40 Jahre HIV: Wie ein Virus seinen Schrecken verlor

40 Jahre HIV: Wie ein Virus seinen Schrecken verlor
HIV ist eine gut behandelbare chronische Krankheit geworden. Der KURIER sprach mit Andrea Brunner von der Aids Hilfe Wien, wo es noch Handlungsbedarf gibt.

Am Anfang der 1980er Jahre sorgten erste Fälle von jungen, gesunden Männern mit seltenen Hautkrebs- und Lungenerkrankungen für Aufsehen. Bald zeigte sich, dass es sich um eine Viruserkrankung handelt, die einen schweren Immundefekt bewirkt – ausgelöst vom Humanen Immunschwächevirus, kurz HIV. Innerhalb weniger Jahre verbreitete sich die erworbene Immunschwäche AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) weltweit. Immer mehr wurde über das Virus bekannt, etwa, dass es über Blut- und Sexualkontakt übertragen wird.

Nach einigen Rückschritten, etwa als Papst Johannes Paul II. Kondome verbot oder die USA HIV-Positiven die Einreise untersagte, steigen Wissen und Toleranz. Die rote Schleife, das Red Ribbon, wird zum Symbol für Solidarität mit HIV-Positiven und AIDS-Kranken.

Meilenstein: Kombinationstherapien

Ein Meilenstein war die Entwicklung der Kombinationstherapien Mitte der 1990er Jahre. Sie gaben den Startschuss dafür, dass HIV-Infektion zu einer gut behandelbaren chronischen Erkrankung wurde. Bis heute gibt es aber noch keine Impfung und kein Heilmittel. Durch die guten Therapien rückt HIV zudem immer mehr aus dem Bewusstsein, insbesondere junger Menschen.

Der KURIER sprach mit Andrea Brunner, Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien über das Problem später Diagnosen und die immer noch sehr notwendige Aufklärungsarbeit.

KURIER: Hat HIV durch die gute Therapie seinen Schrecken vollständig verloren?

Andrea Brunner: Definitiv hat es den Schrecken, bis zu einem gewissen Grad auch richtigerweise verloren. Aber deswegen muss man es umso mehr immer wieder thematisieren, damit nicht vergessen wird, dass HIV immer noch da ist. Dass man etwas für seine sexuelle Gesundheit tun muss und das geht weit über das Thema HIV hinaus. Wir testen und informieren zu den meist verbreiteten sexuell übertragbaren Krankheiten und rücken die Frage sexueller Gesundheit weiter in den Vordergrund.

Mit welchen Anliegen kommen Menschen zur Aids Hilfe Wien?

Der Erstkontakt ist oft der, dass sie eine Beratung zu einem HIV-Test bzw. einen weiteren Test zum Thema sexuelle Gesundheit machen wollen. Wir testen nicht nur auf HIV, sondern auch andere sexuell übertragbare Erkrankungen. Erfreulicherweise haben zwar HIV-positive Menschen, wenn sie gut medikamentös eingestellt sind, ein normales Leben und haben vor allem eine normale Lebenserwartung. Nichts destotrotz, wenn jemand einen positiven Test bekommt, bei uns oder wo anders, sind bieten unsere Sozialarbeiterinnen und Psychologen in jeder Lebenslage psychosoziale Unterstützung an. Bei einem positiven Test ist die erste Frage häufig, was heißt das für mein Leben?

