Wieviel Elternarbeit steckt in der Abschlussarbeit der Maturanten?

Vorwissenschaftliche Arbeit - ein Probelauf fürs Studium
AHS-Elternvertreter schätzt, dass jede vierte vorwissenschaftliche Arbeit mit fremder Hilfe entsteht. So reagieren Lehrer und Schüler.

"Das Frauenbild in der Werbung", "Burn-out in Pflegeberufen" oder "Das Handyspielverhalten" – das sind Themen, mit denen sich Schüler des Gymnasiums Henriettenplatz in Wien in ihrer vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA) beschäftigt haben. Seit einem guten Jahr mussten sich die Maturanten in ihr Thema hineinknien. Die Wiener und Niederösterreicher waren die Ersten, die ihre Arbeiten abgeben mussten, kommenden Freitag folgen weitere fünf Bundesländer.

Aufregung

Jetzt sorgte ein Vorwurf für Aufregung. In einem Interview, das Bundeselternobmann Gernot Schreyer im Ö1-Morgenjournal gegeben hat, schätzte er, "dass 25 bis 30 Prozent dieser Arbeiten von Eltern oder Ghostwritern geschrieben wurden".

Eine Zahl, die weder Lehrer- noch Schülervertreter glauben können: "Die VWAs sind zum Großteil Eigenleistungen der Schüler", sagt Bundesschulsprecher Harald Zierfuß. Zwar werden Eltern oder Freunde zu Rate gezogen und gebeten, Korrektur zu lesen. "Das ist aber nicht verwerflich", betont Gabriele Dangl vom Wiener Stadtschulrat: "Die Prüfung hat zwei Teile. Schüler müssen die Arbeit schreiben und später präsentieren. Da sieht man, ob sie sich mit dem Thema beschäftigt haben."

Ghostwriter

Für den Ghostwriter "Federico Gonzalvo" klingen die Schätzungen des Elternvertreters nicht ganz so abwegig: "Ich habe heuer 35 Arbeiten betreut – manchmal helfen Eltern mit, manche bezahlen Freunde." Meistens kommen Schüler, weil sie von den formalen Kriterien überfordert sind: "An der Uni gibt es Seminare für wissenschaftliches Arbeiten. Die Schüler wissen oft nicht, wie sie zitieren und recherchieren sollen. Und sie haben Angst, dass ihre Arbeit nicht den Kriterien entspricht bzw. dass man ihnen ein Plagiat vorwirft, wenn sie Sätze aus Büchern abschreiben." Interessanterweise würden viele Lehrer Plagiate gar nicht erkennen. "Manche fragen zwar nach der Literatur, weil sie vermuten, dass Schüler abschreiben. Aber an Ghostwriting denken sie nicht."

Prozess begleiten

Dort, wo Lehrer die Schüler während des Schreibens intensiv begleiten, ist das Schummeln schwieriger. So etwa im Billrothgymnasium Wien-Döbling, wie Direktorin Ursula Madl berichtet. "Wenn ein Schüler zu den regelmäßigen Besprechungen nichts über sein Thema sagen kann und zwei Wochen später eine fertige Arbeit abliefert, werden wir stutzig."

Die Vorbereitung fängt in Madls Schule früh an: "Alle müssen in der 6. Klasse eine Mini-VWA schreiben, die in die Mitarbeitsnote einfließt." Hier lernen die Schüler , wie man ein Thema findet, sich die Zeit einteilt, ordentlich zitiert und wie man seriöse Quellen erkennt.

Das sind wichtige Kompetenzen, betont auch Georg Stockinger von der AHS-Lehrergewerkschaft: "Allerdings hätten wir uns gewünscht, dass die VWA nicht für alle verpflichtend ist. Wobei ich zugestehen muss, dass manche Maturanten hervorragende Ergebnisse abgeliefert haben, die sich das selbst nie zugetraut hätten." Als Lehrer eines Oberstufenrealgymnasiums weiß er aber, dass nicht jeder Jugendliche Eltern zu Hause hat, die helfen können. "Da sind Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern sicher etwas im Nachteil."

Spätestens an der Uni, auf die das Gymnasium immer noch vorbereitet, müssen die Studenten das wissenschaftliche Arbeiten und Zitieren beherrschen. Und da ist die VWA eine gute Vorbereitung, wie ein Student berichtet: "Vor allem das Zeitmanagement habe ich dabei eingeübt, wovon ich heute sehr profitiere."

Unfaire Noten

Nicht fair sei, dass Arbeiten höchst unterschiedlich bewertet werden, kritisiert Schülervertreter Zierfuß. Da könne er sich eine zentralere Korrektur vorstellen. So würden z.B. Fehler beim Zitieren nicht einheitlich geahndet. Lehrergewerkschafter Stockinger wünscht sich auch bei der Vorbereitung auf die VWA ein "flächendeckend einheitlicheres System, etwa mittels einer verbindlichen Übung. Derzeit verläuft das in jeder Schule etwas anders".

Weniger Beschwerden

Die Beschwerden aus dem Anfangsjahr etwa über die technischen Probleme beim Hochladen der Arbeit gibt es jetzt nicht mehr. Bei den Lehrern habe es seit Einführung der VWA umfassende Schulungen gegeben und die Zuteilung der Lehrer sei verbessert worden, betont Dangl. "Im ersten Jahr hat der Stadtschulrat 15 Prozent der Themenvorschläge nicht genehmigt. Jetzt sind es unter zehn Prozent, bei denen die Themenstellung zu breit oder zu eng definiert wurde.

Ghostwriter "Gonzalvo" hält die Anforderungen für zu hoch: "Es heißt VORwissenschaftliche Arbeit, aber die Regeln sind so streng wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit an der Universität, auch wenn die Lehrer beim Korrigieren meist großzügiger sind. Aber das wissen die Schüler im Vorhinein nicht."

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