EuGH: Strenge Regeln gelten auch für neue Gentechnologie

EuGH: Strenge Regeln gelten auch für neue Gentechnologie
Auch Organismen, die ohne Einführung fremden Genmaterials verändert werden, fallen unter strikte Gentechnik-Richtlinien.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Mittwoch in Luxemburg entschieden, dass mit der Mutagenese-Technologie manipulierte Pflanzensorten rechtlich als gentechnisch verändert gelten und somit auch als "gentechnisch veränderte Organismen" (GVO) gekennzeichnet werden müssen. Davon ausgenommen seien die mit Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen, die seit langem als sicher gelten.

Allerdings stünde es den EU-Staaten frei, diese als sicher geltenden Organismen unter Beachtung des Unionsrechts den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen oder anderen Verpflichtungen zu unterwerfen, urteilten die EU-Richter. Mit "Mutagenese" werden alle Verfahren bezeichnet, die es - anders als die Transgenese - ermöglichen, das Erbgut lebender Arten ohne Einführung einer fremden DNS zu verändern. Dank der Mutagenese-Verfahren konnten Saatgutsorten mit Resistenzen gegen ausgewählte Herbizide entwickelt werden.

Der Umstand, dass als sicher geltende Organismen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen seien, bedeute nicht, dass interessierte Personen sie nach Belieben absichtlich freisetzen oder in der Union als Produkte oder in Produkten in den Verkehr bringen dürften, urteilte der EuGH. Den EU-Staaten stünde es somit frei, unter Beachtung des Unionsrechts und insbesondere der Regeln über den freien Warenverkehr, Rechtsvorschriften zu erlassen.

Schädliche Auswirkungen?

Die GVO-Richtlinie gelte auch für Organismen, die mit Mutagenese-Verfahren gewonnen werden, die erst nach dem Erlass der Richtlinie entstanden seien, führte der Gerichtshof aus. Die mit dem Einsatz dieser neuen Mutagenese-Verfahren verbundenen Risiken seien vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO im Wege der Transgenese auftretenden Risiken. Daher würde durch den Ausschluss der mit den neuen Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen aus dem Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie deren Ziel beeinträchtigt, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern.

Weiters kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass der Begriff "genetisch veränderte Sorte" als Bezugnahme auf den in der GVO-Richtlinie verwendeten Begriff des genetisch veränderten Organismus zu verstehen sei. Durch Mutagenese gewonnene Sorten, die unter diese Richtlinie fallen, müssten die genannte Voraussetzung erfüllen. Die mit Mutagenese-Verfahren - die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen verwendet wurden und seit langem als sicher gelten - gewonnenen Sorten seien hingegen von dieser Verpflichtung ausgenommen.

Mehrere französische Verbände hatten in ihrer Klage argumentiert, dass mit dem technischen Fortschritt neue Mutagenese-Verfahren entwickelt worden seien, mit denen gezielte Mutationen in Genen und dadurch schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen möglich seien. Sie forderten spezielle Kennzeichnungen. Die Luxemburger Richter folgten dieser Argumentation nun weitgehend.

Urteil soll umfassend angewendet werden

Karin Kadenbach, umweltpolitische Sprecherin der SPÖ im Europaparlament, begrüßte das Urteil: "Es liegt jetzt an der EU-Kommission dieses Urteil umfassend anzuwenden und auch wirklich alle dieser Verfahren den strengsten Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten zu unterwerfen." Der Versuch der Industrieverbände, gentechnisch veränderte Produkte durch die Hintertür in unsere Supermarktregale einzuräumen, sei vorerst gescheitert, urteilte sie.

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Thomas Waitz, hatte vor der Urteilsverkündung gefordert, dass die Europäische Lebensmittelbehörde "auch künftig neue gentechnisch veränderte Organismen genauso auf Risiken für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt prüfen" müsse, wie sie das bei herkömmlich verändertem Saatgut tue. "Die Verbraucher müssen entscheiden können, ob sie genmanipulierte Produkte kaufen." Die Zeit sei reif für die Agrarwende und eine nachhaltige Landwirtschaft, forderte er.

