"Der Feind hat nur ein anderes Gesicht"

Psychoonkologin Tilli Egger (li.) im Gespräch mit Brustkrebspatientin Gabriele Herzog: "Viele ,liebevolle' Angriffe der Umgebung, die Patientinnen kränken"
Vorurteile, Scham und Schuld: Frauen mit metastasierendem Brustkrebs leiden nicht nur unter der Erkrankung, sondern auch den Reaktionen ihrer Umgebung.

In Europa sind es an die 250.000 Frauen, in Österreich 1000 bis 1500, die von der Diagnose "fortgeschrittener Brustkrebs" (die Krankheit hat sich auch bereits auf andere Organe ausgebreitet) betroffen sind. "Diese Gruppe findet leider wenig Aufmerksamkeit", sagte Univ.-Prof. Michael Gnant, Leiter des Brustgesundheitszentrums der Medizinischen Universität Wien, Dienstag in Wien. "Vieles ist tabuisiert, vielfach fehlt es auch an Informationen. Dadurch aber wird die Belastung für die Betroffenen noch größer." Für Vorurteile oder Tabus gebe es keinen Grund. "Der ,Feind' hat nur ein anderes Gesicht."

Umfrage unter Patientinnen

Wie belastet die betroffenen Frauen auch durch das Verhalten ihrer Umwelt sind, zeigen die Ergebnisse einer Umfrage für die von Novartis unterstützte Bewusstseinskampagne "here and now", die Dienstag präsentiert wurden:

- 63 Prozent der Frauen mit fortgeschritttenem Brustkrebs haben oft das Gefühl, dass niemand versteht, was sie gerade durchmachen

- 41 Prozent sagen, dass mit der Fortdauer des Krankheitsverlaufes die Bereitschaft der Umgebung, sie zu unterstützen, nicht mehr so stark ist wie bei der Diagnosestellung

- 91 Prozent der Österreicher wissen zwar, dass Brustkrebs im Frühstadium gut behandelbar ist - der Informationsstand über metastasierenden Brustkrebs ist aber bedeutend schlechter.

- 50 Prozent berichten von Veränderungen in ihren Beschäftigungsverhältnissen (vielfach Pensionierungen, aber auch Kündigungen), 56 Prozent erleiden Einkommenseinbußen.

Dramatische Verbesserungen

Mittlerweile hätten sich auch beim metastasierenden Brustkrebs die Ergebnisse drastisch verbessert, betont Gnant: "Eine meiner ersten persönlichen Patientinnen habe ich 1994 kennengelernt. Sie war 28 Jahre alt, hatte bereits fortgeschrittenen Brustkrebs. Sie sagte zu mir: ,Tun Sie etwas, egal was. Ich will nur meinen zweijährigen Sohn in die Schule gehen sehen.' Und damals betrug die durchschnittliche Überlebenszeit knappe zwei Jahre. Doch die Patientin hat ihren Sohn auch im Gymnasium gesehen. Er hat geheiratet, sie wurde sogar noch Großmutter. Die Frau starb 17,5 Jahre nach der Diagnose ihrer unheilbaren Erkrankung." Zwar sei dies ein Ausnahmefall: "Aber ich sage meinen Patientinnen oft: Wir können gar nicht sicher sein, dass ich länger lebe als Sie. Die Diagnose ist aber eine Erinnerung, dass man sorgsam mit der Zeit umgehen muss."

Falsch sei auch die Ansicht, dass es bei einer unheilbaren Krankheit keine Therapieziele mehr gibt. "Wir müssen die Therapieziele spezifisch anpassen: Es geht darum, Zeit zu gewinnen und die Zeit zu gestalten. Es geht um Schmerzfreiheit und irgendwann auch um Medizinfreiheit. Irgendwann ist es genug."

Große Defizite gebe es oft beim Umgang von Firmen mit der Krebsdiagnose einer Mitarbeiterin: "Es macht mich wütend, wenn Arbeitgeber im Anschluss an eine solche Diagnose einen Grund für eine Entlassung finden oder Arbeiternehmerinnen, die eigentlich noch aktiv bleiben wollen, in die Frühpension drängen." Für Menschen, die arbeiten wollen, müsse es die Möglichkeit geben, dies auch zu tun.

Versteckte Vorwürfe

Die Lebensqualität von Krebspatientinnen wird häufig aber auch durch Äußerungen der Umwelt sehr eingeschränkt, sagt die frühere Strahlenmedizinerin und Psychoonkologin Tilli Egger: "Wenn ich von einer Krebsdiagnose erfahre und dann sage: ,Du? Du warst doch immer so fröhlich. Du hast doch immer so gesund gelebt!' Menschen, die nicht mehr geheilt werden können, spüren dahinter aber Vorwürfe."

Krebspatienten müssten sich häufig vor Ratschlägen von Familienmitgliedern und Freunden schützen: "Ich habe dir doch gesagt, du sollst zum Arzt gehen? Ich habe dir doch einen Chirurgen empfohlen." - Jeder in der Umgebung wisse plötzlich, wie man zu leben habe. In England werde dies als "Privacy-Verlust" bezeichnet.: "Von der Nachbarin angefangen glaubt plötzlich jeder, er kann über meine private Schwelle steigen. Es gibt unendlich viele Besserwisser unter den sogenannten ,Gesunden'. In Wahrheit sind das 'liebevolle' Angriffe, die kränken." Denn sie signalisieren: Krebs ist eine Schuld- und eine Schamerkrankung. Und Scham entsteht, wenn man Vorwürfe bekommt. Wir müssen aber alles tun, damit Schuld und Scham weniger werden." Und man solle auch nicht von "den Krebskranken" sprechen, so die Psychoonkologin Tilli Egger: "Denn der Mensch macht vielleich 98 Prozent aus, der Tumor aber nur zwei Prozent." Menschen mit einer Krebserkrankung sollten ihr Selbstbewusstsein damit stärken, dass sie sich sagen: "Ich habe eine Krankheit, aber ich bin nicht die Krankheit."

Bewusste Auseinandersetzung

Schlechte Erfahrungen machte auch die Brustkrebs-Patientin Gabriele Herzog: "Mir haben Menschen gesagt: ,Wärst du doch öfter zum Arzt gegangen - dabei wussten sie gar nicht, ob ich gegangen bin." An ihrem Arbeitsplatz habe sie sich zuerst nicht getraut, etwas von ihrer Erkrankung zu erzählen." Und nachdem sie von der Diagnose im Mai 2012 erfuhr, entschied sie: Sie wartet mit der Therapie noch die wenigen Wochen, bis ihr Sohn die Matura geschafft hat: "Ich wollte ihn da nicht belasten." Sie versuche, die Zeit zu genießen, so lange es möglich ist: "Und ich setze mich auch bewusst mit dem Endpunkt des Lebens auseinander."

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