Allergie-Saison: Darum fliegen die Pollen früher und länger

Der unscheinbare, klebrige Plastikstreifen ist in der Tat unverdächtig, nach persönlichen Befindlichkeiten zu reagieren. Was sich ihm nähert, pickt im wahrsten Sinn des Wortes. Wenn das passiert, weiß Mag. Maximilian Bastl Bescheid: Die Pollensaison geht los. Der Leiter des Pollenservice Wien an der Medizinischen Universität Wien hat bereits Ende Jänner die ersten Haselpollen in der Pollenfalle am Dach der Gerichtsmedizin im neunten Wiener Bezirk gefunden. Im Inneren dieser einer Drohne auf drei Beinen nicht unähnlichen Apparatur befindet sich der beschichtete Plastikstreifen – auf ihm bleiben die aus der Luft angesaugten Pollen haften.
Die Frühblüher Hasel und Erle stäuben normalerweise erst ab Februar ihre Pollen aus. Dass sie schon früher auftauchen, überrascht Bastl schon seit einigen Jahren nicht. Sobald die Temperaturen auf mehr als fünf Grad Celsius steigen, reagieren manche Pflanzen bereits und machen sich blühbereit.
Die zunehmend wärmeren Winter verschieben die Blühsaisonen verschiedener Pflanzen – und das hat wesentliche Auswirkungen auf Allergiker. Symptome wie juckende Augen, rinnende Nase oder Atembeschwerden und Müdigkeit setzen früher ein – und dauern mitunter bis in den Herbst hinein. Höhere Temperaturen können die Pollensaison auch nach hinten verlängern. „Durch den Klimawandel werden auch neue Pflanzen heimisch, die Allergien verursachen können“, sagt Univ.-Prof. Wilfried Ellmeier, seit Jahresbeginn Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI).
Erderwärmung auf Rekordniveau
2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Gleichzeitig stieg die weltweite Durchschnittstemperatur erstmals um mehr als 1,5 Grad Celsius. Mit 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau habe sie ein Rekordniveau erreicht, heißt es in den im Jänner 2025 veröffentlichten „Copernicus Global Climate Highlights 2024“. Der Bericht, an dem Organisationen wie die Welt-Metereologieorganisation, NASA oder das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage arbeiten, macht als Hauptursache den Klimawandel aus. Bevor die Auswirkungen in Form von Allergien den Menschen treffen, verändert der Klimawandel auch die Pflanzen. Prof. Franz Essl, Biologe und Ökologe an der Universität Wien, betont: „Der Klimawandel schreitet sehr rasch voran. Mit Rekordwerten nahezu jedes Jahr führt das mittlerweile zu massiven Auswirkungen auf die Verbreitung und das Vorkommen von Pflanzenarten.“
Es gebe Arten, die unter den höheren Temperaturen sehr stark leiden. „Viele unserer Waldbäume bekommen zusehends Trockenstress.“ Geraten Pflanzen in derartige Ausnahmezustände, hat das wiederum Folgen für den Menschen, ergänzt Umweltmediziner Priv.-Doz. Hanns Moshammer: „Eine Überlebensstrategie von gestressten Pflanzen ist es, mehr Pollen zu produzieren, weil sie neue Standorte suchen.“
Höhere CO2-Konzentrationen in der Luft spielt eine Rolle
Eine Rolle für die Pollenausschüttung von Pflanzen spielen laut dem Biologen Essl ebenfalls höhere CO2-Konzentrationen in der Luft und Atmosphäre. Diese vom Mensch verursachten Emissionen von Treibhausgasen gelten als Ursache des Klimawandels. Essl spricht von einem „Rückkoppelungsprozess, der für Allergiker belastender ist: „Unter höherer CO2-Konzentration reagieren viele Pflanzen mit höherer Pollenausschüttung“. Ebenso können andere Luftschadstoffe wie Stickoxide aus Verbrennungsvorgängen oder Feinstaub Auswirkungen auf die Vitalität von Pflanzen und deren Pollenausschüttung haben.