Was heißt das eigentlich?

Das alles klingt einigermaßen wissenschaftlich und kompliziert, hier daher die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Urteil.

Was  sind „Genome-Editing-Verfahren“ wie  Crispr/Cas9 genau?

Mit diesen neuen biochemischen Methoden kann das Erbgut gezielt verändert werden – präziser als bisher und ohne Hinzufügen von Erbmaterial von anderen Organismen. Wissenschaftler sprechen von „editieren“, weil das Genom ähnlich wie ein Text bearbeitet wird.

Wofür steht die Bezeichnung Crispr/Cas9?

Mit Crispr werden sich wiederholende Abschnitte im Erbgut von Bakterien bezeichnet. In diese bauen die Bakterien Bruchstücke des Erbgutes von Angreifern (z.B. Viren) ein. Mit dieser „Gedächtnishilfe“ erkennen die Bakterien dann das Virus bei einer neuerlichen Attacke sofort und können es gezielt ansteuern. Cas9  ist ein spezielles Enzym, das wie eine Schere funktioniert. Es zerschneidet an der angesteuerten Stelle das Erbgut, ursprünglich eben das des Eindringlings. Dadurch wird die weitere Verbreitung der Viren verhindert.

Wie nützt man diesen Mechanismus in der Pflanzenzüchtung?

Der französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und der US-Biochemikerin Jennifer Doudna gelang es 2012, diese molekulare Such- und Schneidemaschine gezielt für Veränderungen des Erbgutes zu nutzen. Dabei wird die  DNA gezielt an einer vorherbestimmbaren Stelle geschnitten. Die Zelle repariert daraufhin den DNA-Strang selbst. Dabei kann sich die Abfolge der Bausteine der Erbsubstanz etwas ändern. Gene können so so gezielt verändert oder auch ausgeschaltet werden – auch fremde Bestandteile könnten eingefügt werden.

Worum geht es im Streit genau?

Nach Ansicht der Befürwortern unterscheidet sich die Methode nicht von konventionellen Züchtungsmethoden, solange keine fremde DNA eingebaut wird. Weil sich die DNA-Sequenzen damit so exakt verändern lassen, hinterlassen solche Manipulationen praktisch keine Spuren auf dem Erbgut. Derart veränderte Pflanzen und Tiere können daher nicht identifiziert werden, wie es hingegen bei jenen aus herkömmlicher Gentechnik recht leicht möglich ist. Derzeit werden in der konventionellen Pflanzenzüchtung Mutationen auch mit radioaktiver Bestrahlung oder Chemikalien ausgelöst. Die Gen-Schere mache nichts anderes, nur viel eleganter. Man könnte etwa Pflanzen züchten, die gegen Schädlinge widerstandsfähiger sind – ohne wie bisher Erbgut anderer Organismen einfügen zu müssen. Auch der Nährwert von Nahrungs- und Futterpflanzen könnte verändert werden. So gibt es bereits Versuche in den USA mit einer  Sojabohne mit verändertem Ölsäuregehalt  oder einem Mais mit veränderter Stärkezusammensetzung. Auch krankheitsresistenter Weizen und Reis wurden bereits hergestellt.

Kritiker sehen hingegen sehr wohl Unterschiede zur konventionellen Züchtung. Denn mit Crispr könnten auch Regionen im Erbgut verändert werden, die von der Natur her vor Mutationen besonders gut geschützt seien.

Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es in der Medizin?

Die Gen-Schere ist auch ein neues Präzisionswerkzeug für die gezielte Bekämpfung von Krankheiten. Erbkrankheiten könnten damit behandelt werden. Auch Eingriffe in die menschliche Keimbahn wären theoretisch möglich, die dann weitervererbt werden. Das sehen viele Forscher aber sehr kritisch. Auch Charpentier plädiert dafür, nur Körperzellen (z.B. Blutzellen) gegen Krankheiten zu behandeln, aber Eingriffe in Keimbahnzellen (Eizellen, Samenzellen) zu unterlassen - eben weil bei letzteren Veränderungen an folgende Generationen weitervererbt werden.

 

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