Die uralte Lust am Promiwahn

Benjamin Disraeli (1804-1881), britischer Premier, war ein Meister der Selbstinszenierung.
Celebrities sind kein modernes Phänomen. Ein Brite inszenierte schon vor 150 Jahren sein Image.

Klatschhefte, Paparazzi-Foren und royale Postillen, ja sogar seriöse Blätter überschlagen sich seit Wochen und analysieren: Wie kann das gut gehen, dass den neuen französischen Premier Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte 25 Jahre trennen? In die falsche Richtung, wohlgemerkt. Das hätte es früher nicht gegeben!

Die uralte Lust am Promiwahn
(FILES) This file photo taken on April 22, 2017 in Le Touquet, northern France shows French presidential election candidate for the En Marche ! movement Emmanuel Macron (R) and his wife Brigitte Trogneux posing for a photograph, on the eve of the first round of presidential election. Emmanuel Macron was elected French president on May 7, 2017 in a resounding victory over far-right rival Marine Le Pen after a deeply divisive campaign, initial estimates showed. Brigitte Trogneux has been in her husband's life since he was 15 -- first as a teacher, then lover and now as his first lady. And she will be at Emmanuel Macron's side when the 39-year-old pro-EU centrist takes office as modern France's youngest ever president, after winning Sunday's decisive run-off vote. / AFP PHOTO / Eric FEFERBERG
Irrtum! Schon Benjamin Disraeli – schillernder, konservativer Premierminister im Viktorianischen England – war mit einer zwölf Jahre älteren Witwe verheiratet. "Celebrity als Phänomen, mit dem wir heute auf Schritt und Tritt konfrontiert sind, hat eine Geschichte", sagt Sandra Mayer. Die Literaturhistorikerin hat sich im 19. Jahrhundert umgeschaut und "nach Figuren gesucht, die damals einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten und zwischen verschiedenen Welten wandelten".
Die uralte Lust am Promiwahn
US President-elect Donald Trump boards the elevator after escorting Martin Luther King III to the lobby after meetings at Trump Tower in New York City on January 16, 2017. / AFP PHOTO / DOMINICK REUTER
Denn was man an den Berühmtheiten heute sieht: "Das Celebrity-Kapital, das jemand in einem Bereich angehäuft hat, wird eingesetzt, um in einem anderen Bereich zu reüssieren", sagt Mayer. Beispiele? US-Präsident Ronald Reagan, ehemals Schauspieler, und Donald Trump, ehemals Unternehmer.

Die Literaturhistorikerin wollte herausfinden, ob es auch schon früher so etwas wie Celebrities gab. Mayers Wahl fiel auf den vormaligen britischen Premierminister. Disraeli (1804 bis 1881) war vor seinem politischen Wirken ein populärer Romanautor und mit seinem Werdegang eine echte Ausnahme im Polit-Establishment: Kein Aristokrat, keine Elite-Ausbildung, getaufter Jude, mit einer vergleichsweise anrüchigen Karriere als Schriftsteller, Salonlöwe, Dandy und verheiratet mit der eingangs erwähnten zwölf Jahre älteren Witwe. In Oxford hat die Literaturhistorikerin seinen persönlichen Nachlass durchforstet, Briefe, Notiz- und Haushaltsbücher, Zeitungsartikel und Karikaturen eingesehen.

Die uralte Lust am Promiwahn
These playing cards show in caricature a well-known person from the Victorian era in Great Britain. The characters who are lampooned and the dated style of the illustrations suggest that they were drawn in around 1880. In this case the character is Benjamin Disraeli, prominent politician and favourite of Queen Victoria. Bildnummer: 518056556 Benjamin Disraeli, Kartenspiel, 1880-1889, 19. Jahrhundert, Alt, Altertümlich, Antiquität, Eine Person, Farbbild, Faulheit, Fotografie, Freisteller – Neutraler Hintergrund, Freizeitspiel, Geschichtlich, Karikatur, Kunst, Kultur und Unterhaltung, Menschen, Neunzehntes Jahrhundert, Premierminister, Vertikal, Viktorianischer Stil, Weißer Hintergrund,
"In zeitgenössischen Karikaturen wird er als geheimnisumwitterte Sphinx dargestellt, um das Mysterium seines ungewöhnlichen Aufstiegs in die Elite zu verdeutlichen", sagt Mayer. Für sie ist Disraeli Repräsentant eines neuen Typus: Er inszenierte sein Image und versuchte Einfluss auf sein öffentliches Bild zu nehmen.

"So schrieb er auch, nachdem er Premier geworden war, Romane, in die er seine politischen Ansichten packte. Die kamen so gut an, dass er tonnenweise Fan-Post bekam. Außerdem wurden sie autobiografisch rezipiert", sagt Mayer. Disraelis Domäne waren populäre Romane, angelehnt an seine eigene Biografie und bekannte Menschen seiner Zeit. "Die Leute hatten das Gefühl, Einblick in die Seele des Berühmten zu bekommen. Ich denke, dass Disraeli das sehr gezielt gemacht hat."

Die uralte Lust am Promiwahn
Benjamin Disraeli, 1st Earl of Beaconsfield (1804-1881) on engraving from 1839. British Prime Minister, parliamentarian, Conservative statesman and literary figure. Engraved by H.Robinson after a painting by A.E.Chalon and published by Virtue & Co. Bildnummer: 115054608 Benjamin Disraeli, Altertümlich, Conservative Party, Erwachsene Person, Farbbild, Fotografie, Geschichtlich, Gravieren, Menschen, Männer, Nur Erwachsene, Politiker, Porträt, Vereinigtes Königreich, Vertikal,

Hauptsache privat

Mayer weiter: "Im 19. Jahrhundert kann man von einer beginnenden Massenmedien-Kultur sprechen. Damals wurden Interviews und Homestorys populär". Beides bediente Disraeli. "Möbel und Garten wurden beschrieben, und die Normalbürger bekamen den Eindruck: Ich dringe in die private Welt dieser bekannten Figur vor. Das ist etwas ganz Wichtiges, denn dadurch erscheinen diese Figuren menschlich." Außerdem suchte Disraeli den Kontakt mit anderen wichtigen Persönlichkeiten, "z.B. der Königin, um so die eigene Wichtigkeit zu unterstreichen", beschreibt Mayer die Mechanismen.

"Auch heute geht es immer noch genau darum – eine gewisse Intimität herzustellen zwischen der Allgemeinheit und der Berühmtheit. Und zu erfahren, wie diese Person privat ist." Das viktorianische Zeitalter unterscheidet sich so betrachtet nur in Anzahl und Art der Medienkanäle sowie der Verbreitungsgeschwindigkeit von heute.

Kommentare