Generation mutlos

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Keine Mission, keine Vision, keine Revolution – Leistungsdruck und Kalkül haben jungen Menschen die Kritikfähigkeit genommen, sagt Jugendforscher Heinzlmaier.

Keine Mission, keine Vision, keine Revolution: Der Titel des Vortrags von Bernhard Heinzlmaier beim Forum Alpbach am Mittwoch verspricht eine brandheiße Diskussion. Dabei kann sich der Wiener Jugendforscher nicht nur auf zwanzig Jahre Erfahrung, sondern auch auf eine aktuelle Umfrage (Jugendwerte-Studie im Auftrag der Arbeiterkammer) beziehen. In dieser Umfrage beklagt bereits jeder dritte Interviewte unter den 14- bis 19-Jährigen, dass die Eltern zu viel Leistungsdruck auf ihn ausüben (siehe Infografik). Im KURIER-Interview erklärt Heinzlmaier, der mehr in Hamburg denn in Wien arbeitet, dass Jugendliche auch in anderen Ländern arg unter Druck sind und daher kaum zu Kritik fähig sind.

KURIER: Herr Heinzlmaier, in Ihrem Vortrag konstatieren Sie, dass die Jungen aus der Generation der Inszenierungsgesellschaft nicht kritikfähig sind. Warum nicht?
Bernhard Heinzlmaier: Für die Selbstreflexion und die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen bekommt man heute keine Anerkennung mehr. In meiner Generation hat das Nicht-Mitmachen noch einen Wert gehabt. Heute wird nur mehr das Mitmachen belohnt, sodass die Jungen kaum noch Interesse haben, eine kritische Position einzunehmen. Die Kritikfähigkeit wird der Jugend nach wie vor systematisch abgewöhnt.

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Was bedeutet dieses Mitläufertum für die Entwicklung einer Gesellschaft?
Das ist natürlich eine Katastrophe. Denn es ist ja kein großes Geheimnis: Kultureller Wandel kann nur durch eine Kultur der Gegensätze und Diskurse generiert werden. Heute regiert das Prinzip der Anpassung zum eigenen Vorteil. Gegenüber von unserem Institut hat eine große Wiener Bank ihre Büros. Daher sitzen an den Mittagstischen in unserem Viertel Menschen, die alle gleich aussehen und wahrscheinlich auch gleich denken.

Betrachten Sie dies als hausgemachtes Phänomen?
Nein, das ist in allen sogenannten westlichen Industrieländern dominant.

Warum sind die Jungen eigentlich so angepasst: Ist es die Angst, alleine gegen den Strom zu schwimmen, der Mangel an Alternativen oder ganz etwas anderes?
Schuld an der hohen Anpassungsbereitschaft sind die Erziehungsideale und Erziehungsinstitutionen. Die Jungen werden dazu erzogen, alles nach persönlichen Nützlichkeitserwägungen zu entscheiden. Es geht um Anpassung aus Kalkül. Man hat gelernt, dass es praktisch ist, keine Überzeugung zu haben. Ideale und Überzeugungen behindern nur bei der Jagd nach dem eigenen Vorteil.

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Gibt es nicht auch Kritik?
Ja, die Occupy-Bewegung, die sich inzwischen von New York über Spanien bis nach Chile spannt, hat sich weltweit vernetzt. Es ist durchaus wahrscheinlich, was auch schon Kollegen konstatiert haben: Dass uns der arabische Frühling im Vorjahr die Augen geöffnet hat, dass das Nicht-Mitmachen auch eine Option ist.


Ist das der „Aufstand der Ausgebildeten“?
So heißt auch das Buch des deutschen Politologen Wolfgang Kraushaar. Jedenfalls mehrt sich der Zorn jener, die bisher erbarmungslos alles richtig gemacht haben, nun aber sehen, dass das auch nicht belohnt wird. Es gibt auch mehr junge Menschen, die sagen: Ich bestehe auf meine Autonomie. In einem Konzern geben sie ja die Möglichkeit der selbstständigen Gestaltung ihrer Work-Life-Balance spätestens beim Portier ab.

Und was raten Sie den Eltern: Sollen Sie die Autonomiebestrebungen ihrer Kinder fördern oder zügeln?
Alle mir bekannten Studien laufen auf eines hinaus: Psychische Gesundheit, ein erfülltes Leben – das ist bei den Unangepassten wahrscheinlicher als bei den Angepassten. Wenn ich alle anderen Fähigkeiten, Lebenspläne und Visionen ständig unterdrücken muss, bleibt am Ende nur das grausame und intolerante Über-Ich von überehrgeizigen Eltern übrig. Was die Stromlinienförmigen oft zu leidenden Menschen macht.

Warum sind Sie heute eigentlich so ungern in Wien?
Das kann ich Ihnen schon sagen: Kritik und Widerspruch führen in Hamburg zu einer Debatte, in Wien hingegen meist zur Einleitung einer Intrige. Das wird auch nach diesem Interview nicht anders sein.

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Christina Trubel, 16, Schülerin: "Ich bin dagegen, alle Jugendlichen in eine Schublade zu stecken. Neben nicht interessierten jungen Menschen gibt es solche, die sich durchaus mit der politischen Lage auseinandersetzen.

Persönlich sehe ich mich nicht als Mitläuferin. Ich interessiere mich sehr für Politik, besonders beschäftigen mich Themen wie Umweltschutz oder alternative Energiegewinnung. Das politische Desinteresse bei Jugendlichen stellt eine Gefahr dar. Besserung sehe ich nur, wenn seitens der Politiker mehr auf sie eingegangen wird. Deren Glaubwürdigkeit ist vor allem in letzter Zeit stark gesunken, das enttäuscht junge Menschen. In der Schule sollte eine bessere politische Bildung betrieben und dadurch das kritische Denken gefördert werden."

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Lukas Zauner, 26, Student: "Ich habe Prinzipien, die ich lebe und für die ich mich einsetze. Zum Beispiel, wenn Wirte es dulden, dass in Nichtraucherbereichen geraucht wird. Dafür wurde ich von Freunden oft belächelt oder verarscht. Diese ,Geh bitte, reg dich net so auf"-Mentalität gibt es in vielen Bereichen. Die Ergebnisse der Umfrage überraschen mich daher nicht. Viele junge Menschen sind zu bequem, wollen sich unangenehme Situationen ersparen und bleiben still.

Es fehlt an Aufklärung und daran, Dinge zu hinterfragen. Das sollte schon im Elternhaus und in der Schule beginnen. Die Gesellschaft vermittelt uns, dass Geld und ein angesehener Beruf wichtig sind. Ich glaube, man ist dann glücklich, wenn man sich für etwas einsetzt und engagiert. Auch wenn das unbequem ist."

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Bettina Mondl, 28, Tischlerin: "Leider habe ich das Gefühl, dass an den Ergebnissen der Studie etwas Wahres dran ist. Unsere Jugend wird erwachsen, und so wie unsere Erwachsenen sehen sie die Probleme des Alltags, haben aber keine Lösung parat. So werden sie eben hingenommen oder sogar beiseitegeschoben.

Besonders Lehrlinge bekommen keine Werte mehr vermittelt, sondern werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Frei nach dem Motto ,Hast du was, bist du was" treibt die Wirtschaft unsere jungen Leute an den Rand der Kriminalität und oft auch darüber hinaus.

Kurz gesagt: Wenn wir nicht aufhören, uns ausbeuten zu lassen, wir uns von guter Schulbildung immer mehr entfernen, dann darf es uns nicht wundern, wenn die Jugend resigniert."

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