müdigkeit nach dem Essen, ebenso wie Libidoverlust und Erektionsprobleme. "Morgens wachen viele gerädert auf, weil sie nachts stärker schwitzen und schlechter schlafen."
Ärztliches Feingefühl gefragt
Um Verwechslungen mit einem Burn-out oder einer Depression zu vermeiden, sollte laut Pinggera von ärztlicher Seite "genau nachgefragt werden". Zudem müsse ein Hormonstatus erhoben werden. Bestätigt sich der Verdacht, ist eine Hormonersatztherapie Mittel der Wahl. Auch hier braucht es Feingefühl: "Jeder Betroffene profitiert von einer Testosteronsubstitutionstherapie, wenn sie vom Arzt richtig gehandhabt wird." Kritisch sieht er, dass verfügbare Therapeutika "oft einseitig und ohne ausreichende Kontrolle verschrieben werden".
Die Bandbreite verfügbarer Präparate ist groß: "Die am häufigsten angewandte Behandlung ist die Injektionstherapie, bei der langwirksame Präparate alle drei Monate gegeben werden." Alternativ können die täglichen Hormonschwankungen mit einer Creme ausgeglichen werden. Um den Rhythmus medikamentös zu imitieren, können hormonhaltige Cremen aufgetragen werden, typischerweise am Oberarm und gleich morgens.
Gut dosierte Hormone
Früher wurden auch Pflaster oder unter die Haut eingesetzte Pellets verwendet. "Ganz neu und in den USA schon zugelassen sind Substanzen, die man als Tablette schlucken kann." Auch damit lässt sich der hormonelle Tageszyklus imitieren, weswegen sie mehrmals täglich einzunehmen ist. In der EU sind diese Medikamente noch nicht am Markt, Pinggera rechnet in den kommenden Jahren mit einer Zulassung.
Dass Hormontherapien bei Männern Prostatakrebs begünstigen, ist laut Pinggera eine veraltete Sorge. "Wir können heute mit den richtig abgestimmten Präparaten sogar Männer therapieren, die bereits ein Prostatakarzinom hatten." Auch ein gesteigertes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei bei richtiger Dosierung nicht zu befürchten.
Der Lebensstil spielt eine entscheidende Rolle: „Übergewicht ist ein Problem, weil vor allem das Bauchfett dem Körper Testosteron entzieht.“ Auch Schlafstörungen können hormonelle Probleme befeuern.
Pinggera ermutigt Männer, offener mit Beschwerden umzugehen. "Ich glaube, es gibt leider nach wie vor einen großen Teil, der nicht adäquat therapiert wird. Männer verdrängen viel, tun belastende Beschwerden als Stressreaktion ab." Im niedergelassenen Bereich sollten Ärzte besser geschult werden, um Hormonprobleme beim Mann besser zu erkennen.
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