Wie würden Sie es erklären?
Das Trinken per se ist kulturell stark verankert und hochemotional. Es ist fast schon so gelernt wie Zähneputzen, dass zu jedem Anlass ein Glas Wein passt. Es ist eng gekoppelt an Belohnung, aber auch Festlichkeiten. Silvester, Hochzeiten, Weihnachten, Geburtstage: All das ist alkoholfrei für viele gar nicht denkbar. Da findet langsam eine Veränderung statt. Ein schwieriger Prozess, denn miteinander anzustoßen, hat etwas Integratives – und bei der Person, die das Glas Wasser oder Cola hebt, fehlt dieser Moment. Deswegen ist es wichtig, dass diese Lücke mit hochwertigen, gleichwertigen Alkoholalternativen aufgefüllt wird.
Steht und fällt achtsames Trinken mit dem Angebot?
Ja, weil man nicht wirklich weiß, wie ein Anlass besonders sein kann, ohne eine Flasche Champagner. Wie man in Clubs zusammen tut, ohne Alkohol, wie man alkoholfrei datet. Da müssen neue Lebensrealitäten entworfen werden.
Was trinkt man, wenn man nicht trinkt?
Quasi alles, was es im Alkoholischen gibt. Wein, Sekt, Aperol, Campari, Gin. Aber wir sind immer noch auf einer Reise, vor allem bei Wein spaltet sich die Meinung. Aber bei Schaumweinen funktioniert das schon extrem gut. Auch den Gin-Geschmack bekommt man gut hin, weil er nicht so komplex ist, wie der vom Whisky. Bei Letzterem tüftelt die Lebensmitteltechnologie noch. Auch Aperitivos kommen den Originalen sehr nahe.
Was raten Sie, wenn man achtsamer trinken möchte?
Viele glauben, dass es darum geht, nichts mehr zu trinken. Und zwar für immer. Es geht aber vielmehr um das bewusstere Trinken, nicht dogmatische Abstinenz. Der erste Schritt ist, zu verstehen, wie viel ich wirklich trinke. Es aufzuschreiben, damit man es schwarz auf weiß und auch Muster sieht. Im zweiten Schritt würde ich schauen, was eine Alternative dazu ist. Viele trinken gerne Aperol Spritz, da kann man den Aperol durch eine alkoholfreie Alternative ersetzen und die mit Sekt spritzen, halbe-halbe machen. Und in einen weiteren Schritt, den Alkohol ganz weglassen. Wir haben Kunden, die trinken unter der Woche alkoholfreien Riesling und am Wochenende den mit Alkohol. Und wir haben Kunden, die ihre Riesling-Alternative gefunden haben und den echten nicht mehr brauchen.
Was halten Sie von Initiativen wie dem Dry January, also dem zeitweisen völligen Verzicht?
Wenn man es braucht, würde ich sagen: los! Für viele unserer Kunden ist nüchtern zu sein normal. Die brauchen keinen Dry January. Es gibt aber Menschen, die gerade in der Weihnachtszeit viel trinken, dann macht der Verzicht Sinn – und es macht auch Sinn, im Kühlschrank einen alkoholfreien Sekt zu haben, der schmeckt. Denn das macht es leichter. Und so lassen sich auch gute Erfahrungen sammeln. Zum Beispiel, wenn man nach einem Dinner mit Freunden nicht vollkommen verkatert aufwacht. Man kommt vom Konzept Verzicht zum Konzept Vorteil.
Abgesehen vom Wegfall des Katers. Was hat achtsamer Alkoholkonsum für Vorteile?
Alkohol ist ein Zellgift, insofern profitiert der ganze Körper, wenn man ihn maßvoll konsumiert. Was ich darüber hinaus relevant finde, ist das Gefühl, dass man achtsam trinken kann. Wenn man sich einen Samstagabend nicht ohne Alkohol vorstellen kann, es aber durchhält und dann ins Bett fällt, ohne einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben, ist das ein Gewinnergefühl. Man hat etwas geschafft, das man sich vorgenommen hat. Das kann mental beflügeln.
Wäre unsere Welt ohne Alkohol eine bessere?
Das glaube ich nicht. Es geht immer um das Maß, wenn Genuss im Spiel ist. Zum Gift wird es, wenn es zu viel ist. Entsprechend glaube ich, dass unsere Welt eine bessere wäre, wenn wir ehrlicher mit unserem Alkoholkonsum umgehen würden.
Kommentare