Gibt es in Zukunft eine neue Menschen-Art?

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Der Wissenschaftsphilosoph Lars Jaeger über die mögliche nächste Evolutionsstufe des Menschen.

Nun ist also die nächste Barriere gebrochen. Vor wenigen Tagen ließen US-Forscher damit aufhorchen, dass es ihnen erstmals gelungen ist, menschliches Erbgut mithilfe einer Genschere zu verändern (der KURIER berichtete). Ein mutiertes Gen, das einen Herzfehler verursacht, wurde in der Keimbahn ausgeschaltet. So wurden erstmals im Labor Embryonen frei von diesem Herzfehler gezeugt – aber nicht eingesetzt.

Auch im Tierversuch wird fleißig mit der Genschere experimentiert. Das Ziel ist, Gensequenzen so zu manipulieren, dass in Schweinen Organe für Menschen nachgezüchtet werden können.

Lars Jaeger ist Physiker, Mathematiker und Philosoph und spricht im Interview mit dem KURIER über die Risiken und die Chancen von genetisch veränderten Menschen – vom Horrorszenario der Menschenzüchtung bis zur Zwei-Arten-Gesellschaft.

KURIER: Die Menschheit lässt sich immer mehr einfallen, um ihr Äußeres zu verbessern – jetzt wäre es sogar möglich, den Menschen schon vor seiner Geburt zu optimieren. Ist dieser Drang nach Höherem Fluch oder Segen?

Lars Jaeger: Blicken wir auf die vergangenen 400 Jahre zurück, waren neue Technologien schon immer mit Ambivalenzen verbunden. Ich behaupte, es ist mehr Segen als Fluch: Wir haben dank der technologischen Entwicklung einen Wohlstand erreicht, der in der Geschichte der Menschheit unübertroffen ist. Jeder lebt heute besser als Ludwig der XIV. in Frankreich. Zugleich schafft diese Entwicklung auch existenzielle Probleme und Krisen. Die Atombombe hat uns vor mehr als 70 Jahren die Bedrohung der Menschheit durch die Nukleartechnologie vor Augen geführt, und auch Gen-Technologie kommt mit vielen Kehrseiten.

Gibt es in Zukunft eine neue Menschen-Art?
Lars Jaeger, Wissenschaftsphilosoph
Die Ausgangslage für die genetische Bearbeitung von Embryonen war, Krankheiten zu verhindern – doch es ist weit mehr möglich...

Das Gen-Editierungsverfahren CRISPR könnte dazu verwendet werden, bestimmte genetisch bedingte Krankheiten zu eliminieren. Das kann so weit gehen, dass damit Krebs und andere Dinge behandelbar werden. Gendefekte, die aufgrund eines Defekts oder wie in den meisten Fällen aufgrund einer Anomalie in einer Kombination von Genen entstehen, könnte man dann eliminieren, bevor der betroffene Mensch geboren wird. Ein Beispiel ist die Sichelzellanämie, eine Blutkrankheit, die durch ein einziges defektes Gen verursacht wird. CRISPR bietet hier eine Therapiemöglichkeit, wie US-Forscher vergangenes Jahr publiziert haben. Das zeigt das große Potenzial von CRISPR – die Mediziner sind teils völlig aufgeregt und finden großartig, was da möglich werden könnte.

Wo liegen die Grenzen?

Die Grenzen liegen dort, wo es darum geht, gesunde Menschen in ihren spezifischen Eigenschaften zu verändern, die nichts mit einer genetischen Krankheit zu tun haben. Sprich, sie intelligenter zu machen oder äußere Attraktivitätsmerkmale zu verändern. Spätestens ist die Grenze dort, wo wir den Menschen an sich verändern. Ein ungeborenes Baby wird dann von vornherein so programmiert, wie es die Eltern oder andere haben wollen. Das verstößt gegen die Menschenwürde.

Bis zu welchem Stadium sind genetische Veränderungen möglich?

Im Moment ist die Verpflanzung eines genmanipulierten Embryos in den Mutterleib in allen westlichen Ländern strikt verboten. Hier geht es immer um die ganz frühe embryonale Phase, dort wo die Entwicklung in einem Stadium ist, in dem sich die Zellen noch nicht differenziert haben. Danach ist eine genetische Manipulation am Embryo nicht mehr sinnvoll.

Können auch Charaktereigenschaften manipuliert werden?

Es ist heute noch unklar, wie genau die genetische Bestimmung von Charaktereigenschaften funktioniert – das gilt genauso für Intelligenz: Wir haben auch kein einzelnes Intelligenz-Gen. Das ist eine komplexe Kombination von genetischen und anderen Faktoren wie etwa soziale Prägung. Aber es ist unumstritten, dass einige Charaktereigenschaften auch genetische Grundlagen besitzen. Wenn die Forscher einmal verstanden haben, welche Gen-Kombinationen für welche Eigenschaften verantwortlich sind, lassen sich diese auch verändern. Aber wir wissen heute noch zu wenig darüber.

