Die körpereigene Apotheke stärken

Mit Meditation oder Bewegung lassen sich die Nerven beruhigen
Bei Stress kommunizieren Nerven- und Immunzellen enger als bisher bekannt.

Das Phänomen ist altbekannt: Abrackern bis zum Urlaub oder zum Abgabetermin eines wichtigen Projekts. Zunehmende Schlappheit und sonstige Krankheitssymptome werden ignoriert. Aber kaum hat die Frei-Zeit tatsächlich begonnen, liegt man krank im Bett. Zu viel Stress.

Dahinter steht meist keine simple Überlastung, sondern ein hochkomplexes, ausgeklügeltes Wechselspiel zwischen Psyche, Nervenzellen und Immunsystem. Das auch auf zellulärer Ebene nachzuweisen, gelingt erst dank moderner Methoden. Durch neueste Forschungen versteht man heute besser, wie die Arbeit des Abwehrsystems durch Stress massiv beeinflusst wird. Und zwar nicht durch die Krankheitserreger – sondern durch körpereigene Stoffe.

Funktion unterdrückt

Wird Stress chronisch, führt das nämlich zu einer Unterdrückung des Immunsystems. "Durch die permanente Freisetzung von Stress-Botenstoffen und Hormonen leidet die Funktionalität der Immunzellen enorm. Sie können Krankheitserreger nicht so leicht abtöten", sagt Manfred Schedlowski.

Der Psychologe forscht am deutschen Uni-Klinikum Essen im noch recht jungen Forschungszweig der Psychoneuroimmunologie (PNI). Die neuroimmunologischen Vorgänge lassen sich heute besser dokumentieren – und besonders für die Prävention nutzen, um die "körpereigene Apotheke zu aktivieren", wie es Schedlowski formuliert. Umgekehrt führen kurzfristige, aktive Belastungen – etwa eine vorübergehende Prüfungssituation oder eine Stunde Joggen – eher zu einer Aktivierung des Immunsystems. Dann reagiert es mit einem Anstieg bestimmter Abwehrzellen, etwa Zytokine.

Bis vor Kurzem wurde die Verbindung zwischen Psyche und Körper in der Medizin kaum berücksichtigt. Erst seit etwa 30 Jahren erforscht man die Zusammenhänge intensiver. "Lange konnte man nur spekulieren, aber die genauen Vorgänge im Körper nicht beschreiben." Heute lasse sich der direkte Kontakt von Nerven- und Immunzellen genau verfolgen. "Wir wissen, dass so entzündliche Prozesse ausgelöst oder natürliche Killerzellen direkt angesteuert werden."

Adrenalin stärkt

In Studien wurde etwa Testpersonen zur Stress-Simulation Adrenalin verabreicht. "Innerhalb von Minuten ging das Immunsystem in Hab-Acht-Stellung. Die Konzentration bestimmter Abwehrzellen steigerte sich um 200 bis 300 Prozent." Auch bei Signalübertragungen über das Blut gebe es "kaum einen Neurotransmitter, der nicht mit dem Immunsystem kommunizieren kann".

Auf Basis der PNI wurden in den USA bereits Stressreduktionsprogramme selbstverständlich in Therapien integriert. Schedlowski sieht darin auch für Mitteleuropa, wo es Nachholbedarf gibt, einen Schlüssel gegen zunehmenden Stress. "Das wird sich auch bei uns in den nächsten Jahren durchsetzen. Statt Hightech-Medizin müssen wir an anderen Hebeln ansetzen."

In der Psychoneuroimmunologie nutzt man mehrere Säulen.

Bewegung Sie stößt die Selbstheilungskräfte des Körpers an. "Neuere Studien zeigen, dass ein arbeitender Muskel anti-entzündliche Botenstoffe produziert. Diese sind in der Lage Entzündungsprozesse, wie sie unter anderem durch Stress entstehen, zu bekämpfen", erklärt Schedlowski.

Entspannungsübungen Mit bewährten Techniken wie Meditation, autogenem Training oder progressiver Muskelentspannung lassen sich die dauerhaft auf Stress und Aktivierung ausgerichteten Nerven beruhigen. Das wirkt wiederum positiv auf das Immunsystem.

Kognitives Training Gerade bei Belastungen hängt vieles von den persönlichen Bewertungsmustern ab. "Es ist ein wichtiger Ansatz, wie der Stress und die Belastung wahrgenommen und damit umgegangen wird. Mit kognitiven Verhaltensänderungen versuchen wir, eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster zu analysieren und zu verändern."

Die körpereigene Apotheke stärken

Wenn man sich über Monate schlapp fühlt, eine Erkältung auf die andere folgt und Kopf- oder Rückenschmerzen anhalten, herrscht dringender Handlungsbedarf. Der Münchener Immunologe Lutz Bannasch und die Familientherapeutin Beate Junginger definieren diesen Zustand zwischen krank und gesund als "Overload-Syndrom" – "Überlastungssyndrom".

Um Körper und Psyche wieder in Einklang zu bringen, sind sie von ganzheitlichen und interdisziplinären Strategien überzeugt. Sie haben verschiedene Immuntypen definiert, die auf Stress unterschiedlich reagieren und daher verschiedene Bewältigungsstrategien brauchen. Denn die beiden sind überzeugt: "Das Wesen beeinflusst die Körperabwehr". Die seelisch-geistige Konstitution und das persönliche Verhalten spiegeln sich im Immunsystem wider – und umgekehrt.

Buchtipp: L. Bannasch, B. Junginger, Lieber gesund & glücklich, Verlag MensSana, 20,60 € (ab August auch als Taschenbuch)

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