Die Grenzen der sanften Globuli
Aus homöopathischer Sicht ist Aggression genauso ein Symptom einer Erkrankung wie etwa Husten. Deshalb setzte der Arzt Erfried Pichler bei einem sechsjährigen, plötzlich um sich schlagenden und schimpfenden Leukämie-Patienten auf eine homöopathische Arznei, die in solchen Fällen eine positive Wirkung auf die Psyche hat. „Bei belastenden Therapien können solche Beschwerden auftreten. Mit einem speziellen Homöopathikum war der ansonsten sehr ausgeglichene Bub innerhalb einiger Tage wieder der alte.“ Nebeneffekt: Er vertrug auch seine Chemotherapie besser.
Für Pichler, Leiter einer homöopathischen Ambulanz im LKH Klagenfurt, einer von vielen Beweisen für die gute Ergänzung zur Schulmedizin. Er verweist aber auch auf die Grenzen der Arzneien. „Die konventionelle Medizin leistet Dinge, die die Homöopathie nicht leisten kann, etwa bei Krebs,Organschäden oder auch eitriger Angina.“ Ergänzend habe er in drei Jahrzehnten jedoch äußerst gute Erfahrungen gemacht: Weniger Medikamente sowie Nebenwirkungen – und: „Die Bereitschaft der Patienten, an der Therapie dran zu bleiben, ist höher.“
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Das Interesse an Homöopathie ist groß: 63 Prozent der Österreicher schätzen sie. Besonders gut sprechen Kinder darauf an, berichtet Gloria Kozel, Allgemeinmedizinerin in Graz. „Die Hälfte meiner Patienten sind Kinder und Säuglinge.“ Deshalb steht der am 10. April (Geburtstag des Homöopathie-Begründers Samuel Hahnemann) stattfindende „Tag der Homöopathie“ heuer unter dem Motto „Rund um Kindergesundheit“.
Zunehmend setzen auch Schwangere auf die Kügelchen. Sie wollen Medikamente vermeiden, die ihnen oder ihrem Baby schaden könnten. Der Salzburger Kinderarzt Holger Förster setzt Homöopathie bei psychischen Belastungen von älteren Kindern ein, sogar bei Aufmerksamkeitsdefiziten wie ADHS. Besonders wichtig sei hier Aufklärung für Betroffene und Angehörige. „Bei einer homöopathischen ADHS-Therapie treten Veränderungen oft nicht so rasch und ausgeprägt auf wie gewünscht. Die Therapie läuft häufig parallel mit bewährten Medikamenten aus dem Bereich der Amphetaminderivate (Psychopharmaka, Anm.) ab.“
Warum sehen dann so viele ein Allheilmittel in den kleinen, weißen Kügelchen? Förster: „Manche Ärzte vermitteln, mit Homöopathie alles und jeden erfolgreich behandeln zu können. Doch sie erweisen der Sache keinen guten Dienst. Da haben viele Patienten und Eltern das Gefühl, es nutzt nichts.“
Wenn es um den Nachweis der Wirksamkeit von Homöopathie geht, verweist Erfried Pichler auf viele Studien, die diese belegen würden. „Sie zeigen klar, dass Homöopathie besser als das oft zitierte Placebo wirkt. Für uns heißt das: Sie wirken genauso wie konventionelle Arzneien.“ Dazu kommen gute Erfahrungen im veterinärmedizinischen Bereich, etwa in der Landwirtschaft. „Ich wage zu bezweifeln, dass in diesem Bereich die persönliche Zuwendung durch den Arzt eine Rolle spielt.“
Das Schlucken einer Überdosis an homöopathischer Arznei soll deren Unwirksamkeit beweisen. Das ist das Ziel der Aktion 10:23, die die „Skeptiker-Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) heute, Mittwoch (18 Uhr) zum zweiten Mal am Wiener Stephansplatz durchführt.
Den Skeptikern geht es aber um mehr als Aktionismus. „Wir wollen einen sachlichen, kritisch-wissenschaftlichen Zugang als Gegenpol anbieten. Wenn jemand dann trotzdem überzeugt ist, ist es natürlich seine Entscheidung“, sagt Aktivist Ulrich Berger, Mathematiker an der TU Wien. „Die Wirkung geht nicht über jene von Placebos hinaus. Das zeigen Studien und Statistiken.“ Er kritisiert, dass die Wirkung nicht mit rein wissenschaftlichen Methoden überprüft wird. „Heute gibt es jedoch diese anerkannten Methoden. Es stimmt nicht, dass sie bei Homöopathie nicht anwendbar ist, weil sie so individuell ist. Es ist sehr wohl möglich. Nur ist es aufwendiger.“
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