Eltern wollen ihr Bestes an ihre Kinder weitergeben – wie viel Makel und wie viel Menschlichkeit bleiben da noch übrig, wenn man alles wegschneidet, was einem nicht passt?

Wahrscheinlich nicht viel – denn da geht es zuletzt darum, einen neuen Menschen zu schaffen und ihn zu perfektionieren. Es gibt einige, die behaupten, es wäre eine ganz natürliche Entwicklung, einen besseren Menschen zu erschaffen, d.h. eine höhere Evolutionsstufe zu erreichen. Aber ich glaube, das ist in unserer Gesellschaft noch nicht annäherungsweise konsensfähig – denn das wäre nichts anderes als Menschenzüchtung.

Vor 40 Jahren galt künstliche Befruchtung als unnatürlich, heute wird sie von unzähligen Paaren angewandt. Ist das mit der Genmanipulation von Embryonen vergleichbar?

Bei der künstlichen Befruchtung funktioniert der gesamte Mix der genetischen Zusammensetzung des Kindes nach dem gleichen Zufallsverfahren wie bei der natürlichen Empfängnis. Hier verändert sich nichts am Menschen selbst. Aber es stimmt, dass der Widerstand gegen die künstliche Befruchtung zunächst sehr groß war. Die Befruchtung galt als heiliger Akt, der damit in das Reagenzglas verfrachtet worden ist.

Aber hier geht es nicht nur darum, eine künstliche Befruchtung durchzuführen und einen ganz normalen Menschen mit allen Fehlern und allen Zufälligkeiten zu produzieren, sondern hier ist das Ziel, einen ganz neuen Menschen zu produzieren. Wobei es natürlich Zwischenzustände gibt. Wenn man schon künstlich befruchtet, könnte man ja gleich am Embryo einen Test vornehmen und bestimmte Embryos auswählen – so geht die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik tatsächlich langsam in diese Richtung. Aber Sie haben Recht, in 40 Jahren kann das ganz anders aussehen und wir könnten eine ganz andere Einstellung dazu haben. Heute ist das aber noch eine Horror-Vorstellung.

Im internationalen Vergleich sind die Fortpflanzungsmedizin-Gesetze in Österreich relativ streng – es gibt einen eigenen Tourismus, um die hiesige Gesetzeslage zu umgehen. Menschen holen sich im Ausland Spender-Eizellen, lassen Embryonen auf Erbfehler untersuchen oder engagieren Leihmütter. Wird die Gen-Manipulation von Embryos der nächste Boom auf dem Fortpflanzungsmarkt?

Ganz so weit gehen die technologischen Möglichkeiten noch nicht. Dass wir hier an Embryonen herumspielen, neue Embryonen züchten, diese dann in eine Mutter einpflanzen– das ist bei uns noch strikt verboten. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber diese Verbote ohne weiteres aufgibt. Die ersten CRISPR-Experimente in der Keimbahn des Menschen wurden aber schon vor zwei Jahren in China durchgeführt. Die wurden nicht eingepflanzt, auch weil sie noch sehr fehlerhaft waren. In den USA wurde kürzlich gezeigt, dass sich diese Fehler viel besser kontrollieren lassen, als man nach den chinesischen Experimenten dachte. Jetzt kann man sich vorstellen, dass die Chinesen davon lernen und dass wir tatsächlich einmal vor die Situation gestellt werden, dass, obwohl im Westen nicht erlaubt, in China CRISPR-Babys erzeugt werden. Wenn es die technologische Möglichkeit gibt, leistungsfähigere, schönere oder intelligentere Menschen zu züchten, sind dort die Hemmungen geringer als bei uns. Und dann könnten die Bedenken dagegen auch bei uns aufgelockert werden.

Es ist ein Szenario denkbar, in dem chinesische Menschenzüchtungen den Westen unter Druck setzen. Dies wäre ein neue Art des Rüstungswettlaufs, diesmal aber mit Menschen. Es käme eine Spirale in Gang, die fatal ist. Um dies zu verhindern, braucht es eine internationale Zusammenarbeit der beteiligten Wissenschaftler.

Wir optimieren unser Äußeres, wir optimieren unsere Gene, was könnte in Zukunft das nächste Ziel sein?

Es gibt ja auch viele Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz oder beim Zusammenschalten von Mensch und Computer. Ultra-intelligente Maschinen oder Cyborgs, die wir bisher nur aus Science-Fiction Filmen kennen, könnten Realität werden. In meinem jüngsten Buch habe ich ausgehend von dem was heute in den Labors weltweit gemacht wird, Szenarien aufgezeigt, was sich daraus entwickeln könnte. Etwa, dass wir leistungsfähigere Menschen schaffen oder gar eine neue Menschen-Art. In Folge könnte eine Zwei-Klassengesellschaft aus hyperintelligent gezüchteten Menschen und normalen Menschen entstehen. Das wäre nicht mehr eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, sondern eine Zwei-Arten-Mensch-Gesellschaft.

Buchtipp: "Supermacht Wissenschaft. Unsere Zukunft zwischen Himmel und Hölle" von Lars Jaeger, Gütersloher Verlagshaus, 320 Seiten, € 23,70.

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