Gegen die Selbstständigkeit spricht auch ihre Abhängigkeit von den Agenturen.
Ja, die agieren als Quasi-Arbeitgeber. Dabei tragen die Betreuer das gesamte unternehmerische Risiko. Sie sind auch arbeitsrechtlich nicht geschützt, obwohl sie eine sehr anstrengende Tätigkeit ausüben. Es droht ihnen zudem Altersarmut, weil sie nach 15 Jahren Betreuungstätigkeit in Österreich eine sehr geringe Pension bekommen. Im Durchschnitt sind das nur 120 Euro pro Monat.
Was wird noch beklagt?
Die Betreuer fühlen sich nicht ausreichend informiert, können sich gegen Gewalt, sexuelle Belästigung und Missbrauch an ihrem Arbeitsplatz so gut wie nicht zur Wehr setzen, sind auch ihren Agenturen oft schutzlos ausgesetzt. Sie müssen oft genug auch pflegen, obwohl sie dafür nicht ausgebildet sind, und sie tragen dafür die volle rechtliche Verantwortung.
Inwiefern hat die Pandemie die Arbeitsbedingungen jener Betreuer verändert, die regelmäßig über Grenzen zur Arbeit fahren müssen?
In der ersten Corona-Welle haben sich ihre Turnusse verlängert. Manche haben bis zu drei Monate durchgearbeitet. Die Frauen waren einem großen Stress ausgesetzt. Für ihr Engagement haben sie eine einmalige Prämie von 500 Euro bekommen. Da ihre Ablöse nicht bzw. nur erschwert möglich war, blieben andere in ihren Herkunftsländern – ohne Einkommen.
Gab es dafür kein Geld aus einem Härtefallfonds?
Obwohl viele mit existenziellen Problemen konfrontiert waren, waren sie in der ersten Corona-Welle davon ausgeschlossen. Weiterhin sind die Betreuer nicht als systemrelevante Arbeitskräfte anerkannt. Sie haben auch mit vielen bürokratischen Hürden zu kämpfen.
Wie bewerten Sie das Problembewusstsein in der Wirtschaftskammer?
Die WKÖ befürwortet das derzeit gültige Gewerbemodell und damit einen Interessenskonflikt: Weil die Agenturbetreiber Funktionäre der Kammer sind, profitieren sie von der Uninformiertheit und Überausbeutung der Betreuer, anstatt ihre Interessen zu vertreten. Dieser Konflikt ist derzeit leider nicht lösbar.
Hilft die Gewerkschaft?
In der Gewerkschaft und Arbeiterkammer ist das Problem der Scheinselbstständigkeit bekannt. Man nimmt jedoch keine aktive Rolle im Kampf dagegen ein. Mit der Begründung, dass es keinen politischen Willen dafür gibt.
Kein Mensch kann zwei bis vier Wochen hindurch rund um die Uhr arbeiten. Braucht es ein Arbeitszeitgesetz?
Es gilt keines. Die Betreuer sollen als Selbstständige ihre Arbeitszeiten selbst regeln. Das ist aber in der Praxis unmöglich, weil die Bedürfnisse der zu betreuenden oder zu pflegenden Personen im Vordergrund stehen. De facto hat sich eine zweistündige Ruhepause am Tag unter den Betreuern etabliert – so regeln das auch die Agenturen in den Verträgen. Faktum ist: Auch wenn sie nicht 24 Stunden arbeiten, haben sie eine 24-stündige Rufbereitschaft.
Wie viel Geld sollen 24-Stunden-Betreuer für einen 14-Tage-Turnus netto erhalten?
Im Schnitt bekommen sie zwei bis drei Euro pro Stunde. Dies ist selbst innerhalb des Langzeitpflege-Sektors, der in seiner Gesamtheit unterbezahlt ist, eine krasse Unterbezahlung und nur aufgrund der ökonomischen Notsituation in den Herkunftsländern der Betreuer möglich. Allenfalls gerecht wäre eine kollektivvertragliche Entlohnung, zum Beispiel vergleichbar mit jener für Heimhelfer. Sie könnte das Lohndumping in der 24-Stunden-Betreuung beseitigen. Generell würde ein Anstellungsverhältnis die Situation deutlich verbessern. Dafür fehlt jedoch eine klare und aktive Befürwortung im institutionellen Rahmen.
Kommentare