40 Jahre HIV: Wie ein Virus seinen Schrecken verlor

Andrea Brunner, Geschäftsführerin Aids Hilfe Wien

40 Prozent der HIV-Positiven in Österreich erhalten ihre Diagnose oft sehr spät. Warum ist das so?

Das ist ein Thema, das uns sehr beschäftigt. Verschiedene Faktoren spielen hier eine Rolle. Einerseits gibt es immer noch das Stigma des HIV-Tests. Man hat vielleicht ein Risiko, infiziert zu sein, will es aber lieber gar nicht wissen. Die Leute glauben heutzutage auch, dass HIV gar nicht mehr so ein Thema ist und schätzen ihre Risikosituationen nicht mehr so massiv ein. Interessanterweise, das wissen wir auch aus Studien, haben Männer, die Sex mit Männern haben, ein viel höheres Bewusstsein. Heterosexuelle Männer gehen oft sehr lange nicht zum Test. In unserer Kampagne „Eh klar, ich mache einen HIV-Test! Du auch?“ wollen wir genau diese Gruppe erreichen. Deshalb sprechen wir auch Allgemeinmediziner an –  denn sie sind die ersten, die wirklich Kontakt mit den Patientinnen und Patienten haben und die eine HIV-typische Erkrankung erkennen können.

Steht die mittlerweile gute Therapie der frühen Diagnose im Weg?

Die Therapie ist vor allem dann gut, wenn man früh behandelt wird. Die 40 Prozent sogenannten "late presenter" erfahren ihre Diagnose sehr spät, also zu einem Zeitpunkt, wo das Immunsystem schon geschwächt ist. Wir klären immer wieder auf, dass es mittlerweile so ist, dass man als HIV-positiver Mensch gut leben kann, wenn man die Therapie frühzeitig beginnt. Ein Schlagwort ist etwa U=U, das steht für undetectable is untransmissable. Wenn man unter der Nachweisgrenze ist, kann man das Virus auch nicht weitergeben, auch bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr.

Ist für junge Erwachsene, die den Schrecken der 1980er und 1990er Jahre nicht mitbekommen haben, HIV noch ein Thema?

Man muss HIV immer wieder bekannt machen. Wir haben eine starke Präventionsarbeit im Haus, mit Jugendlichen, Schülern, Krankenpflegern und vielen anderen. Aufklärungsarbeit zum Thema sexuelle Gesundheit, etwa auch in Schulworkshops, in denen altersadäquat über das Thema gesprochen wird, ist sehr wichtig. Bei Jugendlichen geht es vor allem auch um die Stärkung des Bewusstseins über den eigenen Körper, das ist eine ganz zentrale Aufgabe für das Aufwachsen von jungen Menschen.

Hinsichtlich Diskriminierung und Stigmatisierung hat sich in den vergangenen 40 Jahren viel getan. Wie sehen Sie dies heute?

Das ist eine der ganz wichtigen Aufgaben, die wir als Aids Hilfe auch haben. Stigmatisierung bekämpfen und Kampagnen zur Anti-Diskriminierung zum Thema zu machen, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Natürlich hat sich viel getan in den letzten 40 Jahren, viel hat auch der Life Ball beigetragen. Das wichtigste dabei ist die Normalisierung – normal als HIV-Positiver oder HIV-Positive und gut mit einer chronischen Krankheit zu leben. Das ist total wichtig. Leider gibt es aber immer noch Stigmatisierung in verschiedenen Bereichen. Ist jemand HIV-positiv schwingen bei der Frage „Will ich mich outen oder kann ich mich überhaupt outen?“ viele Ängste mit. Da wollen wir auch zur Stärkung beitragen. Auch mit unserer Kampagne Positiv Arbeiten der Aids Hilfen Österreich zum Beispiel, die ganz klar zeigt: Wenn man HIV-positiv ist, kann man ganz normal arbeiten und stellt keine Gefahr für Kolleginnen und Kollegen dar. Und umgekehrt sind HIV-positive Menschen in der Arbeitswelt sehr willkommen.

Wo bräuchte es noch Veränderung?

Wir wollen immer weiter aufklären, dass es wirklich mittlerweile so ist, dass man als HIV-positiver Mensch gut leben kann. Natürlich wäre es schön, dass wenn jetzt während der Covid-Pandemie alle darüber sprechen, dass mRNA-Impfstoffe auch für eine HIV-Impfung angewendet werden könnten. Es gibt viele Dinge, die im medizinischen Bereich zu tun sind. Grundsätzlich geht es uns aber darum, gegen Stigmatisierung und Diskriminierung einzutreten und Aufklärungsarbeit zu leisten.

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