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Die uralte Lust am Promiwahn
Celebrities sind kein modernes Phänomen. Ein Brite inszenierte schon vor 150 Jahren sein Image.
Klatschhefte, Paparazzi-Foren und royale Postillen, ja sogar seriöse Blätter überschlagen sich seit Wochen und analysieren: Wie kann das gut gehen, dass den neuen französischen Premier Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte 25 Jahre trennen? In die falsche Richtung, wohlgemerkt. Das hätte es früher nicht gegeben!


Die Literaturhistorikerin wollte herausfinden, ob es auch schon früher so etwas wie Celebrities gab. Mayers Wahl fiel auf den vormaligen britischen Premierminister. Disraeli (1804 bis 1881) war vor seinem politischen Wirken ein populärer Romanautor und mit seinem Werdegang eine echte Ausnahme im Polit-Establishment: Kein Aristokrat, keine Elite-Ausbildung, getaufter Jude, mit einer vergleichsweise anrüchigen Karriere als Schriftsteller, Salonlöwe, Dandy und verheiratet mit der eingangs erwähnten zwölf Jahre älteren Witwe. In Oxford hat die Literaturhistorikerin seinen persönlichen Nachlass durchforstet, Briefe, Notiz- und Haushaltsbücher, Zeitungsartikel und Karikaturen eingesehen.

"So schrieb er auch, nachdem er Premier geworden war, Romane, in die er seine politischen Ansichten packte. Die kamen so gut an, dass er tonnenweise Fan-Post bekam. Außerdem wurden sie autobiografisch rezipiert", sagt Mayer. Disraelis Domäne waren populäre Romane, angelehnt an seine eigene Biografie und bekannte Menschen seiner Zeit. "Die Leute hatten das Gefühl, Einblick in die Seele des Berühmten zu bekommen. Ich denke, dass Disraeli das sehr gezielt gemacht hat."

Hauptsache privat
Mayer weiter: "Im 19. Jahrhundert kann man von einer beginnenden Massenmedien-Kultur sprechen. Damals wurden Interviews und Homestorys populär". Beides bediente Disraeli. "Möbel und Garten wurden beschrieben, und die Normalbürger bekamen den Eindruck: Ich dringe in die private Welt dieser bekannten Figur vor. Das ist etwas ganz Wichtiges, denn dadurch erscheinen diese Figuren menschlich." Außerdem suchte Disraeli den Kontakt mit anderen wichtigen Persönlichkeiten, "z.B. der Königin, um so die eigene Wichtigkeit zu unterstreichen", beschreibt Mayer die Mechanismen.
"Auch heute geht es immer noch genau darum – eine gewisse Intimität herzustellen zwischen der Allgemeinheit und der Berühmtheit. Und zu erfahren, wie diese Person privat ist." Das viktorianische Zeitalter unterscheidet sich so betrachtet nur in Anzahl und Art der Medienkanäle sowie der Verbreitungsgeschwindigkeit von heute.
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