Dietrich Grönemeyer: So gelingt Achtung und Respekt auch in schwierigen Zeiten
Rechts gegen Links. Establishment gegen Abgehängte – die Gesellschaft driftet auseinander. Der Radiologe Dietrich Grönemeyer will mit dem Buch "Wir – Vom Mut zum Miteinander" dazu anregen, mehr miteinander zu reden und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen.
KURIER: Machen Sie sich angesichts der aktuellen politischen Lage einfach nur selbst Mut?
Dietrich Grönemeyer: Mir geht es ganz besonders darum, wie Menschen verschiedener Schichten, Ansichten, Rassen etc. grundsätzlich miteinander umgehen. Als Arzt merke ich, dass etwas nicht stimmt. Menschen stehen zunehmend unter Druck, weil Jobs verloren gehen oder Politiker Antworten schuldig bleiben. Das führt zu Unmut, macht Angst und führt zur Vereinzelung. Angst habe ich auch, das ist völlig normal, aber sie ist auch eine Chance, es anders zu machen. Ich bin nicht naiv, mein Buch ist kein Zweckoptimismus. Wir Menschen sind vernunftbegabt und können gestalten.
Sie sagen, es komme auf den Einzelnen an, der sich vernetzen muss. Was kann er denn tun?
Der Einzelne ist ja schon vernetzt, doch Facebook & Co werden leider falsch genutzt. Jeder ist "mutig", wenn er den anderen nicht sieht –dann kommen oft die übelsten Beschimpfungen heraus. Wenn man gemeinsam gestaltet und den anderen auch in seiner Angst und Wut wahrnimmt, dann versteht man mögliche Aggressionen, vielleicht auch den Frust, den oft beide in sich tragen. Dann kann man sich auf den Weg machen, gemeinsam etwas zu verändern.
Ich soll jemandem die Hand reichen, der mich beschimpft?
Ich muss zuhören können. Es erschüttert mich, dass z. B. Jean-Claude Juncker nach der Wahl von Donald Trump gesagt hat, dass noch nie jemand mit diesem geredet hat. Wir müssen mit der "Gegenseite" reden. Man muss gemeinsam gestalten können. Ich bin auch deswegen Arzt geworden, weil es um die Menschlichkeit geht. Ich bin für den anderen da, unabhängig von der politischen Gesinnung, seiner Religion etc. Es geht darum, jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit ernst zu nehmen.
Sie fordern Menschen auf, ihr eigenes Leben zu leben. Warum?
Wenn ich lerne, mich selbst zu lieben, gehe ich mit dem Gefühl "Du bist genauso wundervoll wie ich" in eine andere Zukunft. Das ist das Wir-Gefühl, das dann wieder entsteht. Das Zweite ist: Lerne zu vergeben. Das heißt nicht, jemanden aus der Verantwortung zu entlassen. Der Blick nach vorn ist das Wichtigste, der positive Blick.
Sind wir mit der Selbstfindung nicht überfordert?
Da sind die Politiker gefragt. Sie fordern, dass diese fachlich qualifiziert sein sollen, kommunizieren können und anderen mit Toleranz begegnen. Derzeit ist ein anderer Typus modern.
Mein Buch habe ich auch geschrieben, damit wir das nochmals überdenken. Ich will von einem Politiker betreut und vertreten werden, der komplex denkt und eine Strategie hat. Er soll mir erklären, warum eine Entscheidung getroffen wird und zwar so, dass ich das verstehe – Ärzte sind da leider manchmal nicht besser als Politiker. Derzeit entsteht Unmut, weil Bürger Entscheidungen nicht mehr verstehen. Hier sehe ich die große Chance, den Volkswillen auf eine neu zu entwickelnde demokratische Weise des Miteinanders zu gestalten.
Sind Menschen reif dafür, zu Entscheidungen Ja zu sagen, die für sie persönlich ein Nachteil sind, aber politisch notwendig?
Ich glaube, dass wir reif genug sind. Wir dürfen uns nicht schlechter machen, als wir sind. Wir haben über Jahrhunderte viel erkämpft – Gleichberechtigung, Menschenrechte – und so viel funktioniert. Wir sind in einer 70-jährigen Demokratie, niemand muss schimmliges Brot essen, dennoch wird vieles zu pessimistisch gesehen. Jetzt müssen wir schauen, dass wir nicht Menschen aufsitzen, die uns erzählen, dass das alles nicht stimmt. Wir sollten Stärken, die wir haben, stärken, und an den Schwächen können wir gemeinsam arbeiten.
Die liberale Demokratie scheint gefährdet. Hoffen Sie, dass sich Menschen dessen bewusst werden und gegensteuern?
Das glaube ich. Alle, die vielleicht heute mit Unmut auf die Straße gehen und Verführungen erliegen, merken ja, dass da etwas nicht stimmt. Sie wissen aber nicht, wie sie sich bewegen sollen. Ich halte es mit Friederike Mayröcker: "Erst in der Krise habe ich begriffen, glücklich zu werden, weil ich mit der Endlichkeit konfrontiert worden bin."
Die Flüchtlingswelle hat Angst vor Kontrollverlust ausgelöst. Einige reagieren panisch, einige euphorisch. Sie fordern eine sinnvolle Balance zwischen Denken, Handeln und Fühlen. Was heißt das beim Thema Flüchtlinge?
Diejenigen, die zu uns kommen, müssen wir in der Sprache, im Bildungssystem und in die Arbeit integrieren. Das muss unser Angebot sein. Die Menschen, die jetzt hier sind, sollten sich dafür nach Möglichkeit an die Kultur anpassen, denn es gibt eben Dinge, die sind uns eigen.
Buchtipp: Dietrich Grönemeyer, Wir - Vom Mut zum Miteinander. Ecowin, 7 Euro
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