Den Rätseln des Universums auf der Spur

Den Rätseln des Universums auf der Spur
Ab heute diskutieren 750 Forscher beim weltgrößten Physiker-Kongress in Wien, was die Welt im Innerste zusammenhält.

Ob die Konferenz stattfindet, ist noch nicht fix!", sagt der Physiker Andre Hoang vom Institut für Hochenergiephysik (HEPHY). Warum? "Das Universum kann jederzeit in einen anderen Zustand übergehen." Da soll noch einmal einer behaupten, Physiker hätten keinen Humor.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, sollte aber schon feststehen, ob das Universum seinen Zustand geändert hat, oder ob die angekündigten 750 Wissenschafter doch zur weltgrößten Teilchenphysik-Konferenz des Jahres angereist sind. Sie findet ab heute bis 29. Juli erstmals in Wien statt. Hier wird um die Antworten auf die wirklich großen Fragen des Universums gerungen: Was die Welt im Innersten zusammenhält.

"96 Prozent des Universums sind unbekannt", so steht es an der Fassade des HEPHY zu lesen. Neueste Erkenntnisse haben offenbart, dass wir nur die sichtbare Materie kennen – und die macht kaum fünf Prozent aus. Was wir heute über die Welt zu wissen glauben, wird im "Standardmodell der Teilchenphysik" erklärt – einem Gedankenkonstrukt in 75 Jahren zusammengetragen von unzähligen Wissenschaftern (darunter 52 Nobelpreisträger).

Schwierige Arbeit

Erst seit drei Jahren ist das "Standardmodell der Teilchenphysik" komplett: Nach jahrzehntelanger Arbeit konnte 2012 am CERN die Entdeckung eines neuen Teilchens verkündet werden – die des langgesuchten Higgs-Boson, 2013 wurde dafür der Physik-Nobelpreis vergeben. Alle Teilchen, die dieses Standardmodell enthält, konnten mittlerweile gemessen und nachgewiesen werden. Man könnte also meinen, die Teilchenphysik sei damit an ihrem Ende angelangt – doch in Wirklichkeit beginnt jetzt erst die richtig schwierige Arbeit. Für die man den Large Hadron Collider (LHC) in Genf braucht, wie Jochen Schieck, der Direktor des Instituts für Hochenergiephysik (HEPHY) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, erklärt. "Der LHC ist nichts anderes als ein Mikroskop – er beschleunigt Protonen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit." Das Experiment selbst könne man mit einer aufgeblähten Digitalkamera vergleichen, die ungeheure Datenmengen liefert.

Mit etwas Glück hoffen die Physiker, so mehr über die Dunkle Materie zu erfahren. "Sie lässt sich durch das Standardmodell nicht erklären, ist durchsichtig, interagiert nicht mit Licht und ist viel häufiger als die uns bekannten Materien", sagt Schieck. Nach aktuellen Beobachtungen scheint es fünf Mal mehr dunkle als normale Materien zu geben – damit sind 80 Prozent der Materie im Universum "Dunkle Materie".

Dass es sie gibt, wissen Forscher schon seit 1933. Damals entdeckte man, dass sich Sterne viel schneller bewegen als sie sollten. Und Galaxien wären schon längst auseinandergeflogen, wenn da nicht etwas wäre, das die Struktur zusammenhält – eine geheimnisvolle unsichtbare Kraft. Und der hoffen die Physiker ebenfalls mit Teilchenbeschleunigern wie dem LHC auf die Schliche zu kommen. Wie? "Man sucht nach nix." Schieck lacht und erklärt: "Man schießt etwas aufeinander und das verschwindet."

Nachdem dieser Tage die Gefahr besteht, dass einem vermehrt Physiker etwa auf dem Rathausplatz oder auf der Summerstage über den Weg laufen und man mit ihnen ins Gespräch kommen möchte – hier die wichtigsten Begriffe, mit denen man zwar nicht brillieren, aber überleben wird.

Antimaterie Sie ist die Cousine der normalen Materie und entstand beim Urknall – dem Beginn des Universums, als sich Raum, Zeit und Materie entwickelten. Beide Materien sind fast ident, nur ihre elektrische Ladung ist umgekehrt: Trifft Materie auf Antimaterie, löschen sie einander aus und es wird sehr viel Energie freigesetzt. Allerdings muss es einen weiteren Unterschied geben, denn im All dominiert die normale Materie.