Ragweed: Leitart der Eingeschleppten
Weiters sind es eingeschleppte Pflanzen wie Ragweed und einige Beifußarten. „Sie sind oft wärmeliebend und fühlen sich bei uns wohl“, sagt Moshammer. Ökologe Essl sieht sie gar als „Gewinner des Klimawandels“. Zudem fehlen diesen im Fachbegriff Neophyten genannten Einwanderern mitunter natürliche Feinde wie Insekten, Pilze oder Bakterien, was ihre Ausbreitung ebenfalls begünstigt. Hinzu kommen andere Blütezeiten als bei einheimischen Arten. Immunologe Wilfried Ellmeier sieht besonders darin eine Verschärfung der Bedingungen für Personen mit Pollenallergien. „Speziell eingeschleppte Arten wie Beifuß und Ragweed verlängern dann die Dauer der Symptome der Betroffenen.“
Ragweed ist zudem sozusagen die „Leitart“ unter den eingeschleppten Pflanzen und auch als Traubenkraut oder Ambrosia bekannt. Die Pflanze liegt auch in Sachen Pollenausschüttung und allergischen Reaktionen an der Spitze. „Was die Allergiebelastung angeht, ist es sicher die Flagship-Spezies. Ragweed ist mittlerweile die allergenste Pflanze bei uns“, definiert Essl.
Dabei kam sie eher durch ein Missgeschick in unsere Breiten, wie Umweltmediziner Moshammer erläutert. Mit Pflanzensamen sei Ragweed vor einigen Jahrzehnten irrtümlich in Europa verbreitet worden. „Dass sie invasiv war, stellte sich erst später heraus.“ Das Kraut breitete sich aus, profitierte von vernachlässigten Arealen wie etwa Straßenbanketten, entlang derer es sich vom Balkan aus in Süd- und Ostösterreich breitmachen konnte.
Gekommen, um zu bleiben
Trotzdem werden mittlerweile viele Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen, denn Ragweed ist bereits ein fixer Begleiter im allergischen Jahreslauf. „Die Pflanze ist heute um ein Vielfaches häufiger zu finden als noch in den 1990er-Jahren“, betont Essl. „Damit steigt auch die Pollenbelastung entsprechend, weil sie von der Pflanzenart abhängig ist.“ Das heißt: Je häufiger eine Pflanze vorkommt, desto mehr Pollen von ihr sind im Umlauf. Dabei ist es dem Körper eigentlich egal, ob er nun mit Haselpollen im Jänner und Februar, Gräserpollen im Mai oder Ragweedpollen bis in den Oktober hinein konfrontiert ist. „Für das menschliche Immunsystem spielt die Pollenart keine Rolle, grundsätzlich ist die Immunantwort immer sehr ähnlich.“ Diese Überreaktion des Immunsystems richtet sich gegen an sich harmlose Substanzen.
„Das Problem bei allergischen Erkrankungen ist, dass der Körper beim ersten Kontakt in Reaktion mit dem Allergen tritt und allergen-spezifische Antikörper – Immunglobuline der Klasse IgE – produziert werden.“ Die IgE-Antikörper interagieren mit den sogenannten Mastzellen. „Sie befinden sich an zentralen Stellen des Körpers, etwa entlang der Atemwege.“ Damit ist die Person sensibilisiert, aber hat noch keine Symptome.
Diese treten dann möglicherweise bereits im folgenden Jahr auf, wenn die selben Allergene wieder über die Schleimhäute – am häufigsten über Augen, Nase und Mund – in den Körper gelangen. „So wird etwa beim Einatmen das Allergen von den beim Erstkontakt gebildeten IgE-Antikörpern gebunden, dadurch werden die Mastzellen aktiviert und sondern Botenstoffe ab.“ Was die Betroffenen selbst spüren: Die Nase beginnt beispielsweise zu rinnen, oder man muss nießen. Darüber hinaus bleiben die Mastzellen weiter aktiv. „Sie produzieren weitere Botenstoffe, die wiederum weitere, andere Immunzellen anlocken.“ Das könne auch zu schweren Reaktionen wie allergischem Asthma führen.
