Ein Plädoyer für das Altern
Jeder will alt werden – aber alt sein, das will keiner. Altersforscher forderten beim diesjährigen Symposium der „Plattform für interdisziplinäre Alternsfragen“ ein Umdenken. Das Altern soll als Vollendung des Lebens, als positive Kraft und wertvolle Ressource für die noch folgenden Lebensjahre betrachtet werden. Und: Schon in jungen Jahren sollte dies bedacht werden.
Der renommierte deutsche Gerontologe Andreas Kruse, Universität Heidelberg, sieht den Alterungsprozess als wichtigen Entwicklungsschritt. „Wenn man es als Vollendung des Lebens betrachtet, kann ein Differenzierungsprozess beginnen. So lernt man sich selbst besser kennen und kann seinem Leben neue Inhalte geben.“
Ein alter Mensch sei zudem noch lange nicht „fertig“: „Erst in der zweiten Lebenshälfte werden wir uns jener Funktionen bewusst, die in der ersten Hälfte nicht ausgeprägt verwendet wurden.“ Gemeint ist etwa der rational-kontrollierte Familienvater, der sich mit den Lebensjahren endlich gestattet, auch Gefühle zu zeigen. „Diese zweite Hälfte bietet uns tolle Gelegenheiten, unser Leben zumindest teilweise zu vervollständigen. Unser Gehirn bildet laufend neue Nervenverbindungen.“
Weiterentwicklung
Damit diese Weiterentwicklung jedoch gelingt, müssen Rahmenbedingungen beachtet werden. So gehe es vor allem um die optimale medizinische Versorgung, etwa Schmerztherapie. Kruse: „Wer nicht gut betreut wird, hat kaum Ressourcen für die nötigen Reflexionsprozesse.“ Da lohnt der Blick auf die eigenen Lebensthemen, der zum Dreh- und Angelpunkt der Reflexion wird. „Der Lebenslauf zeichnet sich durch zentrale Themen aus – etwa Natur, Liebe oder Einsatz für andere. Diese Themen stellen sich immer wieder ein – vielleicht in einer etwas abgeänderten Form. Aber das Grundthema bleibt. Daran merken wir, was die Menschen beschäftigt. Wir sprechen in dieser Art mit den alten Menschen.“
Kruse vergleicht diese Wiederholungen mit dem klassischen Musikmotiv einer Fuge, etwa von Johann Sebastian Bach: „In diesen Stücken kehrt das Thema auch immer wieder, in verschiedenen Tonarten. Teilweise wird es nur angespielt. Aber am Ende werden alle verschiedenen Stimmen zusammengeführt.“
Musik sei überhaupt eine enorme Ressource für betagte Menschen. „Sie geht weit über die kognitiven Fähigkeiten hinaus.“ Das zeigt sich für Kruse besonders in der Arbeit mit Demenzpatienten: „Zentrale Aspekte des Selbst bleiben bis weit in die Demenz hinein erhalten. In dieser Phase ist Musik essenziell. Es ist eine bemerkenswerte Stimulation der Persönlichkeit möglich.“
Wie man gesund 100 Jahre alt wird
Wichtige Faktoren Ein wesentlicher Punkt, um die Körperzellen so lang wie möglich aktiv zu halten, ist die Ernährung. Gesundheitsexperten warnen vor dem Einsatz zu vieler Fertigprodukte. Dadurch komme es zu einem Ungleichgewicht (Übersäuerung), das Krankheiten verursachen kann. Wichtig sind auch körperliche Aktivität, Entspannung – und besonders die Regeneration.
Neue Studien Forscher suchen fieberhaft nach den Voraussetzungen für gesundes Altern. Neben den klassischen Faktoren (siehe links) werden in neuen Studien auch mindestens zwei Mal wöchentlich Sex oder ein besonders herausfordernder Beruf als Gründe für ein hohes Lebensalter genannt. Sogar regelmäßiger Klatsch und Tratsch sollen belebend wirken.
Aktivitäten, die den Geist anregen, haben auch Auswirkungen im Körper. Das beweisen Studien mit bildgebenden Verfahren. So setzt etwa Musik Erregungsprozesse in den Körperzellen in Gang. Der deutsche Altersforscher Andreas Kruse, Uni Heidelberg sagt: „Dabei öffnet sich sozusagen die DNA, die Erbsubstanz eines Menschen – neue Zellprozesse können entstehen.“ Auch im Hippocampus (Gehirnregion, in der Erinnerung- und Gedächtnisinhalte verarbeitet werden) schlage sich die Beschäftigung mit Dingen, die man gerne tut, positiv nieder. Obwohl er sich schon im dritten Lebensjahrzehnt zurückbildet, entwickeln für ein Thema engagierte Menschen in dieser Gehirnregion auch im höheren Alter neue Zellen.
Die Münchener Psychotherapeutin Margit Burkhart setzt in ihrem neu überarbeiteten Buch „Gewöhnen Sie sich das Altern ab“ auf ganzheitliche Sicht des Alterns. Sie gibt Ernährungs- und Bewegungstipps. Vor allem empfiehlt sie, den Geist beweglich zu halten. „Körper und Geist sind nicht voneinander zu trennen, sodass wir den einen nicht ohne den anderen verjüngen können.“ Burkhart hat ein Programm mit drei Phasen entwickelt, um die Wechselbeziehungen zwischen Körper und Geist in den „besten Lebensjahren“ zu optimieren. Dazu gehört das Bewusstmachen von alt machenden Verhaltensweisen und das Einüben neuer Gedanken.
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