Abnehm-Medikamente: Was passiert, wenn Normalgewichtige zur Spritze greifen

Eine Frau spritzt sich ein Abnehmmedikament.
Auch Menschen, die nur wenig bis gar kein Übergewicht haben, wollen mit den Abnehm-Präparaten Gewicht verlieren - das kann gesundheitliche Folgen haben.

Abnehmen fällt oft schwer – das weiß jeder, der schon einmal eine Diät versucht hat. Umso verlockender erscheint ein Medikament, das innerhalb eines Jahres bis zu 20 Prozent des Körpergewichts schmelzen lässt. Die Präparate Saxenda, Wegovy und Mounjaro – bekannt als "Abnehmspritzen" – wurden für Menschen mit Adipositas entwickelt. Zugelassen sind sie bei einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30 kg/m², beziehungsweise ab 27 kg/m², wenn gewichtsbedingte Erkrankungen vorliegen. Aber auch immer mehr Menschen, die nur ein paar Kilo verlieren möchten, interessieren sich für die Medikamente. 

In den USA feiern Hollywood-Stars sogar Partys, auf denen das Diabetes-Medikament Ozempic mit demselben Wirkstoff wie einige Abnehmspritzen offen herumgereicht wird. Einzelne Promis, darunter Elon Musk, sprachen öffentlich darüber, dass sie die Medikamente nutzen. Kürzlich machte der deutsche Comedian Oliver Pocher bekannt, dass er mithilfe eines Abnehmmedikaments 14 Kilogramm abgenommen hat. Die New York Times berichtet, dass viele Frauen zwischen dem Kauf ihres Hochzeitskleides und der Hochzeit so stark an Gewicht verlieren, dass ihr Kleid um mehrere Größen angepasst werden muss. So käme es nun häufiger vor, dass ein Kleid in Größe 44 ein paar Monate später auf Größe 38 umgeschneidert werden muss, heißt es im Artikel.  

Motive oftmals falsch

In Österreich ist dieses Phänomen noch nicht aufgefallen, aber auch hierzulande greifen neben jenen, die sie tatsächlich benötigen, auch Menschen zu Abnehmmedikamenten, die eigentlich normalgewichtig oder nur wenig übergewichtig sind. "Wir hatten immer wieder Patientinnen und Patienten, die danach gefragt haben. Allerdings handelt es sich um Medikamente und wenn die Indikation dafür nicht erfüllt ist, um eine missbräuchliche Verwendung. Ohne Rezept ist es nicht möglich, die Abnehmmedikamente zu erhalten", betont Johanna Brix, Leiterin der Adipositasambulanz der Klinik Landstraße in Wien. In ihre Ambulanz kämen überwiegend jene, die die medizinischen Kriterien erfüllen. Dass auch Normalgewichtige versuchen, sich die Mittel zu beschaffen, sei jedoch vorstellbar. "Zu den Wirkstoffen zu greifen, nur um ins Brautkleid zu passen, oder abzunehmen, obwohl ich bereits schlank bin, davon kann ich nur abraten. Man muss sich klarmachen, dass es sich um Medikamente handelt, nicht um Hustenzuckerl", so Brix. 

Die enthaltenen Wirkstoffe ahmen ein oder zwei Darmhormone nach, die normalerweise nach dem Essen ausgeschüttet werden. Sie vermitteln ein Sättigungsgefühl, verlangsamen die Magenentleerung und senken den Blutzuckerspiegel – besonders hilfreich für Menschen mit Typ-2-Diabetes oder Prädiabetes. Weniger Appetit, längeres Sättigungsgefühl und stabilere Blutzuckerwerte – diese Kombination führt dazu, dass Betroffene weniger essen und Gewicht verlieren. Doch der Gebrauch der Medikamente ist nicht frei von Risiken, insbesondere bei Menschen mit Normalgewicht. 

Laut Studien ist der Gewichtsverlust im Schnitt auf acht bis 20 Prozent des Ausgangsgewichts begrenzt – bei einem Ausgangsgewicht von 60 Kilogramm kann das bedeuten, dass man auf 48 Kilogramm abnimmt und damit untergewichtig wird. Auch die Hersteller betonen, dass die Präparate nicht zur kosmetischen Gewichtsabnahme vorgesehen sind. 

In den meisten Fällen kommt es zudem zu Nebenwirkungen. "Nahezu alle Patienten berichten anfangs über gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall", sagt Brix. Der Gewichtsverlust selbst kann Gallensteine begünstigen, da der Fettstoffwechsel verändert wird. Außerdem drohen Nährstoffmängel, die zu Haarausfall und weiteren Mangelerscheinungen führen können. Eine Essstörung befürchtet Brix durch die Medikamente allein nicht: "Wer das Medikament bei Normalgewicht missbräuchlich verwendet, hat dieses Thema bereits vorher. Das ist schon ein Schritt, den bewusst ich in diese Richtung gehe." 

Nachfrage ungebrochen hoch

Erhältlich sind die Präparate ausschließlich in Apotheken und nur mit Rezept. Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ist begrenzt: Saxenda etwa wird in Österreich für adipöse Jugendliche ein bis zwei Jahre lang bezahlt. Für Erwachsene werden die Mittel derzeit nur dann erstattet, wenn sie sich einer bariatrischen Operation unterziehen, also einem chirurgischen Eingriff zur Behandlung von Fettleibigkeit. Ziel ist es, durch den Gewichtsverlust das Operationsrisiko zu senken. 

Die Nachfrage ist dennoch rasant gestiegen: 2022 bezahlte die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) 76.542 Packungen der Medikamente Ozempic, Saxenda, Wegovy und Mounjaro – 2023 waren es bereits 144.511, im Jahr 2024 sogar 179.805. Die Apothekerkammer stellt klar, dass die Verantwortung für die Verschreibung allein beim Arzt oder der Ärztin liegt. "Ärzte, die ein Medikament außerhalb der Indikation verschreiben, sollten sich gut auskennen. Man muss einen solchen Fall ganz genau begründen können", erklärt Brix. 

Mit dem Boom wächst auch der Schwarzmarkt. Im Internet kursieren zahlreiche Angebote – oft gefälscht, manchmal gefährlich. Laut einer Erhebung in den USA wäre jeder Vierte bereit, die Medikamente auch ohne ärztliche Aufsicht einzunehmen. Das kann jedoch gesundheitliche Folgen haben, insbesondere bei falschen Dosierungen. Und obwohl die Wirkung in vielen Fällen schnell sichtbar ist, bleibt das Thema ein Tabu. Wie auch unter Prominenten, spricht man auch abseits des Rampenlichts nicht gerne darüber, die Spritzen zu nutzen. "Abnehmen und das Gewicht sind generell Tabuthemen – es ist etwas sehr Persönliches, und viele meinen, man müsse sich anstrengen, etwa viel Sport machen, damit man abnimmt. Gerade für Menschen mit Adipositas sind die Medikamente aber ein wichtiger Fortschritt", betont Brix. 

Langfristig erfolgreich ist die Behandlung nur, wenn sie von einer grundlegenden Umstellung des Lebensstils begleitet wird. Ohne Änderungen in Ernährung, Bewegung und Verhalten droht der Jo-Jo-Effekt. "Die meisten Menschen nehmen nach dem Absetzen wieder zwei Drittel ihres Ursprungsgewichts zu", berichtet Brix. Zwar kann man versuchen, das Medikament ärztlich begleitet auszuschleichen – das gelingt jedoch nicht immer. Bei monatlichen Kosten von bis zu 580 Euro ist die dauerhafte Einnahme zudem auch eine finanzielle Belastung.

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