Nicht Allergen verursacht Symptome
Nun klingt es zwar paradox, aber: Es sind eigentlich diese Botenstoffe und nicht das Allergen selbst, welche die für Allergiker so belastenden Symptome verursachen. „Allergene sind ja an sich harmlose Umwelteiweißmoleküle, die das Immunsystem nicht bekämpfen müsste, aber leider kann es überreagieren.“ Das ausgefeilte System der Körperpolizei ist schließlich ständig aktiv und schützt den Organismus vor äußeren Gefahren wie Viren, Bakterien oder Parasiten, aber auch vor schädlichen Zellen, die sich zu Krebszellen entwickeln könnten, würden diese nicht eliminiert werden. „Das heißt im Fall von Allergien aber auch: Eine Immunantwort, bei der IgE-Moleküle produziert werden, wäre in diesem Fall nicht notwendig“, sagt Ellmeier. Zumal dadurch die Lebensqualität mitunter enorm eingeschränkt werde. „Es wird intensiv beforscht, warum nur manche Menschen IgE-Moleküle entwickeln und damit eine Allergie, andere aber andere Antikörper und keine Allergie.“
Mehr schwere Reaktionen beobachtet
Auch die unterschiedliche Schwere der Reaktionen ist ein Forschungsthema, so Umweltmediziner Moshammer. Inzwischen nehmen Allergien nicht mehr so kontinuierlich zu, wie in den 1950er-Jahren. „Aber man beobachtet teilweise heftige Reaktionen.“ Warum diese schwerer werden? „Da kennt man die Ursache noch nicht.“ Dass der menschliche Körper sensibler geworden sei, könne man nicht pauschal sagen, betonen die Experten. Es spielen hier viele Faktoren eine Rolle, so Ellmeier. Man weiß, es gibt neben Umwelteinflüssen auch eine angeborene Neigung (genetische Komponente, Anm.), warum manche Menschen eher IgE-Moleküle bei einem Kontakt mit Allergenen entwickeln. „Es gibt viele individuelle Unterschiede und Umstände, wie die Immunreaktion ablaufen kann.“
Zusätzlich können klimatische Umstände Allergiker im Zusammenspiel empfindlicher machen, weiß Moshammer. Mikroskopisch kleine Russteilchen lagern sich etwa an den Pollen ab und diese zerreißen – begünstigt durch Wind, elektrische Aufladung und hohe Luftfeuchtigkeit wie es etwa vor Gewittern vorkommt. Die nun wesentlich kleineren Pollenpartikel können dann bis in die Lunge vordringen und Asthmaanfälle („Gewitterasthma“) auslösen. Im Sommer ist zudem oft die Ozonkonzentration höher. Auch das könne die Schleimhäute schädigen, betont Mooshammer. „Sie sind dann empfindlicher und reagieren heftiger auf Allergene.“
Für die Diagnose einer Allergie werden verschiedene Methoden genutzt:
Anamnese
Ärztin oder Arzt (etwa Haut- oder Lungenfachärzte) erheben u. a. Kranken- und Familiengeschichte.
Hauttest (Prick-Test)
Mögliche Allergieauslöser werden als standardisierte Lösungen auf die Unterarme aufgetragen, die Haut wird an dieser Stelle dann leicht geritzt (prick – engl. für Einstich). Treten Rötungen und/oder Quaddeln auf, spricht das für eine allergische Reaktion („Soforttyp“ oder Typ-1-Allergie). Bei Kontaktallergien kommt es häufig zu zeitverzögerten Reaktionen („Spättyp“ oder Typ-4-Allergie). Darüber gibt ein Pflastertest (Epikutantest) am Rücken Aufschluss. Auf das Pflaster werden die Allergene in Salbenform aufgetragen. Es bleibt 48 bis 72 Stunden auf der Haut.
Bluttest
Eine Blutprobe wird im Labor auf bestimmte IgE-Antikörper, die auf eine Allergie hinweisen, untersucht. Das ist aber kein finaler Nachweis einer Allergie, erhöhte IgE-Werte können auch bei Rauchern auftreten.
Provokationstest
Als Spray oder Nasentropfen wird das mögliche Allergen z. B. auf die Nasenschleimhaut aufgebraucht. Schwellung oder Atemnot, weisen auf Allergien hin.
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