Elementarteilchen Sie haben weder Struktur noch Form und sind nicht zerlegbar – bilden aber die Grundbausteine der Materie. Insgesamt gibt es zwölf. Das bekannteste ist das Elektron, das zu den Leptonen gehört. Daneben gibt es noch die drei unterschiedlichen Neutrinos. Diese entstehen zum Beispiel bei der Kernspaltung in Atomkraftwerken.

Dunkle Materie Sie ist eines der größten Rätsel der Kosmologie, da sie nicht direkt beobachtet werden kann. 80 Prozent der Materie im Universum besteht aus einem Stoff, der unsichtbar ist und eine so starke Gravitationskraft hat, dass er Galaxien und Galaxienhaufen zusammenhält. Woraus die mysteriöse "Dunkle Materie" besteht und welchen Wechselwirkungen sie unterliegt, ist bisher noch unbekannt.

Dunkle Energie Das Universum dehnt sich aus. Seit 1998 wissen Wissenschaftler, dass dies sogar immer schneller passiert. Der Grund ist aber unklar. Sie vermuten, dass dies mit einer ominösen Energie zu tun hat, die die Expansion vorantreibt.

Higgs-Boson Ein Elementarteilchen, das im Universum ein feines Netz bildet, in dem Materie hängen bleibt – also auch das, aus dem der Mensch besteht. Namensgeber Peter Higgs hat es bereits 1964 vorhergesagt. Fast 30 Jahre später erhielt er dafür gemeinsam mit dem Belgier François Englert den Physik-Nobelpreis.

Quarks Alle Materie, wie wir sie kennen, ist im Wesentlichen auf Quarks aufgebaut. Diese Elementarteilchen werden durch starke Wechselwirkung zusammengehalten und bilden Neutronen und Protonen. Die stellen die Bausteine aller Atomkerne dar, aus denen 99 Prozent unserer Alltagswelt entsteht.

Standardmodell der Teilchenphysik Ein theoretisches Modell, das alle beobachtbaren Vorgänge in der Natur erklären kann. Darin werden die Elementarteilchen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte beschrieben. Das Modell hat aber Lücken: Es kann die "Dunkle Materie" nicht erklären.

Supersymmetrie-Theorie SUSY ist eine Erweiterung des Standardmodells und besagt, dass jede Art von Teilchen einen oder mehrere Superpartner besitzt – bisher wurde noch kein Partnerteilchen gefunden. Wissenschaftler sind überzeugt, dass sie damit die "Dunkle Materie" erklären könnten.

Rund um den Physiker-Kongress gibt es ein umfangreiches Begleit-Programm – vor allem, um bei jungen Menschen Interesse für die Materie zu wecken:

"Spurensuche – Die Bausteine des Universums"Die Ausstellung im Uni-Campus Altes AKH (bis 31. Juli 2015) stellt Teilchenphysik und das weltweit größte wissenschaftliche Experiment, den LHC, spannend und anschaulich dar. An den Abenden des 23. und 26. Juli kann man dort mit Teilchenphysikern plaudern. An diesen beiden Tagen und am 30. Juli finden in der Alten Kapelle am Uni-Campus allgemein verständliche Vorträge statt.

60 Jahre Grundlagenforschung am CERN Rolf-Dieter Heuer, Chef am CERN in Genf, hält am 25. Juli, 19 Uhr 30 im Audi Max der Universität Wien einen öffentlichen Vortrag über das Higgs-Boson und das frühe Universum.

"Particle Fever" Am Abend des 25. Juli wird im Hof 2 des Uni-Campus ein Dokumentarfilm gezeigt. Der Physiker David Kaplan folgt dabei sechs Wissenschaftlern von der Inbetriebnahme des LHC bis zur Entdeckung des Higgs-Bosons.

"Art@CMS" Im Hauptgebäude der Universität Wien sind vom 22. bis 29. Juli Kunstobjekte der Initiative "Art@CMS" zu sehen. Eine weitere Fotoausstellung zeigt "Women in physics in the Palestinian Territories".

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