Fast jeder Vierte leidet an chronischen Schmerzen
Ständige Schmerzen, für die häufig keine eindeutige Diagnose gefunden wird. Jahrelange, erfolglose Odysseen von Arzt zu Arzt. Und dazu Unverständnis von Familie, Freundeskreis und Kollegen. „Am schlimmsten ist, nicht ernst genommen zu werden“, sagt Erika Folkes von der „Allianz chronischer Schmerz“.
Realität ist dies jedoch für etwa 23 Prozent der Österreicher – das sind 1,7 Millionen Menschen. Das zeigt ein am Donnerstag präsentierter, von der Allianz initiierter großer Patientenbericht unter 890 Österreichern mit länger anhaltenden Schmerzen (siehe Grafik). Folkes fordert, dass chronische Schmerzen als eigenständige Krankheit anerkannt werden. Auch die WHO hat das Problem erkannt und eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, um Schmerz als anerkannte Diagnose im internationalen Krankheits-Regelwerk ICD zu definieren.
Im Alltag sind die Betroffenen vor allem mit der Betreuung unzufrieden. 45 Prozent konsultieren zwei bis drei Mediziner, bis sie eine adäquate Therapie erhalten; 23 Prozent kommen sogar auf mehr als fünf Ärzte. Univ.-Prof. Hand Georg Kress, Leiter der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie an der MedUni Wien: „Das verursacht Kosten in Milliardenhöhe für die Volkswirtschaft.“ Zum körperlichen Leid kommen häufig auch noch psychische Probleme und Existenzsorgen.
Komplexe Behandlung
Die Behandlung von chronischem Schmerz ist aufgrund seiner Komplexheit eine besondere Herausforderung. „Den“ chronischen Schmerz gibt es nämlich nicht. Betroffen können Rücken oder Gelenk ebenso sein wie Kopf (Migräne) oder Nervenbahnen. Kress definiert die Erkrankung als „bio-psycho-soziales Phänomen mit einer starken Leid-Komponente“. Sie müsse einerseits als Einheit gesehen werden, andererseits aber interdisziplinär behandelt werden. „Bei der Therapie von chronischem Schmerz ist es nicht mit der Verabreichung einer Tablette getan.
In einem spezialisierten Zentrum ist die Chance auf ein multimodales Therapiekonzept größer. Ein individuelles, auf den Patienten abgestimmtes Konzept aus Medikamenten (z. B. Schmerzmittel, Antikonvulsiva, Antidepressiva) ist ein wesentlicher Ansatz, die Schmerzen zu lindern. Zusätzlich können Therapien zur Verhaltensveränderung und Schmerzbewältigung helfen. Auf Kress’ Abteilung im Wiener AKH beschäftigen sich etwa drei Psychologinnen ausschließlich mit Schmerzpatienten.
Bleibt noch, die Ausbildung der Schmerzmediziner zu verbessern. Kress kritisiert, dass Schmerzmedizin hierzulande noch immer nicht als eigenes Fach anerkannt ist und im Studium kaum vorkommt. Dass es auch anders geht, zeigt etwa Irland. Dort wurde für Europa erstmalig im Sommer 2014 das Studienfach Schmerzmedizin etabliert. Auch in Deutschland ist dieses Fachgebiet seit einem Jahr ein wichtiger Teil der staatlichen Abschlussprüfungen.
Immer mehr Menschen leiden an sogenannten neuropathischen Schmerzen, in Österreich sind es 260.000 Patienten. Damit werden Nervenschmerzen definiert, bei denen Nervenfasern und Nervenleitungen geschädigt oder zerstört wurden.
Ausgelöst werden können diese unter anderem durch Erkrankungen wie Diabetes, Gürtelrose oder das Komplexe Regionale Schmerz-Syndrom (CRSP). Die Nervenschmerzen können monatelang, manchmal sogar lebenslang bestehen bleiben. Die Betroffenen klagen häufig über brennende und attackenförmig einschießende Schmerzen, auch bei leichten Berührungen. „Wie ein Blitz“, beschreiben das manche.
Das Problem: Herkömmliche Schmerzmittel bleiben bei diesen neuropathischen Schmerzen häufig wirkungslos. Schätzungen zufolge gelingt bei rund zwei Dritteln keine optimale Schmerzlinderung.
Mit neuen Therapien wird daher versucht, gezielt bei der Ursache – der Hyperaktivität der Schmerzrezeptoren – anzusetzen. Eine vielversprechende Therapieform dafür liegt in einer hohen Dosis von Capsaicin – jener Stoff, der für die Schärfe in Chilischoten verantwortlich ist. Ein Schmerzpflaster mit achtprozentigem Anteil an Capsaicin wird maximal 60 Minuten auf die schmerzende Stelle aufgelegt. Dadurch werden die Schmerzrezeptoren überstimuliert, es kommt zur sogenannten Defunktionalisierung. Der Patienten spürt diesen Effekt als Schmerzlinderung.
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