Geräusch im Ohr: Warum Sie rasch handeln sollten
Ein Brummen, Dröhnen, Klopfen, Knarren, Rauschen, Surren, Sausen, Zischen, Zirpen oder Zwitschern in unterschiedlicher Frequenz – und zusätzlich noch "ein "Vertäubungsgefühl", wie wenn man Watte im Ohr hat", beschreibt es HNO-Ärztin Andrea Vogel vom Tinnitus-Zentrum Wien der HNO-Gruppenpraxis Vogel/Gschnait: "Wer seit der Silvesternacht an so einem Lärmtrauma leidet, sollte in den nächsten zwei bis drei Tagen einen Facharzt aufsuchen, um eine Akutbehandlung durchzuführen."
Ein Lärmtrauma ist die Folge einer massiven Schallwelle, die ins Innenohr saust und die feinen Haarzellen (Sinneszellen) schädigt. "Diese mechanische Schädigung bewirkt eine reversible (umkehrbare, Anm.) Stoffwechselstörung, die Haarzellen können anschwellen."
Akuttherapie
Wird ein akutes Lärmtrauma in den ersten Tagen danach therapiert, hilft 70 bis 80 Prozent der Patienten eine Cortisontherapie gegen die Schädigung. Da diese zwar hoch dosiert, aber nur kurz ist (Infusionen an mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen), gebe es auch keine dauerhaften Nebenwirkungen. "Kurzfristig kann es z. B. zu Schlafproblemen und Nervosität kommen", sagt Vogel.
Nach einigen Wochen werde diese Therapie "allerdings zum Versuch" – die Wirkung verschlechtere sich deutlich. Ein Teil der Patienten gewöhne sich ganz ohne Behandlung mit der Zeit an das Geräusch und empfinde es nicht mehr als belastend.
Kommen Patienten später als innerhalb der ersten Wochen nach dem Neuauftreten von Ohrgeräuschen, spricht man bereits von einem chronischen Tinnitus. "Ändert sich an der subjektiv empfundenen Belastung innerhalb von maximal drei Monaten nichts, erheben wir mit psychologischen Tests den subjektiven Leidensdruck – und ordnen ihn in einem Vier-Stufen-Schema ein."
Die Bedeutung der Psyche
Bei Stufe eins und zwei liegt der Schwerpunkt der Therapie auf Entspannungstechniken und "Counselling": "Wir erklären die Zusammenhänge zwischen psychischer Alltagsbelastung wie etwa Stress und der Konzentration auf das Geräusch – je größer diese Belastung, desto stärker die Fokussierung auf den Tinnitus und desto störender ist er."
Ist der Leidensdruck größer – Belastungsstufe 3 oder 4 – wird mit einer Psychologin eine kognitive Verhaltenstherapie durchgeführt. Entscheidend dabei sind "Defokussierungsübungen", so Vogel: "Es geht darum, wieder ohne Angst hören zu lernen und das störende Geräusch umzubewerten – es nicht mehr mit negativen Gefühlen in Verbindung zu bringen. Ein und dasselbe Geräusch kann von verschiedenen Personen ganz unterschiedlich wahrgenommen werden."
Und die wichtigste Verhaltensregel nach einem Tinnitus? Andrea Vogel: "Lärmschutz ist jetzt noch viel wichtiger."
"Nicht weghören – sondern genau hinhören" – so beschreibt die wissenschaftliche Geschäftsführerin Heike Argstatter das Konzept des Deutschen Instituts für Musiktherapieforschung in Heidelberg: Für jeden Patienten wird mittels eines Synthesizers ein ihrem Tinnitus ähnlicher Klang bzw. ähnliches Rauschen erstellt. Die Frequenz entspricht der ihres Ohrgeräusches. Dann wird der Patient mit diesem Klang sowie Klängen in höherer und niedrigerer Frequenz konfrontiert – und muss sie auch nachsingen. Das Konzept sei vergleichbar mit einer kognitiven Verhaltenstherapie – aber eben mit Geräuschen.
"Auch wir versuchen dem Gehirn beizubringen, dass der Tinnitus unwichtig ist", sagt Argstatter. Die Therapie (neun Einheiten) dauert rund eine Woche und wird erst eingesetzt, wenn die Akutbehandlung mit Cortison erfolglos war. Auch heimische Krankenkassen haben die Kosten (1500 Euro) bereits übernommen. Bei 80 Prozent Patienten geht der Tinnitus stark zurück – oder verschwindet ganz.
Kommentare