Der Kartograf der Milchstraße

Der Kartograf der Milchstraße
Die Europäische Weltraumagentur ESA ist einer Milliarde Sternen auf der Spur. Der Astronom Joao Alves erzählt wie.

João Alves braucht nicht viel Geduld: Fünf Sekunden wird es dauern, bis die Daten von Gaia auf seinem Computer im Astrophysik-Institut an der Universität Wien in der Türkenschanzstraße landen. Ein Wunder der Technik, hat sich das derzeit modernste Teleskop doch unlängst 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt eingeparkt – hinter dem Mond. „Vermesse mindestens eine Milliarde Sterne und erstelle eine 3-D-Himmelskarte“ – so lautet der Auftrag.

„Manch einer könnte nun sagen: Das ist aber langweilig – Position und Bewegung messen, wie ein Buchhalter, auch wenn es sich um eine Milliarde Sterne handelt“, räsoniert der gebürtige Portugiese, Professor für Stellare Astrophysik und Gaia-Forscher.

„Es ist zwar schön, die Sterne zu betrachten, aber wir wollen mehr wissen“, ergänzt Alvaro Giménez Cañete, Wissenschaftschef der Europäischen Raumfahrtorganisation ( ESA). „Wie weit weg sind sie, wohin bewegen sie sich, woraus bestehen sie, wie haben sie sich entwickelt – und mit ihnen die gesamte Milchstraße.“ Gelingt Gaias Mission, wird am Ende die größte, präziseste dreidimensionale Karte der Milchstraße stehen.

„Dafür braucht man ein großes Teleskop an einem abgeschiedenen Platz im All“, sagt Alves. Das ist der Grund, warum Gaia von der Sonne aus gesehen hinter der Erde und dem Mond platziert wurde. Von dort aus hat das rundliche Gefährt einen scharfen Blick, den keine Atmosphäre stört, und auch die Fliehkräfte und die Anziehungskräfte von Sonne, Erde, Mond heben sich weitgehend gegenseitig auf. Das menschliche Auge kann Sterne mit einer – wie Astronomen es nennen – scheinbaren Helligkeit von sechs Magnituden ausmachen. Gaia soll 400.000-mal schwächere Sterne katalogisieren.

Die Position der hellsten Objekte – etwa 50 Millionen Sterne – kann dabei mit einer Genauigkeit von sieben Milliardstel Grad bestimmt werden. Das ist, wie ESA-Vertreter stolz erzählen, als würde man ein Haar in tausend Kilometern Entfernung erkennen, oder einen Euro auf der Mond-Oberfläche.

Gaia ist nicht der erste kosmische Buchhalter. Bereits im August 1989 hatten die Europäer eine Astrometrie-Mission gestartet: Hipparcos durchkämmte vier Jahre lang den Himmel, katalogisierte etwa 2,5 Millionen Sterne. 1997 veröffentlichte die ESA Hipparcos’ Vermächtnis. Seine Karten sind derzeit in Gebrauch.

Mit ein paar Millionen Sternen will sich Gaia indes nicht zufrieden geben. „Verglichen mit Hipparcos werden wir hundertmal so genau sein und 10.000-mal so viele Sterne katalogisieren“, sagt Giménez.

João Alves in Wien hofft jedenfalls herauszufinden, wie Sonne und Planeten entstanden sind. „Das ist es, was die Milchstraße den ganzen Tag tut: Sterne hervorbringen. Durch Gaia können wir die Geschwindigkeit jedes einzelnen Sterns ermitteln – und die Richtung, in die er sich bewegt. Damit können wir die Zeit zurückdrehen und herausfinden, woher sie gekommen sind.“

Francois Mignard, französischer Gaia-Astronom, erklärt: „Am Ende werden wir eine dynamische Karte der Milchstraße haben, die uns die Bewegung jedes Sternes zeigt und uns auch erlaubt, viele tausend Jahre zurückzuspulen.“ Weit in die Vergangenheit zurückreichende Simulationen enthüllen, ob die Milchstraße einst kleinere Galaxien verschluckt hat, und vielleicht sogar, was es mit der Dunklen Materie auf sich hat.

Sternen-Katalog

Gaias Mission ist herausfordernd: Um das Plansoll innerhalb von fünf Jahren zu erfüllen – ein Prozent der Milchstraße vermessen –, muss Gaia an jedem Tag Millionen Sterne katalogisieren. 50 Gigabyte an Daten kommen dabei zusammen. Sie müssen sortiert, verarbeitet und zur Erde gefunkt werden. Astronomen in sechs Rechenzentren sollen sich um die Datenflut kümmern.

João Alves ist einer von ihnen. Er und sein Wiener Team visualisieren die Daten. Während der Lebenszeit von Gaia wird vermutlich insgesamt ein Petabyte (einer Million Gigabyte) an Informationen zusammenkommen – so viel wie auf 200.000 randvoll beschriebene DVDs passt.

So gesehen braucht Alves dann doch Geduld: Die ersten Ergebnisse soll es in zwei Jahren geben. Und das wird noch nicht die endgültige 3-D-Himmelskarte sein. Sie sollte 2019 fertig sein.

Der Kartograf der Milchstraße

Kommentare